Bild der Ratlosigkeit und des Zynismus

Mit dem Attentat auf den tschetschenischen Präsidenten Ahmed Kadyrow ist das Lügengebäude eines befriedeten Tschetscheniens zusammengebrochen. Jetzt sucht der Kreml einen Nachfolger. Das könnte der Sohn des Getöteten sein

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Zwei ratlose, geschockte Gestalten saßen sich nach dem Attentat auf den tschetschenischen Präsidenten Ahmed Kadyrow im Kreml gegenüber: Russlands Präsident Wladimir Putin und Sergei Abramow, Vorsitzender des Regierungsrats und inzwischen kommissarischer Stellvertreter des ermordeten tschetschenischen Republikchefs Kadyrow in Grosny. Er solle auf Stabilität und Ordnung achten, verlangte Kremlchef Putin von dem 32-jährigen Ökonomen. Abramow gelobte brav, er werde tun, was ihm geheißen. Die Unsinnigkeit ihrer Worte muss beiden noch im selben Moment klar geworden sein. Sie boten ein Bild, in dem sich Ratlosigkeit und Zynismus der Putin’schen Tschetschenenpolitik zum Tragikomischen verdichteten.

Wenig später am selben Ort: Wladimir Putin empfängt Ramsan Kadyrow, den Sohn des ermordeten Republikchefs. Ramsan hat zwar keinen Hochschulabschluss und es bereitet ihm auch Schwierigkeiten, einfache Gedanken zu formulieren. Dafür hat er ein anderes Plus: Als Chef der väterlichen Leibgarde befehligt er mehrere tausend bewaffnete Männer. Ramsan ist der eigentlich mächtige Mann in Tschetschenien.

Putin umarmte den Sohn und ließ ihn gestern zum Vizeregierungsvorsitzenden ernennen. Der Kreml will wohl prüfen, ob Ramsan das Zeug zum Präsidenten mitbringt. Dann könnte Moskau ihn im September zum Nachfolger wählen lassen. Damit wäre auch eine gewisse Kontinuität gewahrt, die sich als kaukasisch verkaufen ließe. Der Sohn übernimmt Moskaus Lehen und Vaters Erbe – Tschetschenien.

Ramsan und seine „Todesschwadronen“ sind in Tschetschenien verrufen, weil sie das Land mit Terror, Raub und Mord überzogen haben. Sie werden vielerorts mehr gefürchtet als russische Militärs. Unzählige Entführungen lastet man der Söldnertruppe an, die sich aus sehr heterogenen Kräften zusammensetzt. Ahmed Kadyrow hat bewusst ehemalige Rebellen in die Sicherheitsstrukturen aufnehmen lassen, um sie einzubinden und Informationen über den Gegner zu erhalten. Der Kreml hat diese landsknechtsartige Masse auch im Rahmen der Strategie instrumentalisiert, den Krieg als innenpolitische Angelegenheit Grosnys erscheinen zu lassen. Das ist auch ein Grund, warum kein Verbrechen der Truppe oder des Kadyrow-Sprosses geahndet wird. Schon ist klar: Nie werden die Tschetschenen Ramsan zum Präsidenten wählen. Müssen sie auch nicht, weil das der Kreml erledigt.

Wladimir Putin steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die mühselig hochgezogene Theaterkulisse eines befriedeten Tschetscheniens ist mit dem Attentat auf Kadyrow zusammengestürzt. Ein ernst zu nehmender Nachfolger lässt sich nicht finden. Denn Moskau war Ahmed Kadyrow behilflich, alle glaubwürdigen politischen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Es gab weder neben noch unter Ahmed Kadyrow eine eigenständige politische Figur.

Das Lügengebäude stürzt nun zusammen. Hätte der Kreml mit solch einem Ausgang nicht rechnen und Vorkehrungen treffen müssen? Hat er vielleicht sogar an die eigenen Propagandamythen geglaubt? Der russische Kaukasusexperte Alexei Malaschenko vom Carnegie-Institut fürchtet gar, Russland stehe wieder am Rande eines Bürgerkrieges. „Putin muss alles tun, um das zu verhindern.“

Der nationalistische Duma-Abgeordnete Dmitri Rogosin empfiehlt, Putin solle die Kaukasusregion der direkten Kontrolle des Kreml unterstellen. Der Präsident zögert indes. Er steht wieder dort, wo er 1999 mit dem Krieg begonnen hat. Manchmal erweckt er den Eindruck, als habe er Angst vor der Macht. Ganz anders als Ramsan Kadyrow.