: Nachmittags niemand zum Spielen
Grüne in Niedersachsen wollen das Aus für die Förderschulen: Getrennte Schulen für Lernschwache und Behinderte führten zu schlechten Lernergebnissen und schadeten dem Selbstwertgefühl vieler Kinder
VON KAI SCHÖNEBERG
„Wer 50 Kilometer mit dem Taxi zur Schule gefahren wird, hat nachmittags niemanden zum Spielen“, sagt Ina Korter. Für die Schulexpertin der Grünen sind die Wege für lernschwache und behinderte Kinder in Niedersachsen in Förderschulen nicht nur viel zu weit, eine gemeinsame Beschulung mit den „normalen“ Kindern sei auch nicht so diskriminierend und führe zu besseren Lernergebnissen.
Deshalb schlugen die Grünen gestern eine schrittweise Abschaffung der Förderschulen im Land vor. Nach einer Qualifizierungsphase für die Lehrer sollen sie ab 2010 sukzessiv ins Regelschulsystem integriert werden. Damit ende auch der „unwürdige Bettelgang“ vieler Eltern um einen Integrationsplatz in den rund 350 Förderschulen im Land, sagte Korter. Nur 4,7 Prozent der 42.000 Schüler mit Förderbedarf besuchten eine „normale“ Schule.
Damit sei Niedersachsen laut Bundesbildungsbericht Schlusslicht aller Länder, Bremen halte dagegen mit 44,7 Prozent den Spitzenplatz, sagte Korter. Studien zeigten, dass ein getrennter Unterricht das Selbstbild und die sozialen Kontakte vieler Kinder schädigen würde.
Allerdings hat sich in diesem Jahr die Rechtslage geändert. Die Bundesregierung hat die UN-Konvention über die Rechte Behinderter ratifiziert. Diese fordert ein integriertes Schulsystem. Deshalb hofft Korter auf breite Unterstützung für ihren kostenneutralen Gesetzesentwurf, der in der kommenden Woche in den Landtag eingebracht werden soll.
Das Kultusministerium verweist dagegen darauf, dass die UN-Konvention rechtlich nicht verpflichtend sei. Und: Ohnehin besuchten in Niedersachsen immer weniger Kinder Förderschulen. Dagegen sei die Zahl der Integrationsklassen im Land von 2005 bis 2007 von 255 auf 290 gestiegen. Außerdem: Die Kultusministerkonferenz habe zum Thema gerade eine Arbeitsgruppe gegründet.
Was sagen die Eltern? „In kaum einem anderen Land werden Schüler mit Beeinträchtigungen so ausgegrenzt wie in Deutschland“, ärgert sich Annegret König von der Göttinger Initiative „Gemeinsam leben – Gemeinsam lernen“. Dabei profitierten lernbeeinträchtigte Kinder enorm vom Unterricht an der Regelschule. „Die werden einfach mitgezogen“, sagt König. Während in Italien, England oder Schweden mehr als 90 Prozent der Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen lernen, sind es in Deutschland insgesamt nur 17 Prozent.
In Niedersachsen werden an jeder dritten Grundschule Kinder mit Lernschwächen und Entwicklungsverzögerungen sonderpädagogisch gefördert. Ab der fünften Klasse sei es häufig unmöglich, für ein Kind mit Handicap einen Platz an einer Regelschule zu bekommen, kritisierte König. Das Konzept der Förderschule hält Annegret König für gescheitert: „Eigentlich ist das Ziel der Förderschule die Rückschulung, also die Rückkehr an die normale Schule.“ Das Gegenteil passiert: „Die Schere“, sagte König, „wird dort immer größer“.