BERNHARD PÖTTER über KINDER : Die Buddelkiste kennt kein Eigentum
Von Kindern lernen: Woran der Sozialismus in Deutschland gescheitert ist (Folge 3 und Schluss): Brüderlichkeit
„Schippe weg?“
Tina ist fassungslos.
„Papa, Schippe weg?“
Eben war sie noch da. Dann rannte Tina zum Klettergerüst am anderen Ende des Spielplatzes. Als wir wiederkamen, war die Mutter mit ihrer Tochter weg, denen wir großzügig unsere Buddelschippe überlassen hatten. Mit der Schippe. Kinder klauen wir die Raben. Eltern offenbar auch.
Auf den Spielplätzen Berlins verschwindet Spielzeug. Jeden Tag. In Massen. Ein kleines Problem? Keineswegs: Es ist der letzte Beweis dafür, dass der Sozialismus scheitern musste.
Denn die Schippen, Förmchen und Bagger sind längst so etwas wie Volkseigentum – der ökonomischen Basis des Traums von gesamtgesellschaftlicher Solidarität.
Die Reste dieses Traums kann man in den Gegenden der Innenstadt bewundern, wo sich die Eltern an der Sandkiste automatisch duzen. Hier gibt jeder sein Eigentum an den Reproduktionsmitteln für die Zeit des Buddelns gern auf.
Nur: Der Respekt vor den vergesellschafteten Erziehungsmitteln ist dahin. Es wird privatisiert auf Teufel komm raus. So wie beim SSV, dem Sozialistischen Schlussverkauf, das Erbe der DDR durch die Untreuhandanstalt verschleudert wurde.
Natürlich blickt man diesen Tatsachen in Kreuzberg und Co nicht gern ins Gesicht. Irgendwie träumen wir doch alle noch von einer gerechten Welt. Und suchen die Schuld bei uns, wenn es damit nicht klappt. Deshalb sagt Anna: „Das liegt doch an uns – wir müssen eben aufpassen, dass die Schippen nicht verwechselt werden.“
Verwechselt? Dass ich nicht lache. Auf Tinas Schaufel stand mit wasserfestem Edding ihr Name. Okay, das gilt als superspießig. Aber gegen eiskalten Diebstahl hilft das auch nicht.
„Die paar Euro können wir verkraften“, sagt Anna dann, „und außerdem finden wir doch auch dauernd Schippen.“
Das stimmt. Aber dabei handelt es sich um typisches Downcycling: So wie aus dem reinen und hochwertigen Kunststoff beim Recycling mit viel Energieeinsatz immer nur eine überflüssige Gartenbank wird, so verlieren wir immer hochwertiges Spielzeug und bekommen dafür Tinnef, der sich beim ersten entschlossenen Buddeln verbiegt.
„Es gibt halt viele Leute, die sich Buddelformen nicht leisten können“, nimmt Anna wieder die Förmchendiebe in Schutz. Mag ja sein, dass es Leute gibt, die die 1,99 Euro nicht aufbringen können – aber gerade die sollten doch ein Interesse daran haben, dass es weiterhin freien Zugang zu Spielgeräten gibt.
Das Problem liegt anderswo. Was umsonst ist, ist nichts wert. Sobald irgendetwas als Gemeingut freigegeben ist, bedient sich jeder, wo und wie er kann.
Die Schaufeln in der Sandkiste, der Volkseigene Betrieb Robotron oder der Regenwald am Amazonas – solange kein Preisschild drauf klebt, nimmt sich jeder die Freiheit zum Plündern.
Und wenn man etwas nicht klauen kann, kann man es zumindest ruinieren. Die Wiesen, die der Dorfgemeinschaft gehörten, waren in früheren Zeiten immer als Erste überweidet.
Was also tun? Schweigen und zahlen ist eine Alternative. Das bringt am Ende den Bankrott und den Schalk-Golodkowski.
Aufpassen wie ein Luchs ist die zweite Möglichkeit. Aber dann braucht man nicht mehr auf den Spielplatz zu gehen. Oder man wählt den radikalen Weg und zieht in eine gutbürgerliche Vorstadt.
Da geht es dann so: Der kleine Rothaarige will mit unserem Bagger spielen. Kein Problem, Tina ist gerade mit den Förmchen beschäftigt. Also gebe ich dem Rotschopf unseren Bagger.
Seine Mutter hat das beobachtet und kommt angefegt:
– „Timo, das ist nicht dein Bagger, gib ihn zurück!“
– „Aber er kann ihn gern haben“, sage ich.
– „Das ist nett von dem Papi, aber gib ihn wieder zurück.“
– „Wir brauchen ihn wirklich nicht“, versuche ich es noch mal. – „Nein, nein, vielen Dank. Er soll das lernen, dass es nicht seins ist“, faucht die Mutter.
Hier hatte der Sozialismus nie eine Chance.
Fragen zur Privatschippe? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN