: Schauhausen mit Fauna
Heute startet die vierte Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“, in der eine Gruppe von Gewesenen ihre Restprominenz zu Markte trägt. Und wer wird Dschungelkönig? RTL natürlich
VON DAVID DENK
Ein Mann, der Schwanz heißt, und eine Frau, die noch einen hat, weil sie mal ein Mann war, ihn aber auf keinen Fall im Fernsehen zeigen will – das sind nur zwei der zehn KandidatInnen in der Neuauflage des „Dschungelcamps“. Und sie allein sind als Kalauerstoff schon so unerhört ergiebig, dass die Verantwortlichen vor lauter Gegiggel und Aufregung in den letzten Tagen wohl kaum schlafen konnten.
Von heute an scheucht der Kölner Privatsender RTL, der in diesen Tagen seinen 25. Geburtstag feiert, also wieder eine Gruppe Irgendwie-Prominenter durch den australischen Busch, damit diese dort zurück zur Natur finden, zu Flora und vor allem zu Fauna. 16 Tage lang werden die Dschungelcamper auch in der vierten Staffel von Berufssadisten ausgeheckte Prüfungen zu bestehen haben, in denen sie garantiert wieder viel Körperkontakt mit Ekelgetier haben werden – auch wenn RTL „neue Dschungelprüfungen und viele Überraschungen“ verspricht.
Eine Ankündigung, die man getrost vergessen kann, denn es ist gerade die Abwesenheit von Überraschungen, die totale Vorhersehbarkeit, die das vom britischen Privatsender ITV1 abgekupferte Format „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ auszeichnet: Irgendwer wird einen Zickenkrieg anzetteln, irgendwer wird beweisen wollen, dass er/sie eigentlich ganz anders ist, als alle denken, und irgendwer wird sich schwer danebenbenehmen. Eine zarte Dschungelromanze darf natürlich auch nicht fehlen. Dies alles wird das Moderatorenpaar Sonja Zietlow und Dirk Bach mit der gleichen unverhohlenen Schadenfreude kommentieren, die Millionen Fernsehzuschauer vor ihren Bildschirmen empfinden. Ihr Gewissen ist rein, denn sie schauen ja Medienprofis bei der Selbstdemontage zu und nicht etwa unbedarften Castingshownovizen. Wer in den Dschungel geht, ist selber schuld, deklassiert sich freiwillig zur Witzfigur.
Das Einzige, was niemand vorhersagen kann, ist, wer am Ende „DschungelkönigIn“ wird – aber das ist auch völlig egal. Denn „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ kennt nur einen Sieger – und das ist mitnichten der strahlende Typ mit der affigen Krone auf dem Kopf, sondern RTL. Für die KandidatInnen ist das „Dschungelcamp“ ihr letztes Bad in der Menge – aus Kakerlaken zwar, aber besser als gar keins. Lorielle London, die Frau mit Schwanz formerly known as „DSDS“-Teilnehmer Lorenzo, begründet ihren Gang in den Dschungel damit, dass sie endlich mal ein Erfolgserlebnis haben will. Immer habe sie bislang verloren im Leben. Dass sie dafür besser einen Kuchen backen oder ein Instrument lernen sollte, hat ihr offenbar niemand gesagt. Mit Lorielle könnte man fast ein bisschen Mitleid haben. Aber auch alte Hasen wie die Schauspieler Ingrid van Bergen und Günther Kaufmann erliegen der seltsamen Faszination des RTL-Gnadenhofs für abgehalfterte Boulevardgeschöpfe. In der vierten Staffel sonst noch dabei: Moderatorin Gundis Zambo, Schlagerproduzententochter Giulia Siegel, Society-Lady Christina „Mausi“ Lugner, Ex-„Glücksrad“-Moderator Peter Bond, Ex-„Marienhof“-Darsteller Markus Meziani und Exeiskunstläufer Norbert Schramm – alles Leute, die die Angst, irgendwann nicht mehr auf der Straße erkannt zu werden, ins „Dschungelcamp“ treibt.
Das Schauhausen im australischen Nirgendwo ist noch nicht das Ende der Verwertungskette – aber von da aus kann man es sehen. Wie eine gute Restaurantküche holt RTL alles aus seinen Produkten heraus. Sogar für Reste wie Innereien, Muskelfleisch und Knochen findet sich noch eine Verwendung. Die wandern in Wurst oder Suppe – Formate wie „Die 90er Show“, in der Leute, die man irgendwoher kennt, in einem faden Durcheinander Primetime-Sendezeit zubrabbeln, bis sie von der neuen „Dschungelcamp“-Besatzung abgelöst werden.
„Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ermöglicht also einer Gruppe von Gewesenen zumindest vorübergehend wieder etwas zu sein, für etwas zu stehen – und sei es nur für ein Trash-TV-Format (Die reflexhafte Äußerung der KandidatInnen, das alles nur für sich zu tun, ist also gar nicht mal so verkehrt). Doch diesen Stempel werden die KandidatInnen nach ihrer Rückkehr und dem sich nahtlos anschließenden Getingel durch besagte RTL-Shows nicht wieder los. Nun sind sie ehemalige Dschungelcamper und bleiben das auch, solange sich überhaupt noch jemand für sie interessiert. Ihre Sehnsucht nach Aufmerksamkeit hat also das Gegenteil bewirkt: sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden lassen. Oder wer weiß, was, nur zum Beispiel, Susan Stahnke, Dustin Semmelrogge, Willi Herren, Dolly Buster, Michaela Schaffrath, Julia Biedermann, DJ Tomekk und Björn-Hergen Schimpf gerade so treiben?