: „Das Bild der folternden Soldatin ist nur scheinbar sensationell“, sagt Karin Gabbert
Viele sind schockiert, dass Frauen foltern. Doch erstaunlicher ist, dass das Pentagon die Bilder nicht kontrollieren kann
taz: Frau Gabbert, haben Sie eine Erklärung dafür, dass auf den Folterfotos aus dem Irak immer wieder eine Frau zu sehen ist?
Karin Gabbert: Ich könnte mir vorstellen, dass die Medien nach Fotos mit starker Wirkung gesucht haben. Es sind ja hunderte dieser Fotos gemacht worden. Unter Medienaspekten ist die Frau als Täterin das Unerwartete, wirkt also stärker.
Haben diese Bilder auch Sie als Militärexpertin überrascht?
Nein. Dass Frauen das Gleiche machen wie Männer, wissen wir schon lange. Überraschender ist das Ausmaß des Kontrollverlusts der US-Regierung, sowohl militärisch als auch medienpolitisch. Das Überraschende ist, dass diese Szenen stattfinden und an die Öffentlichkeit kommen konnten.
Auch in US-Knästen wird gefoltert – gibt es einen Zusammenhang zur Praxis im Irak?
Gefangene in den USA werden oft als Personen angesehen, die ihre bürgerlichen Rechte verwirkt haben. Und das Personal in Abu Ghraib ähnelt dem vieler US-Gefängnisse, die zunehmend von privaten Sicherheitsfirmen und Exmilitärs geführt werden. Insofern ist das, was wir auf den Fotos sehen, sehr amerikanisch – und nicht unamerikanisch, wie Donald Rumsfeld meint.
Die Folterer im Irak handelten also wie normale Wärter?
Nein, es waren ja Reservisten, die nicht im Geringsten für diese Arbeit ausgebildet sind. Ein Typ wie Charles Graner, der seine Frau in den USA mehrfach misshandelt hatte, hat sich eigentlich für den normalen Militärdienst in den USA disqualifiziert, er hätte da keine Chance. Aber um Iraker zu bewachen, scheint er gut genug gewesen zu sein.
Sie sagen so locker, dass sich Frauen betreffs Gewaltausübung so verhalten wie Männer. Ist die Schwelle zur Gewalt nach einer traditionellen Mädchenerziehung nicht doch höher?
Das ist meiner Meinung nach Quatsch. Männer unterliegen öfter Bedingungen, die Gewalt hervorrufen können. Wenn Frauen diesen Bedingungen auch ausgesetzt werden, handeln sie genauso. Es wurde ihnen gesagt, dass ihre Gefangenen potenzielle Terroristen seien. Der Geheimdienst hat offenbar ausgenutzt, dass diese Reservisten die Regeln des Kriegsrechts überhaupt nicht kennen. Übrigens war nicht nur die Leiterin des Gefängnisses eine Frau, sondern auch die Chefin des Militärgeheimdienstes, die diese Folterungen wohl zumindest gebilligt hat.
Früher durften Frauen nicht in Kampfeinheiten dienen, heute befehlen sie Folter. Kehrt sich jetzt das kollektive Bild von der Frau im Militär um?
Das ist ein Medienphänomen, das sich schnell abnutzen wird. Vorher produzierten die Medien das Bild von der schwachen Frau als Opfer und berichteten über Vergewaltigungen – jetzt ist es interessant, dass sich das Bild so drastisch umkehren lässt. Gleich geblieben ist dabei, dass Frauen ins Bild kommen, sobald es um Sexualität geht. Sie bleiben indes außen vor, wenn sie eine professionelle Rolle einnehmen, etwa Kampfpilotin sind. Dabei ist das auch neu.
Bedeutet der Reiz der Umkehrung auch, dass sexuelle Gewalt an Frauen jetzt in der Wahrnehmung verblasst?
Das kann es bedeuten. Im Gefängnis von Abu Ghraib sollen auch inhaftierte Frauen vergewaltigt worden sein. Doch das scheint im Moment als Bild weniger interessant zu sein. Auch die zahlreichen Vergewaltigungen innerhalb der US-Truppe im Irak sind in der Öffentlichkeit kaum auf Interesse gestoßen.
Im Golfkrieg 1991 dienten die Soldatinnen den USA als Zeichen für einen sauberen Krieg. Ist dieses Bild jetzt dahin?
Das Bild ist schon lange dahin. Damals wie heute hat das Pentagon versucht, den Krieg auch über Frauen zu inszenieren. Nur klappt das diesmal nicht. Diesmal sollte Jessica Lynch die Heldin mimen. Aber sie hat nicht mitgemacht. Sie hat gesagt, dass sie sich nicht tapfer verteidigte und die Iraker keine Bestien gewesen seien. Lynndie England repräsentiert nun das endgültige Versagen der Armee und der Propaganda der US-Regierung.
Der konservative britische Spectator macht sein neues Heft mit der Aufforderung auf „Don’t send women to war“. Unterzeile: „Die Araber vertragen Brutalität, aber nicht von US-Frauen.“ Könnte das Bild von Lynndie England dazu beitragen, die Frauen wieder aus der Armee herauszutreiben?
Konservative könnten das Bild nutzen wollen – aber solche Kampagnen werden wohl wirkungslos bleiben. Denn die US-Armee hat einen enormen Bedarf an Rekruten – sie braucht qualifizierte Frauen und Frauen als Kanonenfutter. Die Unterzeile ist reine Ideologie. Niemand verträgt Brutalität – ob von Frauen oder von Männern. Fragen Sie mal von Männern sexuell missbrauchte Männer im US-Militär. Die vertragen das so wenig, dass sie noch nicht mal darüber zu reden wagen. INTERVIEW: HEIDE OESTREICH