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Archiv-Artikel

Tödliches Attentat in Tschetschenien

Bei einer Explosion in Grosny kommt der Präsident der Kaukasusrepublik und Moskaus Statthalter Ahmed Kadyrow ums Leben. Genaue Opferzahl noch unklar. Russlands Staatschef Putin kündigt Vergeltungsmaßnahmen gegen die „Terroristen“ an

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Mindestens vier Menschen starben gestern bei einem Terroranschlag in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Aus noch unbestätigten Berichten aus Grosny geht hervor, dass bei der Explosion weit mehr als 30 Menschen getötet worden sein könnten. Unter den Opfern befindet sich auch der Präsident der Republik, Ahmed Kadyrow. Nach vorläufigen Schätzungen wurden zwischen 30 und 40 Menschen zum Teil schwer verletzt.

Die Bombe explodierte am Vormittag gegen 10.30 Uhr im Dynamo-Stadion, wo eine Festveranstaltung anlässlich des 59. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus abgehalten wurde. Der Sprengsatz war in der Nähe der VIP-Tribüne platziert, auf der sich neben der tschetschenischen Führung auch russische Militärs befanden. Der Kommandeur der russischen Truppen im Nordkaukasus, Waleri Baranow, und Tschetscheniens Kommandant Famenko erlitten schwere Verletzungen.

Über die Art des Sprengsatzes herrscht Unklarheit. Das tschetschenische Innenministerium behauptet, die Bombe sei in einer Betonwand deponiert gewesen. Erst am Freitag war das renovierte Stadion der Öffentlichkeit übergeben worden. Bei Überprüfungen habe man nichts Verdächtiges entdecken können.

Die Website der tschetschenischen Rebellen „Kavkaz-zentr“ meldet, der Anschlag sei von einer „schachidka“, einer Selbstmordattentäterin, verübt worden. Seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges haben so genannte „Schwarze Witwen“ in Russland und Tschetschenien mehrere Selbstmordattentate verübt.

Die Nachricht vom Attentat erreichte Kremlchef Wladimir Putin, als dieser auf einer Festveranstaltung zum Tag des Sieges vor Veteranen des Zweiten Weltkrieges sprach. Putin sagte mit wutverzerrtem Gesicht: Dieser Akt werde Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen. Gewöhnlich hat die Zivilbevölkerung unter den Racheakten zu leiden, während die Urheber des Terrors verschont bleiben.

Ahmed Kadyrow war die Figur, die der Kreml als Marionette zum Vollstrecker des vermeintlichen Friedenskurses erkoren hatte. Im Oktober ließ Moskau Kadyrow zum Präsidenten wählen. Die Wahlen waren ebenso manipuliert wie das Referendum im vergangenen Frühjahr, bei dem sich Tschetschenien für einen Verbleib in der Russischen Föderation aussprach.

Kadyrow genoss in der Bevölkerung keinen Rückhalt, vielmehr galt er als der bestgehasste Mann, wovon mehr als ein Dutzend Anschläge künden, denen er auf wundersame Weise entkam. Nicht die Moskauhörigkeit des Präsidenten war der alleinige Grund, warum ihn seine Landsleute nicht anerkannten. Noch im ersten Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996 hatte der Ex-Mufti alle Tschetschen zum Heiligen Krieg aufgerufen und das Töten von Russen zu einer Heldentat erklärt. Putin ehrte Kadyrow nach dem Attentat als „einen Mann, der seine Pflicht vor seinem Volk erfüllt hat“.

Die Tschetschenen sehen es anders: Während der kurzen Phase der fehlgeschlagenen tschetschenischen Unabhängigkeit wurde sein Name mit Entführungen und Menschenhandel in Verbindung gebracht. Seit Moskau ihn im Sommer 2000 zum vorübergehenden Verwaltungschef ernannte, hat Kadyrow Klüfte in der tschetschenischen Gesellschaft gefördert und jegliche Übereinkunft mit den Rebellen aus Gründen des persönlichen Machterhalts abgelehnt. Besonders in Verruf geriet die Leibgarde des Präsidenten, die Kadyrows Sohn Ramsan befehligt. Sie ist eine kriminelle Vereinigung, die die Bevölkerung mit Mord und Entführungen terrorisiert.