: berliner szenen Die beste Schule
Helium in der U-Bahn
Fahren Jerry, Marcus mit Freunden in der U-Bahn. U2, Alex Richtung Pankow. Verklebte Skateboards in der Hand, Carhartt-Jacke, DCshoes. Haare lang und lockig ins Gesicht gewachsen, Basecap drüber, weiß um die Nase. Dennis Cooper würde sich sofort eine böse Nebenrolle für die Jungs einfallen lassen, Larry Clark würde hektisch einen Film erfinden.
Drehen nur schon ihren eigenen Film gerade. Der geht so: Steig ich in die U-Bahn ein. Total voll gestellt mit Einkaufstütenleuten. Keine Musik. Schräges Flimmern auf den Monitoren. Zug rumpelt um die Kurve hoch zum Rosa-Luxemburg. Bohr schon wieder öffentlich in der Nase, Finger tief drin. Schlechte Angewohnheit, unappetitlich, oder? Bin nur süchtig danach. Neben mir schwebt mein Ballon, ist grün farblich und auch von der grünen Partei. Haben uns die geschenkt, Europaparlament wählen oder so. Vor allem aber ein Spaßbomber, prall voll mit Helium. Nehm’ jetzt mit Jerry ’ne tiefe Lunge.
„Meine Damen und Herren, die Fahrausweise bitte!“ Quietscht hoch meine Stimme, voll der süße Mädchensound. Gefällt den Leuten. Die lachen, auch die, die nicht nach viel Lachen aussehen. „Die Herrschaften darf ich bitten, ’n Mädchen lässt man nicht warten.“ Jerry klimpert mit den Augen und macht dann gleich ’nen Furz aus seinem Ballonzipfel, fieser Ton. Noch ’ne Lunge. Voll der Spaß, Blödsinn labern und ’n ganzer Zug hört zu.
Sagt ’ne Frau: „Super, die sollten mal ins Fernsehen.“ Hat aber kleinen Mann an ihrer Seite. Der sagt: „Oder in die Schule.“ Sag’ ich: „Die beste Schule ist mein Leben.“ Schaut der Mann böse, kommt Jerrys Stimme, super, sagt: „Aussteigen, brauch sofort jetzt Tusche für die Wimpern.“
HENNING KOBER