: Das Gift lauert im Fußboden
Wie einer Bremer Mieterin geht es vielen: Sie reißen den ollen Fußbodenbelag heraus, ohne zu ahnen, dass er Asbest enthält. Und riskieren dabei ihre Gesundheit: Die gefährlichen Fasern treten erst aus, wenn das Produkt zerstört wird
Asbest ist ein natürlich vorkommendes Mineral, das wegen seiner hervorragenden technischen Eigenschaften bis in die 80er Jahre ein beliebter Baustoff für Innen und Außen war, bevor die Herstellung und Verwendung 1993 in Deutschland endgültig verboten wurde. Vor allem in Häusern, die in den 60er und 70er Jahren gebaut oder saniert wurden, ist davon auszugehen, dass Asbest in der einen oder anderen Form zum Einsatz kam. Gesundheitsgefährdend ist es, wenn das Asbest enthaltende Produkt zerstört wird. Auskünfte geben Gesundheitsämter, Verbraucherzentralen und gegebenenfalls Umweltberatungen. taz
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Informationsbroschüre mit Fotobeispielen:Schön fand Claudia Halmer (Name geändert) den zerlöcherten Fußbodenbelag in ihrer Wohnung nie. Doch dass die in den 60er und 70er Jahren massenhaft verbauten „Flexplatten“ die Gesundheit ihrer Familie gefährden könnten, wurde der Bremerin erst klar, als es bereits zu spät war. „In dem fraglichen Material wurden Asbest-Anteile nachgewiesen“ schrieb das Institut, das die braunen Platten in ihrem Auftrag untersucht hatte. Und beruhigte, dass „die Asbestfasern bei intakten Produkten nicht frei gesetzt werden“.
Von „intakt“ allerdings konnte keine Rede sein: Nachdem sich der Vermieter nicht gerührt hatte, riss die 52-Jährige den vermutlich 30 Jahre alten Belag schließlich selbst heraus und entsorgte ihn auf dem Sperrmüll. Zu diesem Zeitpunkt lag Halmer die Asbest-Diagnose noch nicht vor, wusste sie nicht, dass sie gegen ein Gesetz verstößt, das die nicht fachgerechte Bearbeitung und Entsorgung verbietet: „Ich hatte keine Ahnung“, sagt Halmer.
Damit ist sie nicht allein, sagt Norbert Weis, Geschäftsführer des Bremer Umweltinstituts, das täglich Asbest-Proben untersucht. „Die wenigsten wissen, womit sie es zu tun haben.“ Genau das ist das Problem: Während öffentliche Gebäude wie Schulen – jedenfalls in der Theorie – systematisch von ExpertInnen überprüft werden, ist in seinen vier Wänden jeder für sich selbst verantwortlich. Doch welcher Mieter lässt schon Fensterbank, Fußboden oder eine Heizrohrisolierung kostspielig im Labor untersuchen, bevor er sich daran zu schaffen macht? „Der Super-Gau“, sagt Toxikologe Weis, „ist, wenn jemand die Flexplatten heraus reißt und danach die Holzdielen abschleift, auf denen der ebenfalls asbesthaltige Kleber haftet.“ In diesem Fall werden die Fasern nicht nur frei gesetzt, sondern im ganzen Raum verteilt. Dabei können bereits wenige eingeatmete Fasern Krebs verursachen.
Die Chance, im Fall einer Erkrankung – womöglich Jahrzehnte später – einen Prozess auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu gewinnen, ist jedoch gering, sagt Weis, dessen Firma auch für Gerichtsverfahren Gutachten erstellt. „Das ist wie bei Zigaretten. Alle wissen, dass es schädlich ist, aber den Nachweis zu erbringen, ist schwer.“
Deshalb rät er dringend dazu, im Zweifelsfall eine Immobilie auf Schadstoffbelastung untersuchen zu lassen, bevor man sie kauft – nicht nur im eigenen Interesse, sondern weil er oft genug erlebt hat, wie Menschen gesundheitlich und finanziell ruiniert wurden.
Komplizierter ist es bei Mietwohnungen wie im Fall von Claudia Halmer. Mehrfach hatte sie ihren Vermieter auf den zerstörten Belag aufmerksam gemacht, doch den habe das nach ihren Angaben herzlich wenig interessiert. Dieses Vermieter-Verhalten sei typisch, sagt Gert Brauer, Jurist und Vorsitzender des Bremer Mieterschutzbunds. Bei einem begründeten Verdacht auf Belastung durch Asbest oder andere Schadstoffe einer Wohnung sei der Vermieter verpflichtet, eine Materialanalyse und gegebenenfalls eine Raumluftmessung in Auftrag zu geben sowie eine Sanierung zu bezahlen, wenn sich der Verdacht erhärtet hat. „Das wird der aber nicht machen“, so die Erfahrung Brauers. In der Regel müssten die Betroffenen sich selbst darum kümmern und die Kosten von der Miete abziehen. Es sei denn, das Ergebnis ist negativ. Eine weitere Möglichkeit sei das Bauamt einzuschalten, das wiederum den Vermieter verpflichten kann, sich der Sache anzunehmen. Interessanterweise haben sowohl die Bremer Mieterschützer als auch der Hamburger Verein „Mieter helfen Mietern“ nur selten Anfragen zu den Asbest-Böden. „Das weiß einfach kaum jemand“, vermutet Brauer.
Claudia Halmer hingegen wird den Fehler kein zweites Mal machen: Sie ist Ende 2008 nach elf Jahren aus ihrer Wohnung ausgezogen. Und hofft, dass das Asbest ihr und den drei Kindern nicht geschadet hat. EIKEN BRUHN