: Operation Desert Calm
Musik zum Tee in der Sahara: Das „Festival au Désert“ in Essakane, Mali, ist sicher das ungewöhnlichste Ereignis seiner Art. Aus einem Treffen der Tuareg hervorgegangen, ist das Musiktreffen inmitten der Wüste heute nicht mehr ganz so intim
Von DANIEL BAX
Es sind rund 70 Kilometer nach Essakane. Doch man braucht vier Stunden, wenn man aus Timbuktu kommt, der alten Handelsmetropole im Norden von Mali. Diese Anfahrt muss auf sich nehmen, wer zum „Festival au Désert“ anreist, das seit vier Jahren in der Oase inmitten der Wüste stattfindet.
Das Festival ist im Kern aus einer Tuareg-Versammlung hervorgegangen. Jahrelang hatten die Tuareg einen Guerillakrieg gegen die Regierung geführt, um ihren nomadischen Lebensstil zu behaupten: Die Unabhängigkeit Malis und die modernen Grenzen des Nationalstaats hatten ihrer Kultur schwer zugesetzt, so dass sie sich gegen die Zentralregierung in Bamako auflehnten. Erst 1996 wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt, und in einer feierlichen Zeremonie in Timbuktu wurden tausende von Waffen zerstört. Auf dem Weg nach Essakane kommt man an dem Denkmal vorbei, das zur Erinnerung errichtet wurde: Ein in Beton gegossener Obelisk aus zertrümmerten Kalaschnikow-Gewehren: die „Flamme des Friedens“.
Das „Festival au Désert“ war eine Möglichkeit, um die Menschen nach dem Bürgerkrieg wieder zusammenzuführen: Initiiert wurde es von einigen Tuareg, die beschlossen, die traditionellen Tuareg-Versammlungen wieder aufleben zu lassen, wie sie seit vorislamischen Zeiten gepflegt wurden, mit Schwertkämpfen, Kamelrennen und Musik. Als Zeichen der Versöhnung, und sicher auch mit touristischen Hintergedanken, sollte es offen sein für alle. Und tatsächlich treffen sich nun in Essakane, bei den Konzerten inmitten der Wüste Angehörige der verschiedenen Volksgruppen, die noch vor wenigen Jahren in blutigen Auseinandersetzungen entzweit waren.
Das erste Festival fand im Januar 2001 statt, mit einem Auftritt der Gruppe Tinariwen und einer kompletten Sonnenfinsternis, in deren Schatten Diebe die komplette Anlage entwendeten. Das zweite Festival wurde durch einen Sandsturm erschwert – und durch die globalen Folgen des 11. Septembers.
Beim dritten Mal wurde alles gut: Im Januar 2003 kamen rund 5.000 Besucher nach Essakane, davon rund 200 aus Europa, um dort internationale Prominenz wie Robert Plant im ungewöhnlichen Ambiente zu erleben, wie er den Led-Zeppelin-Klassiker „Whole lotta Love“ in den Wüstenwind schrie, oder um lokale Helden wie Oumou Sangaré und Ali Farka Touré einmal in heimischer Kulisse zu hören. Das Ereignis wurde auf einer CD dokumentiert, die der BBC-DJ Charlie Gillet schon als „bestes Live-Album aller Zeiten“ bezeichnet hat.
In diesem Jahr betrug die Zahl der ausländischen Besucher bereits 500, darunter 80 Journalisten und Filmcrews, die Zahl der Einheimischen war – vor allem im Verhältnis – dagegen etwas zurückgegangen. Die Mehrheit der Besucher reiste wieder per Kamel aus der Wüste an, oder wie Sardinen gedrängt auf den Sitzen eines Trucks aus Timbuktu, und schlug ihre Zelte im Sand der Sahara auf. Selbst eine Handvoll Deutsche und Amerikaner schlugen die Reisewarnungen ihrer Regierungen in den Wüstenwind, die nach den Entführungen von Touristen in Algerien ausgegeben worden waren.
Das Line-up des vierten „Festival au Désert“ klang aber auch sehr verlockend: Zwar erschienen einheimische Stars wie Salif Keita trotz Ankündigung nicht oder gaben nur ein kurzes Set zum Besten wie Oumou Sangaré. Dafür aber war Damon Albarn nach Mali gekommen, um den Gitarristen Afel Boucoum auf der Bühne zu begleiten; beide haben gemeinsam bereits das Album „Mali Music“ aufgenommen. Und auch der Globetrotter Manu Chao sprang als zweiter Gitarrist dem Bluesduo Amadou und Mariam zur Seite, dem blinden Sängerpaar aus Mali.
Doch wie so oft bei Festivals sind es die Szenen am Rande, die für alle Strapazen der Anreise entschädigen: Wo sonst kann man nach den Konzerten noch am Lagerfeuer sitzen, um bei süßem Tee einer spontanen Jam-Session von Manu Chao mit den Tuareg-Musikern der Gruppe Tinariwen und ein paar indianischen Punk-Musikern aus den USA beizuwohnen. Bis in den frühen Morgen sammelten sich die Runden am Lagerfeuer, und aus den Zelten dröhnte die Musik.
Das „Festival au Désert“ ist sicher das ungewöhnlichste und entlegenste Ereignis seiner Art. Aber es ist auch nicht unumstritten. Weiße Sanddünen, der kobaltfarbene Himmel, die Tuareg-Zelte aus Kamelhaut, die Raststätten der Kamele und die Prozession der Händler, die Schwerter und Schmuck zum Verkauf anbieten. Nur wenige Festivals können mit einer vergleichbar pittoresken Szenerie aufwarten. Das gibt natürlich der Befürchtung Auftrieb, das Festival könnte zur exotischen Kulisse herabsinken, zur Befriedigung touristischer Bedürfnisse nach Abenteuer und Authentizität. Ganze Delegationen von Ministern und Tourismusbeamten aus den anliegenden Ländern waren in diesem Jahr vor Ort präsent, um neugierig das Ereignis zu begutachten. Schon gibt es Pläne, das Konzept in Guinea, Marokko, Mauretanien oder im Senegal zu übertragen.
Gleichzeitig gibt es in Essakane selbst bereits erste Anzeichen für eine Festivaldämmerung über der Wüste: So wurde erstmals Kritik daran laut, dass sich ein Festival nomadischer Tuareg nun plötzlich einen festen Ort gesucht habe, und über die Verteilung der Gelder soll es auch schon Streit gegeben haben. Die Tuareg fürchten, dass ihnen ihr Festival aus der Hand gleitet, zumal sie ökonomisch nicht die Kraft haben, sich gegen die finanzielle Übermacht ausländischer Sponsoren zu behaupten.
Um zu verhindern, dass irgendwann einmal die Zahl der ausländischen Besucher die der lokalen Gäste übersteigt, wurde schon über eine Beschränkung der Besucherzahl nachgedacht. Doch vermutlich reicht es erst einmal aus, die Werbetrommel etwas weniger laut zu rühren. Gerade in Großbritannien haben alle großen Zeitungen, und allen voran die BBC, schon über das „magische Festival“ berichtet. Doch das Problem ist, dass sich mit steigender Popularität die Magie verflüchtigt: Der Fluch jedes „sanften“ Tourismus.
Das Telegraph Magazine nannte das „Festival au Désert“ bereits die „Antwort der Sahara auf Glastonbury“ – eines der größten Open-Air-Events auf der Insel. Das kann man auch als Drohung lesen. Doch dafür ist das „Festival au Désert“ vorerst immer noch zu entlegen, und die Reise dahin eine Spur zu strapaziös.