: Die große Ernte von Europa
VON BERNHARD PÖTTER
Die Nachricht war beunruhigend – und sie kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Am 23. April, dem Freitag vor der entscheidenden Sitzung der EU-Agrarminister zur Aufhebung des europäischen Moratoriums für die grüne Gentechnik, meldete die französische Zeitung Le Monde, dass ein Tierversuch auf Risiken der grünen Gentechnik hindeute. Französische Forscher hatten den genmanipulierten Mais MON 863 des US-Saatgutkonzerns Monsanto an Ratten verfüttert. Die Tiere zeigten danach anormal veränderte Blutwerte und Nierenbeschwerden. Verblüffend sei die „Zahl der Anomalien“, hieß es von den Forschern.
Der genveränderte Mais MON 863 stand drei Tage später nicht auf der Tagesordnung der Agrarminister in Luxemburg. Und deshalb ließen sich die EU-Agrarminister auch nicht von den Warnungen aus Frankreich irritieren. Sie fanden keine Mehrheit, um das De-facto-Moratorium zu verlängern, das seit 1998 in Europa die Zulassung von genetisch veränderten Lebensmitteln und Futter verhindert hatte. Und die Umweltschutzorganisation Greenpeace erhob schwere Vorwürfe gegen die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA: Die verfolge grundsätzlich bei ihrer Arbeit Hinweise auf Risiken nicht beharrlich genug und genehmige gentechnisch veränderte Pflanzen auch „bei unzureichender Datenlage“.
Das Beispiel MON 863 zeigt, wie die grüne Gentechnik sich auch in Europa durchsetzt: Immer wieder gibt es Hinweise auf Risiken, die aber nicht erhärtet werden; immer wieder entscheiden die Behörden zugunsten der Zulassung. Und immer wieder protestieren Landwirte und Umweltschützer. Dass die Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern der Gentechnik so verhärtet sind, hat einen Grund: In Europa entscheidet sich, ob der globale Siegeszug der Gentechnik forgesetzt wird. Und ob es zur Einführung der „zweiten Generation von Gentech-Pflanzen“ kommt, die dem Verbraucher einen echten Nutzwert der Gentechnik versprechen und die Zukunft der globalen Ernährung revolutionieren sollen.
Dabei ist die Frage nicht, ob Europa frei von Gentechnik bleibt – die ist längst zwischen Portugal und Schweden angekommen. In vielen Ländern gibt es Freisetzungsversuche; in Spanien wird genveränderter Weizen zu kommerziellen Zwecken angebaut; in Schweden ist das erste Gen-Bier auf dem Markt; und schließlich hat die genveränderte Soja in den importierten Futtermitteln längst die Mägen der EU-Rinder und -Schweine und damit auch das Fleisch, die Milch und die Eier in der alten Welt erreicht.
Doch in Europa entscheidet sich für absehbare Zeit der globale Kampf um die Wahlfreiheit zwischen konventioneller und gentechnisch veränderter Landwirtschaft. Die erweiterte EU mit ihren 455 Millionen Verbrauchern ist weltweit der wichtigste Markt, den die großen Saatgut- und Lebensmittelkonzerne noch mit Genfood und Genpflanzen überziehen wollen. Die anderen Kontinente haben sich entweder bereits für die Gentechnik entschieden – oder sie sind zu arm, um für die hohen Kosten der Gentech-Einführung lukrativ zu sein. Dabei geht es um viel Geld für wenige Unternehmen. Der Weltmarkt für gentechnisch veränderte Pflanzen ist in den vergangenen fünf Jahren um das Zwanzigfache gewachsen und erreicht einen Umsatz von etwa 3 Milliarden Dollar. Setzt sich die Gentechnik weltweit durch, könnte der Umsatz mit Genpflanzen bis 2010 auf 25 Milliarden Dollar anwachsen, meinen Experten. Beim transgenen Saatgut beherrschen nur noch fünf Konzerne den Weltmarkt.
Bestes Beispiel für eine unbeschränkte Einführung der Gentechnik auf Acker und Teller sind die USA und Kanada. 54 Prozent der Sojaproduktion und 72 Prozent der Baumwollernte in den USA sind genmanipuliert, die Hälfte des kanadischen Raps kommt aus dem Genlabor. Futtermittel und Lebensmittel werden nicht gekennzeichnet – in den Regalen liegen deshalb viele Lebensmittel mit Gen-Zutaten. Eine breite Debatte hat es bei der Einführung nicht gegeben. Die USA machen bilateral und über die WTO massiven Druck zur Öffnung der Märkte für ihre gentechnisch veränderten Produkte – 2003 reichte die USA bei der WTO Klage gegen das De-facto-Moratorium der EU zur grünen Gentechnik ein.
In Argentinien und Brasilien, zwei der größten Exportländer für Soja, wird um die Zukunft der Gentech ebenfalls heftig gerungen. Argentinien (90 Prozent Gensoja) setzt seit Jahren massiv auf den Anbau von Gensoja. Das Land hat damit einen profitablen Exportsektor geschaffen, erstickt jetzt aber in resistenten Unkräutern. Brasilien wiederum verbot den Anbau von Gensoja. Doch weil die Pflanzen großflächig illegal angebaut wurden, denkt die Regierung Lula nun darüber nach, Gensoja zuzulassen.
Afrika ist für die Zukunft der Gentechnik eigentlich unwichtig. Zu gering ist die Kaufkraft von Bauern und Konsumenten, zu wenig industrialisiert ist die Landwirtschaft, als dass sich Investitionen in gentechnisch verändertes Saatgut oder Produkte lohnen würden. In Afrika wird eine andere Debatte geführt: Dürfen afrikanische Länder die Annahme von Nahrungsmitteln verweigern, wenn die USA bei einer Hungersnot Mais schicken? Anfang der Woche beschwerten sich 60 afrikanische Organisationen beim Welternährungsprogramm (WFP) der UN. Das WFP und die offzielle US-Hilfsorganisation USAID machten Druck auf Sudan und Angola, Genfood als Hilfslieferung zuzulassen.
Auch in Asien gibt es keine Debatte wie in Europa. China setzt auf Gen-Baumwolle. Indien hofft unter anderem auf Reissorten, die bei fortschreitender Wüstenbildung etwa einen höheren Salzgehalt des Bodens tolerieren.
Die Europäische Union wiederum will sich offiziell alle Optionen offen halten. „Keine Form der Landwirtschaft, ob konventionell, ökologisch oder mit genetisch veränderten Organismen soll in der EU ausgeschlossen sein“, heißt es in Leitlinien der Europäischen Union vom Juli 2003. Die „Wahlfreiheit“ ist das Schlagwort – sowohl der Gegner als auch der Befürworter: Endlich gebe es eine echte Auswahl für den Verbraucher und den Landwirt, begrüßte etwa der Gen-Lobbyist Jens Katzek von der BIO Mitteldeutschland das Ende des EU-Moratoriums: „Jetzt können wir praktische Erfahrung sammeln.“ Die Gentech-Gegner wiederum fordern eine Wahlfreiheit, welche die Gentechnik sehr stark einschränkt. Da die „Koexistenz“ von Gentech- und gentechfreier Landwirtschaft kaum zu gewährleisten sei, würden sich über kurz oder lang die Spuren der Gentechnik überall finden – „Bienen fliegen eben nicht nach Schildern“, heißt es.
Das Problem der Gentech-Gegner: Ihre Warnungen gründen sich bisher auf Vermutungen und Befürchtungen. Zwar gibt es Studien, die Nachteile in Tierversuchen nachweisen oder nahe legen (siehe Kasten). Doch eine direkte Gefahr für den Menschen ist bislang nirgends nachgewiesen. Weitaus gravierender könnten die Wirkungen etwa für die biologische Artenvielfalt sein – und für die Struktur der Landwirtschaft. Denn die großflächige Einführung gentechnischer Anbaumethoden würde zumindest in Deutschland zu einem weiteren Schub bei der Industrialisierung der Landwirtschaft führen: Weniger Höfe, größere Höfe, die mit noch weniger Personal und noch mehr Einsatz von Kapital arbeiten. Gentech macht also die großen Bauern noch größer und bringt die kleinen noch mehr in Bedrängnis, fand ein Gutachten des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung für das sächsische Umweltministerium heraus.
Nach dem absehbaren Ende des EU-Moratoriums machen jetzt die Gegner mobil. Neben den gentechnikfreien Zonen, zu denen sich Bauern möglichst großflächig zusammenschließen wollen, soll nun vor allem der Verbraucher amerikanische Zustände verhindern. Umweltverbände und Verbraucherorganisationen zitieren Umfragen, nach denen etwa 70 Prozent der europäischen Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen. Und weil die Lebensmittelkonzerne diese Umfragen ebenfalls kennen, haben sich viele Unternehmen verpflichtet, in Deutschland keine gentechnisch veränderten Produkte in die Regale zu bringen.
Mit der obligatorischen Kennzeichung von Gen-Lebensmitteln, die für die EU seit Mitte April gilt, haben die Konsumenten nun die Wahl. Doch die Front gegen die Gentech könnte beim Verbraucher bröckeln, befürchtet Edda Müller, Geschäftsführerin des Verbraucherzentralen-Dachverbands vzbv. Grund ist die so genannte zweite Generation der Gentech-Pflanzen, die die Unternehmen für die nächsten Jahre versprechen: Ein Bier, das schlank macht, ein Reis, der wichtige Vitamine liefert, oder ein Rapsöl, das den Cholesterinspiegel senkt – sobald diese Produkte auf den Markt kommen, wird sich der Verbraucher seine Ablehnung vielleicht noch einmal überlegen, befürchtet Müller.
Bei einem anderen wichtigen Entscheidungskriterium sind die Verbraucher offenbar schnell bereit, ihre Skrupel abzulegen: Beim Preis. Das legt zumindest eine Aktion des ARD-Wirtschaftsmagazins „plusminus“ nahe: Die Redaktion hatte Anfang April bei einem Straßenfest in Mainz einen Fritten-Stand aufgebaut, auf dem neben konventionellen Pommes frites für 1,80 Euro auch so ausgezeichnete „Gen-Pommes“ für einen Euro angeboten wurden. Das Ergebnis war eindeutig: Von 28 Käufern entschieden sich 27 für die Gentechnik auf dem Teller.