: Die Ausbildung zur Ausbildung
Jeder fünfte Jugendliche verlässt die Schule ohne Abschluss. Ihre Chancen auf eine Lehrstelle sind minimal. Deshalb schickt das Arbeitsamt sie zur Berufsvorbereitung. Dort lernen sie Bruchrechnung und Pünktlichkeit. Doch nun ist die Zukunft der Vorbereiter so unsicher wie die der Schüler
VON ANNA LEHMANN
Heute gibt es Torte im Lehrerzimmer. Andreas Wendel ist 42 Jahre alt geworden. Die Kollegen schaufeln stumm Sahne und Teig. Vielleicht ist das die letzte Feier, die die Mitarbeiter von der Gesellschaft für berufsvorbereitende Maßnahmen (GfbM) im Standort Schlesische Straße abhalten.
Jedes Jahr im Herbst schickte das Arbeitsamt Jugendliche ohne Lehrstelle zur GfbM, die von den 20 Lehrern, Anleitern und Sozialpädagogen geistig und praktisch in die Lage versetzt werden sollten, den Beruf eines Kfz-Mechanikers oder Klempners zu erlernen. In den neun Monaten bei der GfbM lernten die Jugendlichen neben Bruchrechnung und Grammatik vor allem pünktlich und regelmäßig zum Unterricht zu erscheinen.
„Die meisten kommen ohne Schulabschluss. Aber 70 Prozent von denen, die durchhalten, haben danach zumindest einen überbetrieblichen Ausbildungsplatz gefunden“, sagt der Leiter der GfbM, Andreas Wendel, mit Genugtuung. Im Mai haben die schriftlichen Prüfungen für den letzten Jahrgang begonnen.
Ab Herbst soll alles anders werden. Die Ausbildung zur Ausbildung wird nicht mehr im Neunmonatspaket, sondern in Bausteinen erteilt, die einzeln zertifiziert sind. Das wird in etwa so aussehen: zwei Wochen Deutschkurs in Kreuzberg, danach eine Woche praktische Arbeit in der Kfz-Werkstatt in Tempelhof und im Anschluss drei Wochen Lebenskunde in Schöneberg. Statt in der Klasse bastelt jeder für sich am Bauplan zum Berufserfolg.
Doch die meisten seiner Schüler hätten keinerlei Erfahrung, wie man sein Leben organisiere, hat Wendel festgestellt. Deshalb wird ihnen ein so genannter Bildungsbegleiter von der Arbeitsagentur zur Seite gestellt. „Einer für 28 Mädchen und Jungen“, bemerkt Wendel nüchtern. Mit diesem flexiblen Konzept hofft die Arbeitsagentur, den Fähigkeiten der Geförderten besser gerecht zu werden.
„Es soll möglich sein, dass die Teilnehmer jederzeit ein- oder aussteigen können, falls sie eine Lehrstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen“, sagt Wendel und lacht trocken. 400 Berliner Betriebe hatten er und die Kollegen abgeklappert, um ihren Schülern eine betriebliche Lehrstelle zu vermitteln – vergeblich.
Nun schauen auch die Mitarbeiter der GfbM, die Jugendlichen eine Zukunft ermöglichen sollen, ungewiss in die eigene: „Ob wir weitermachen dürfen, hängt davon ab, ob wir eine Ausschreibung gewinnen“, meint Wendel klamm.
Die Konkurrenz darum, wer welche Maßnahme anbieten darf, steigt allein deshalb, weil sie nicht mehr von der Landesarbeitsagentur vergeben werden, sondern nur noch von der Bundeszentrale. Das bedeutet, dass sich Träger aus der ganzen Republik für ein Projekt in Berlin bewerben dürfen.
Die GfbM ist kein kleiner Träger, aber der Markt ist hart umkämpft. „In den letzten Jahren sind die Preise um etwa 20 Prozent gesunken, bei nicht unbedingt einfacher werdender Klientel“, bemerkt Wendel vorsichtig. Nach dem Bundesangestelltentarif werden er und seine Mitarbeiter längst nicht mehr bezahlt.
Einige werden wohl gehen müssen, eine der zwei Etagen in dem Industriegebäude wird bereits geräumt. Doch auch die fünf fest angestellten Mitarbeiterinnen sind von Unsicherheit gepackt: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das werden soll, wenn ich aller 14 Tage vor einer neuen Gruppe stehe“, meint Sozialpädagogin Cornelia Köppke. Vertrauen könne sie doch nicht in zwei Wochen aufbauen.
„Oft haben wir welche, die von der Straße kommen oder aus katastrophalen familiären Verhältnissen, auch Freigänger. Sie kommen rein und sagen: ‚Ich hab ’ne Einweisung.‘ Die meisten haben ein extrem schlechtes Selbstwertgefühl“, beschreibt Wendel seine „Klienten“.
Ein Drittel bricht während der ersten Monate ab, denn die Anforderungen sind hart: von 8 bis 16 Uhr müssen sie jeden Tag durchhalten.
Wer das nicht schafft, ist nicht tauglich für eine Lehre. Jene, die dabei bleiben, wissen, warum: Für sie ist die Vorausbildung eine Chance. Oft die letzte.