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Archiv-Artikel

Lieber Dank als Kampf

Im Osten der Republik hat der Muttertag im Mai den Internationalen Frauentag am 8. März abgelöst. Die emanzipierte, arbeitende Frau, einst Prestigeobjekt der DDR, stirbt aus

VON DANIEL SCHULZ

Dran gedacht? Morgen ist Muttertag. Fast 75 Prozent aller Deutschen denken an den Muttertag, hat die Frauenzeitschrift Lisa herausgefunden. In Ostdeutschland denken daran sogar noch mehr Menschen als im Westen. Dabei gab es in der DDR offiziell gar keinen Muttertag – sondern den Internationalen Frauentag am 8. März. Das Ritual war aber wohl ungefähr das gleiche. Im Westen schnitten die Schüler Karten in Herzform und pinselten herzzerreißende Gedichte aus extra dafür geschriebenen Büchern ab.

Alles nur Show

Im Osten haben wir im Kunstunterricht Achten aus DIN-A4-Papier geschnitten. In den oberen Kreis schrieb ich dann in Blockschrift „Internationaler“, in den unteren „Frauentag“. Innendrin schrieb ich neben einen gemalten Riesenblumenstrauß noch 1989: „Liebe Mutti! Ich wünsche Dir viel Freude und großen Erfolg bei der Arbeit!“ Ähnliche Karten gingen an dem Tag an jede Frau, die man kriegen konnte.

Männer übten sich im Kuchenbacken und Kaffeekochen. In sämtlichen Betrieben der DDR wurde abends kollektiv gefeiert, Kombinatsdirektoren hielten schwungvolle Reden. Sie schwadronierten in der Hauptsache darüber, dass sie ohne die Hilfe der Frauen ihren Job gar nicht machen könnten.

„Alles nur Show“, sagen Ostmütter heute und lassen sich lieber zum Muttertag gratulieren. Auch im Westen beruhigen die Männer ihr schlechtes Gewissen mit Parfüm und Blumen. Aber anders als die „emanzipierte Frau“, von der im Osten die Mär ging, ist „Mutterschaft“ immerhin klar definiert: Eine Frau ist Mutter – oder nicht.

Dass die Frauen im Osten vom Frauentag genervt sind, berichtet auch Uta Schlegel, die an der Universität Halle/Wittenberg zum Frauenbild in Ostdeutschland forscht. Sie hat mal ein kollektives Frauentagsbetrinken verlassen, weil sie die Schürzen tragenden Männer mit ihrem Kaffeegekoche nicht mehr ertragen konnte. Trotzdem findet sie das Verschwinden des Frauentages schade. Denn dieser Tag ist eigentlich ein Kampftag.

Die Frauenrechtlerin Clara Zetkin schlug ihn 1901 vor – im Gedenken an die brutale Niederschlagung eines Streiks von Textilarbeiterinnen in den USA. An diesem Tag sollte für Gleichberechtigung gestritten werden. Der Muttertag hingegen ist kein Kampf-, sondern ein Danktag. Im 17. Jahrhundert dankte man in England an Sonntagen der Mutter Kirche und auch den leiblichen Müttern.

Anfang des 20. Jahrhunderts belebte eine Frau aus West Virginia diese Tradition wieder. 1912 wurde der 2. Sonntag im Mai vom amerikanischen Parlament offiziell zum Muttertag erklärt. Das passte nicht zum sozialistischen Frauenbild, zumal später die Nazis den Tag für ihren Mutterkult missbraucht hatten.

Prestigeprojekt Frau

Gleichberechtigung war neben dem Leistungssport und der Förderung der Jugend eines der drei Prestigeprojekte der DDR. Gemacht wurde Frauenpolitik allerdings nicht von Frauen, sondern von alten Männern im Politbüro. Ihr Ideal: die Frau, die Arbeit und Kind nebeneinander bewältigte. Und zweifellos hatten DDR-Frauen auf gewissen Gebieten einen Gleichberechtigungsvorsprung. Bereits in den 80ern gab es genug Kindergartenplätze, in den 70er-Jahren waren an den Hochschulen schon so viele Mädchen wie Jungen eingeschrieben. Vor der Wende hatten 90 Prozent der Ostfrauen einen Job, im Westen waren es gerade mal 50 Prozent. Aber Frauen verdienten auch zu DDR-Zeiten weniger als Männer. Clara Zetkin war auf dem Zehnmarkschein, Karl Marx lächelte gütig vom Hunderter.

Was sich die Frauen im Westen erstreiten mussten, bekamen ihre Ostkolleginnen von männlichen Politikern geschenkt. Deshalb fehlte in der Wendezeit das Bewusstein, für sich zu kämpfen. Als die Wiedervereinigung ihnen weniger Rechte beim Schwangerschaftsabbruch bescherte, da rührte sich kein Widerstand.

Ostdeutsche Frauen sehen meist heute noch nicht, dass sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden. Sie fühlen sich gleichberechtigt. Deshalb klagen sie zum Beispiel viel weniger, wenn bei einem Job ein Mann bevorzugt wird. Statt in der Gesellschaft suchen sie die Schuld bei sich: Beim nächsten Mal eben besser sein, mehr kämpfen. Sich in Frauengruppen und ähnlichen Projekten zu engagieren halten sie für entwürdigend. Statt gegen Ungleichheit aufzustehen, ignorieren sie diese und ziehen sich ins Private zurück. Das sehen sie aber nicht als Rückzug sondern als Fortschritt einer freieren Gesellschaft. Statt einem Kampftag wird deshalb ein privater Danktag gefeiert.

Frauen sind im Osten zwar mit dem Idealbild der arbeitenden Mutter aufgewachsen, aber mittlerweile haben viele ihren Job verloren. Die Realität widerspricht dem immer noch verinnerlichten Rollenbild der arbeitenden Frau. Der Widerspruch lässt sich dadurch lösen, dass sich Frauen auf die Rolle reduzieren, die sie noch ausfüllen können: Mutter sein.

Rückzug ins Private

Solche Entwicklungen fördert auch die neoliberale Politik, die Risiken mehr ins Private verlagert. Frauen sind davon stärker betroffen. Konservative Rollenbilder versprechen Ruhe und individuelle Geborgenheit. Arbeitsplätze werden knapper. Befragungen zeigen, dass mehr und mehr Männer gegen Quotenregelungen sind, wenn es um ihre Berufsfelder geht.

Gleichberechtigung ist als allgemeiner Wert zwar akzeptiert – nur wenn es konkret wird, wird es schwierig. Da gratuliert man doch lieber der zu Hause bleibenden Mutter.