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Archiv-Artikel

Juristen streiten um Gnadenfristen

Mit geschickten Advokatentricks wehrt sich Dresdens Jura-Fakultät gegen ihre Auflösung

DRESDEN taz ■ Der Delinquent verweigert seine Hinrichtung. Der Delinquent, das ist die Juristische Fakultät der TU Dresden, die sich eigentlich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Im Gegenteil. Politiker lobten sie als Symbol der Nachwendefreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Nun aber steht die universitäre Jurisprudenz Strukturreformen im Wege. Landesregierung und Hochschulen versuchen in Sachsen seit geraumer Zeit einen so genannten Pakt zu schließen. Der garantiert dem Finanzminister, weiterhin Stellen abzubauen – und lässt den Hochschulen dafür die paradoxe Hoffnung, weniger als andere geschröpft zu werden.

Bei dem Pakt, der formell „Hochschulkonsens“ heißt, setzt sich folgender Trend durch: Lieber soll einer richtig bluten als alle ein bisschen. Alle, das sind in diesem Fall die Dresdner Universitäts-Fakultäten, 13 an der Zahl, an denen die Macht des Schicksals vorübergegangen ist. Statt ihrer soll nun die Jurafakultät politisch erledigt werden – und zwar komplett.

Dr. Matthias Rößler (CDU) an der Spitze des Wissenschaftsministeriums ist für das Juristenopfer. Wer unbedingt meint, so sagt der Minister, trotz der Anwaltsschwemme weiterhin Jura studieren zu müssen, könne das ja in Leipzig tun. Und setzte für die Dresdner noch eins drauf: „Was dort in den letzten Jahren immatrikuliert wurde, kann man auch wegkürzen“, urteilte Rößler in seiner gewohnt einfühlsamen Art über die 1.600 Rechtsstudenten. Eine Massenpetition der Fakultät im Landtag forderte daraufhin seine Entlassung. Die allerdings blieb ohne Erfolg. Die CDU hat die Mehrheit im sächsischen Landtag.

Die Wahl: Ja oder Ja

Ohne Erfolg blieb bislang allerdings auch die Hinrichtungsabsicht des Ministers. Denn nicht er und seine Administration, sondern nur die Universität selbst kann eine Fakultät schließen. Rektor Achim Mehlhorn haben der verordneten Selbstverstümmelung bereits zugestimmt – zähneknirschend. „Ich hatte nur die Wahl zwischen Ja und Ja“, sagt der Rektor, der sich am Ende seiner dritten Amtszeit einen anderen Abschied gewünscht hätte. Aber der Glaube an relative Planungssicherheit bis 2009 lassen ihn das Opfer wert erscheinen. Die Dekane der übrigen Fachbereiche weiß er hinter sich. Sonderlich geliebt war die aufsässige Jurafakultät, die ausschließlich mit Westprofessoren besetzt ist, ohnehin nie. „Rette sich, wer kann!“, lautet die Devise für alle.

Das haben sich die Dresdner Juristen allerdings auch gesagt. Sie wehren sich mit allen juristischen Finessen gegen ihre Abwicklung. Jochen Rozek, Juraprof. und Verwaltungsrechtsfuchs, hatte bereits vor drei Jahren gegen die Zusammensetzung jenes Gremiums an der TU Dresden geklagt, das den Juristen den Garaus machte. Das Dresdner Verwaltungsgericht gab ihm Recht – ausgerechnet in der heißen Abwicklungsphase. Der Senat war beschlussunfähig, die Abwicklung ungültig. Also versuchte die Uni-Leitung sodann, Hochschulpakt und zugleich das Ende der Juristen über das Rektoratskollegium durchzusetzen. Auch hier unterlag sie vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen.

Im Überlebenskampf stehen sich die Dresdner Jura-Fakultät, bislang bestätigt von den Gerichten, und die eigene Universitätsleitung im Bund mit dem Wissenschaftsminister gegenüber. Das Ministerium hat die Senatszusammensetzung auf dem Wege der Ersatzvornahme inzwischen geregelt – wiederum formal und materiell anfechtbar, wie eine erneute Verwaltungsgerichtsentscheidung feststellte. Derzeit liegt das Verfahren zum zweiten Mal beim Oberverwaltungsgericht. Und der „Hochschulkonsens“ klemmt weiterhin. Sträuben gegen die Hinrichtung. Nur ein verzweifelter Aufschub? Eines Tages könnte doch ein formal wasserdichter Senatsbeschluss zur Auflösung der Fakultät zustande kommen. Jochen Rozek freilich deutet für diesen Fall an, dass er noch weitere Pfeile gegen den „Hochschulkonsens“ im Köcher habe.

Noch ist die Dresdner universitäre Jurispudenz nicht verloren. MICHAEL BARTSCH