: „Es sind unsere Soldaten“
In Israel leben viele dezidiert politische Filmemacher. Zu ihnen zählt Avi Mograbi. Sein Film „Z 32“ porträtiert einen Soldaten, der Racheaktionen ausführte. Ein Gespräch über das Dilemma, in einem gewalttätigen Land zu leben – und Filme zu machen
Avi Mograbi, geboren 1956 in Tel Aviv, befasst sich immer wieder skeptisch mit der Politik der israelischen Regierung. „Z 32“, seine jüngste Arbeit, folgt den Reflexionen eines ehemaligen Elitesoldaten, der im Westjordanland an einer Racheaktion gegen palästinensische Polizisten beteiligt war. „Z 32“ lief im September bei der Filmbiennale von Venedig; in diesem Zusammenhang fand das nebenstehende Gespräch statt. Einen deutschen Verleih hat „Z 32“ bisher nicht. Mograbis zweitletzter Film, „Avenge But One Of My Two Eyes“ (2005) ist als DVD über www.amazon.de zu beziehen, und die Berliner Videothek Videodrom (www.videodrom.com) führt eine Auswahl seiner Filme. Avi Mograbi hat in seinem Werk zu einer sehr eigenen Mischung aus essayistisch-dokumentarischen Zugang, komödiantischen Elementen und scharfzüngiger, wütender Analyse gefunden. Andere Filmer – Ari Folman etwa mit dem Animationsfilm „Waltz with Bashir“ (2008) oder Amos Gitai mit der Langzeitbeobachtung „House“ (1979) und „A House in Jerusalem“ (1998) – wählen andere ästhetische Zugänge, weisen aber auf ein ähnliches Unbehagen hin: Im Umgang des israelischen Staates mit den Palästinensern liegt so vieles im Argen, dass es auf die israelische Gesellschaft zurückfällt.
INTERVIEW CRISTINA NORD
taz: Herr Mograbi, Ihr Film „Z 32“ erzählt von einem ehemaligen israelischen Elitesoldaten, der sich im Westjordanland an einer Rachemission beteiligte, bei der zwei palästinensische Polizisten getötet wurden. Was bedeutet der Titel des Films?
Avi Mograbi: „Z 32“ ist die Archivnummer seiner Zeugenaussage. Das Archiv gehört zur Organisation Shovrim Shtika, „Das Schweigen brechen“. Ehemalige israelische Soldaten sammeln Zeugenaussagen von Soldaten, die in den besetzten Gebieten stationiert sind oder waren. Ich bin Mitglied von Shovrim Shtika, seit es die Organisation gibt.
Seit wann ist das?
Seit 2004. Ich habe mir viele Zeugenaussagen angehört, transkribiert und archiviert. Eines Tages stieß ich auf zwei sehr interessante Fälle: Z 32 und Z 68, der in derselben Nacht an einer ähnlichen Rachemission teilgenommen hat, wenn auch an einem anderen Checkpoint. Am Anfang wollte ich beide Männer im Film auftreten lassen, aber nach einer Weile wurde mir klar, dass es besser ist, wenn ich mich auf Z 32 konzentriere.
Sind Sie denn auf ihn zugegangen? Oder er auf Sie?
Ich habe die Leute von Shovrim Shtika gebeten, mir seine Telefonnummer zu geben. Ich durfte sie natürlich nicht öffentlich machen oder sagen, wer Z 32 ist. Er kannte meine Filme, das machte die Sache einfacher. Er willigte ein unter der Bedingung, dass ich seine Identität geheimhalte.
Und wie haben Sie auf diese Bedingung reagiert?
Ich habe zu mir gesagt: nein, nein, nein. Ich habe so viele Filme gesehen, in denen die Identität des Protagonisten verborgen bleibt, und das ist so ermüdend. Mir schien es enorm wichtig, dass man ihm in die Augen blicken kann, während er erzählt, was er getan hat – was ja ein fürchterliches Verbrechen ist. Wenn man jemanden sieht, der eine Strumpfmaske trägt, denkt man sofort: Das ist ein Terrorist, ein Dieb, ein Gewalttäter. Aber ich wollte nicht, dass der Zuschauer denkt, er habe es mit einem natural born killer zu tun. Stattdessen soll er merken, dass Z 32 ein ganz gewöhnlicher junger Mann ist, jemand, der er selbst sein könnte oder sein Sohn.
In manchen Szenen des Filmes singen Sie, und in den Liedern geht es um eine Scheidelinie: „die da draußen“, also die Soldaten, versus „wir hier drinnen“. Einmal zum Beispiel erwähnen Sie Ihre Frau, die Sie bittet, Z 32 nicht nach Hause, ins eigene Wohnzimmer zu bringen. Mir scheint, dass Sie diese saubere Trennung für problematisch halten.
Natürlich. Allein schon deshalb, weil es unsere Soldaten sind. So wenig ich die Politik der israelischen Regierung unterstütze, so ist die Armee doch die Armee des Staates Israel. Ich bin ein Bürger des Staates Israel, ich zahle mit meinen Steuern den Sold der Soldaten, also kann ich schlecht sagen: „Mit denen habe ich nichts zu tun.“ Es geht hier ja auch nicht nur um Israel, in anderen Gesellschaften wollen die Leute ja auch nicht hören, welche Verbrechen ihre eigenen Kinder begehen. Es ist nämlich sehr schmerzhaft, über die eigenen Kinder zu urteilen. Und in Israel muss fast jeder zur Armee. Also hat jeder einen Sohn oder eine Tochter in der Armee, und sobald man ein moralisches Urteil über die Armee fällt, fällt man eines über das eigene Kind oder sogar über sich selbst.
Aber Sie haben verweigert und saßen deshalb im Gefängnis, und Ihr Sohn auch. Haben Sie nicht manchmal über Ihren Protagonisten nachgedacht und sich gesagt: „Junge, warum hast du diese Stärke nicht auch?“
Selbstverständlich habe ich mit ihm über die Frage der Verweigerung gesprochen. Er sagt ja selbst, dass er, als er den Befehl zu der Aktion bekam, wusste: Das ist eine böse Sache. Aber er hatte nicht die innere Stärke, Nein zu sagen. Hinzu kommt: Diese Eliteeinheiten sind klein. Es gab elf Soldaten. Er sagte mir: „Hätte ich nicht mitgemacht, wären sie zu zehnt gewesen, das konnte ich ihnen nicht antun.“
Eine Sache fragen Sie sich immer wieder: Will ich diesem Mann eine Zuflucht bieten, ein Obdach in meinem Heim und in meinem Film?
Ich stelle immer in Frage, was ich mache. Wenn man sich mit schwierigen Themen befasst, ist es unausweichlich, dass dabei schwierige Fragen auftauchen. Am Anfang hatte ich das Problem, dass ich sein Gesicht nicht zeigen konnte. Dafür brauchte ich eine technische Lösung. Nachdem wir die digitale Maske …
… die die Augen und den Mund von Z 32 sichtbar lässt…
… nachdem wir die entwickelt hatten, dachte ich: Ja, das ist die Lösung. Aber auch: Dieser Mann hat ein fürchterliches Verbrechen begangen. Mit der Maske biete ich ihm ein Versteck. Was mache ich hier bloß? Ich habe ihm zwar zugesichert, dass ich seine Identität nicht publik mache, aber warum halte ich mein Versprechen? Sollte ich ihn nicht anzeigen?
Wo denn?
Beim Internationalen Strafgerichtshof von Den Haag zum Beispiel. Ich könnte ihn auch im Internet outen. Ich habe meine ethischen Überzeugungen, und manchmal resultiert daraus ein Dilemma: Welche Ethik ist denn jetzt die relevantere? Das Versprechen halten und den Film drehen? Oder diesen Mann anzeigen?
Wie kamen Sie denn darauf, einen großen Teil Ihrer Selbstzweifel in Liedern zu verhandeln?
Das hat viel damit zu tun, dass ich nach meinem letzten Film, „Avenge But One of my two Eyes“, frustriert war. Nicht weil der Film schlecht gelaufen wäre, im Gegenteil, er war überall sehr erfolgreich. Nur: Irgendwie hatte ich gedacht, dieser Film würde wenn nicht die Wirklichkeit verändern, so doch Diskussionen stiften.
Sie meinen in Israel?
Ja, sicher. Aber das fand nicht statt. Anderswo wurde der Film wie eine Waffe und ich wie ein Aktivist betrachtet, der Veränderungen auslöst. Das stimmte einfach nicht. Also musste ich mein Publikum und mich daran erinnern, dass ein Film ein Kunstwerk ist, keine politische Tat. Und wodurch wir das besser unterstrichen als durch Lieder und Operette?
Die Freundin von Z 32 hat sehr einprägsame Auftritte. Wollte sie sich von sich aus beteiligen? Am Anfang sagt sie ja einige Male: „Ich mache das nicht, ich will das nicht.“
Am Anfang betrachtet sie die Kamera als Bedrohung, es ist ihr peinlich, sie fühlt sich unwohl. Ich habe mich oft gefragt, warum ich diese Szene überhaupt zeige. Ich glaube, weil sie ein weiteres Dilemma deutlich macht. Wenn man einen Dokumentarfilm über Menschen macht, beutet man sie aus. Man nutzt und benutzt ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit. Und so aufrichtig und integer man auch sein mag, man bringt sie um ihre eigene Geschichte.
Sie wirkt viel gestresster, leidender als er. Zugleich kann sie sehr gut artikulieren, was seine Teilnahme an der Rachemission heute mit ihrer Partnerschaft anrichtet.
Einerseits ist es für sie einfacher: Sie hat nichts Unrechtes getan. Andererseits kann auch sie sich nicht wirklich mit dieser harten Geschichte auseinandersetzen. Als wir filmten, waren die beiden seit anderthalb Jahren ein Paar; er hatte ihr die Geschichte schon unzählige Male erzählt, so wie traumatisierte Menschen wieder und wieder ihre Geschichte erzählen. Aber sie kannte sich mit den Einzelheiten nicht aus, sie konnte die Geschichte nicht nacherzählen. Am Anfang erinnert sie sich nicht, ob es zwei, sechs oder vier Tote gab. Sie leugnet, und sie muss so agieren, wenn sie ihre Seele nicht verwunden und die Beziehung weiterführen will.
Einmal fragt er sie, ob sie denkt, dass es Mord war. Sie sagt Nein, wickelt dabei aber sehr nervös ihren Schal um ihre Finger.
Ihre Körpersprache ist verrückt in diesem Augenblick. Sie sagt eine Sache, aber man sieht, wie ihr Körper das Gegenteil davon rausbrüllt: „Ja, das war Mord. Die Männer, die ihr getötet habt, waren keine Terroristen, ihr seid einfach dort hingegangen und habt sie erschossen.“
Begreift er sich denn als verantwortlich?
Ja. Er sagt: Ich habe getötet, es war ein Kriegsverbrechen.
Und gibt es für ihn so etwas wie einen Ausweg?
Ich fürchte nicht. Wer kann ihm vergeben? Die Toten kehren nicht zurück. Er wird diese Tat bis an sein Lebensende mit sich herumtragen. Während ich den Film drehte, erfuhr ich von einem Zivilprozess, den die Angehörigen der getöteten palästinensischen Polizisten angestrengt hatten – gegen Israel und jeden, der an der Mission beteiligt war. Sie hatten aber ein Riesenproblem: Wie beweisen sie, dass ihre Angehörigen bei einer Racheaktion getötet wurden? Wer kann das bezeugen?
Nur die israelischen Soldaten.
Genau. Ich habe Z 32 und Z 68 vorgeschlagen, mit den Familien zu kooperieren. Sie waren beide einverstanden unter der Voraussetzung, dass sie sich mit ihren Aussagen nicht selbst belasten. Manchmal kann das, was man als Zeuge in einem Zivilrechtsprozess aussagt, von einem Strafgericht gegen einen verwendet werden. Es ging dann aber so weiter, dass die Angehörigen der Opfer von Z 32 gar nicht mehr in dem Prozess vertreten waren, nur mehr die von Z 68. Der steht tatsächlich in Kontakt mit einem palästinensischen Anwalt. Vielleicht ist das doch noch mein kleiner Beitrag zur Veränderung der Wirklichkeit, denn es wäre eine Präzedenzfall, dass ein israelischer Soldat auf der Seite der palästinensischen Angehörigen aussagt.