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Archiv-Artikel

Trotz Asylstatus droht Abschiebung

Polizei in Oberösterreich verhaftet 32-jährigen Kurden aufgrund einer Interpol-Fahndung. Er genießt deutsches und Schweizer Asyl und ist durch Folter und Hungerstreik lebenslang geschädigt. Anwalt: Türkischer Geheimdienst veranlasste Verhaftung

AUS WIEN RALF LEONHARD

Die Auslieferung an die türkische Militärjustiz droht dem Kurden Mesut Tunc, der in Oberösterreich in Haft sitzt. Der türkische Staatsbürger, der in Deutschland und der Schweiz politisches Asyl genießt, wurde vergangenen Samstag zwischen St. Pölten und Wels von fünf Zivilpolizisten festgenommen. Ein von der Familie eingeschalteter Anwalt und die Flüchtlingsorganisation Asyl in Not bemühen sich um die Freilassung des Mannes, der nächsten Montag seinen 33. Geburtstag feiert. Vater Kenan Tunc appellierte an die Behörden, seinen Sohn unter keinen Umständen auszuliefern. „Wenn ihr ihn umbringen wollt, macht es lieber hier.“

Mesut Tunc wurde 1996 von einem türkischen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Man warf dem Sympathisanten der Linkspartei DHKP-C Beteiligung an einem Brandanschlag mit fünf Toten und zwei Verletzten vor, obwohl er nachweislich weit entfernt vom Tatort gewesen sei. Das Geständnis, so geht aus der Stellungnahme des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge und Opfer organisierter Gewalt in Frankfurt hervor, sei durch vierwöchige körperliche und psychische Folter erpresst worden.

Nach seiner Verurteilung trat Tunc mit anderen politischen Gefangenen in einen unbefristeten Hungerstreik. Er hielt fast neun Monate durch, brach aber schließlich zusammen. Darauf wurde er Anfang 2002 für ein halbes Jahr in familiäre Pflege entlassen. Da seine Betreuer fürchteten, er würde eine nochmalige Haft nicht überleben, verhalfen sie ihm zur Flucht nach Deutschland, wo der Vater bereits politisches Asyl genoss.

Tunc, der nach Ansicht seines Anwalts Christian Kras lebenslang geschädigt ist, lebt jetzt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in der Nähe von Bern. Für Kras ist die Lage klar: Österreich darf den Mann nicht ausliefern. Ihn schützen die Europäische Menschenrechtskonvention und das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz. Auch ein Spruch des Oberlandesgerichts Celle von 2007 habe in einem Präzedenzfall so entschieden.

Michael Genner von Asyl in Not: „Das Abschiebungsverbot hat in Österreich Verfassungsrang.“ Dieses schützt vor Rückführung in Länder, wo Folter droht. Nach den Schilderungen von Ehefrau Sati Kilic-Tunc sei Mesut von den Polizisten nicht, wie diese angaben, durch eine Routinekontrolle entdeckt, sondern gezielt gesucht worden. Sie beriefen sich auf einen Haftbefehl von Interpol vom April 2008 und drohten die umgehende Abschiebung an. Sati habe daraufhin gedroht, sich mit den Kindern aus dem Zug zu werfen.

Der wenig später eingeschaltete Anwalt konnte wegen der Feiertage bei Staatsanwaltschaft und Justiz nichts ausrichten. Die Richterin in Wels erklärte ihm, die Prüfung der Unterlagen würde einige Zeit dauern. Sie wolle auch prüfen, ob seinem Mandanten auch in Österreich Asyl gewährt worden wäre.

Anwalt Kras findet das ungewöhnlich. Er schickte eine Beschwerde an das Oberlandesgericht in Linz und forderte das Justizministerium auf, die Staatsanwaltschaft anzuhalten, den Auslieferungsantrag zurückzuziehen. Er fürchtet aber, dass das österreichische Innenministerium die Verhaftung des Kurden auf Veranlassung des türkischen Geheimdienstes angeordnet habe. Ministersprecher Rudolf Gollia schloss nicht aus, dass es eine Kooperation gegeben habe.

Mesut Tunc, dem eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde, ist nach seiner Festnahme erneut in Hungerstreik getreten. Kras: „Die Behörden beeindruckt das nicht. Er kommt höchstens in ein Krankenzimmer mit einem Polizisten davor.“