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Archiv-Artikel

Die jungen Selbstbewussten

VON CRISTINA NORD

Wolfgang Beckers Tragikomödie „Good Bye, Lenin!“ erfreut sich weltweiter Publikumsgunst. Für „Nirgendwo in Afrika“ erhielt Caroline Link im vergangenen Jahr einen Auslandsoscar. In Venedig durfte sich Katja Riemann über einen Darstellerpreis für ihre Leistung in „Rosenstraße“ freuen. Der Goldene Bär, der Hauptpreis der Berlinale, ging an Fatih Akins „Gegen die Wand“, und eben hat uns eine neue Erfolgsmeldung erreicht: Zum ersten Mal seit elf Jahren läuft ein deutscher Film im Wettbewerb der heute beginnenden Filmfestspiele von Cannes. Was keinem Regisseur vergönnt war, seit Wim Wenders für „In weiter Ferne, so nah“ den Großen Preis der Jury entgegennahm, Hans Weingartner hat es mit „Die fetten Jahre sind vorbei“ geschafft.

Das freut die, die auf das Kino blicken wie auf eine Fußballweltmeisterschaft. Die Sonntagsredner, die Branchenvertreter, die Filmförderer, die Kulturstaatsministerin – sie alle werden nun wieder vom neuen Selbstbewusstsein des deutschen Films schwärmen. Wie vor einem Jahr beim deutschen Empfang in Cannes. Christina Weiss freute sich, weil Max Färberböcks Film „September“ in der Nebenreihe „Un certain régard“ präsentiert wurde. Obwohl ein Wettbewerbsbeitrag fehlte, war das genügend Anlass für „Wir sind wieder wer“-Rhetorik. Doch sie täuschte sich. Färberböcks Machwerk, ein Zusammenschnitt diverser privater Dramen im Schatten des 11. September 2001, beleidigte sowohl das Sujet als auch jedes ästhetische und dramaturgische Empfinden. Sprach Weiss – die ja in ihrer Amtszeit über so wichtige Dinge wie die Novelle des Filmfördergesetzes und die Umgestaltung des Deutschen Filmpreises zu befinden hatte und hat – aus Unkenntnis des Films heraus, oder hatte sie ihn gesehen und fand ihn dennoch, wie sie sagte, „interessant“? Schmeichelhaft wäre keines von beidem, zumal in ihrer Rede ein Automatismus am Werk zu sein schien: Wenn es einer deutschen Produktion gelingt, international mitzuspielen, dann ist es das per se ein Grund zur Freude.

Es gibt da eine merkwürdige Tautologie im Umgang mit dem deutschen Film. Anstatt auch nur einen Gedanken auf ästhetische Kriterien zu verwenden, reicht es den Sonntagsrednern, wenn ein Film deutsch ist. Damit erübrigen sich alle weiteren Fragen, und man kann ungestört in der Inszenierung dessen fortfahren, was der Regisseur Christian Petzold („Die innere Sicherheit“, „Wolfsburg“) in einem Interview mit der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation einmal so beschrieb: „Ich finde es viel schlimmer, dass bei uns so getan wird, als ob es eine Filmwirtschaft gäbe. Und es gibt ganz viele Leute, die das Spiel mitspielen – mit roten Teppichen, Limousinen und all dem Zeug. Aber die spielen im Grunde nur Film nach, in einer Fünfzigerjahre-Aufführung.“

Dass die gefeierten Filme oft dem Nachkriegskino näher stehen als zeitgenössischen internationalen Filmschaffen, wurde im Fall von Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ besonders deutlich: Der Film, der von dem Spätheimkehrer Richard Lubanski (Peter Lohmeyer) und dem Endspiel der Fußball-WM 1954 erzählt, badet in Nostalgie. Im üppigen Gewand des Zeitkolorits schafft er Platz für die Geschichte einer dreifachen Aussöhnung: Deutschland söhnt sich mit der Welt aus, der Spätheimkehrer mit seiner Familie und der kleine Mann mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dabei beschränkt sich Wortmann nicht darauf, die historische Entwicklung, die so ja in Westdeutschland stattgefunden hat, zu registrieren; er affirmiert sie. Wenn Lubanski am Ende Tränen vergießt, dann hat „Das Wunder von Bern“ die Schrecken des Nationalsozialismus in weite, weite Ferne gerückt. Trotzdem – oder deswegen? – ist Wortmanns Film in diesem Jahr in mehreren Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert, darunter für die beste Regie und den besten Spielfilm.

Margarethe von Trotta ist von der falschen Sentimentalität eines Wortmann zwar weit entfernt, dennoch packt auch sie die Härte der Geschichte in die weichen Polster des Erzählkinos. Ihr Film „Rosenstraße“ widmet sich einem der raren Fälle deutschen Widerstands gegen das NS-Regime, dem am Ende erfolgreichen Protest zumeist nichtjüdischer Frauen gegen die Internierung ihrer Ehepartner in der Berliner Rosenstraße im Winter 1943. Man muss nun nicht so weit gehen wie der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz und „Rosenstraße“ Geschichtsklitterung vorwerfen. Kein Spielfilm, der sich eines historischen Sujets annimmt, wird auf Zuspitzung und auf Dramatisierung verzichten. Doch einen distanzierteren Blick hätte man sich sehr wohl gewünscht. Wer sich die Filme ins Gedächtnis ruft, die Rainer Werner Fassbinder über den Nationalsozialismus und die Wirtschaftswunderjahre drehte, wird deren Intelligenz in „Rosenstraße“ oder „Das Wunder von Bern“ schmerzlich vermissen.

Hinzu kommt, dass der große Erfolg einzelner Filme die schwierigen Arbeitsbedingungen für junge FilmemacherInnen eher vergessen macht. Das neue Filmfördergesetz lässt wenig Spielraum für Filme, die niedrige Einspielergebnisse erzielen. Um etwa in den Genuss von Referenzfilmförderung zu kommen, benötigt ein Film mindestens 150.000 Punkte, was 150.000 Zuschauern entspricht (vor der Novellierung waren es 100.000). Er kann sich zwar seine Erfolge bei Festivals gutschreiben lassen – die Teilnahme am Wettbewerb von Cannes, Venedig oder Berlin etwa bringt 150.000 Punkte – jedoch nur unter der Voraussetzung, dass mindestens 50.000 Menschen den Film in deutschen Kinos sehen. Für Fatih Akins „Gegen die Wand“ sicher kein Problem, für einen weniger zugänglichen Film wie Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“ aber sehr wohl – womit über die Qualität des einen wie des anderen noch nichts gesagt ist. Und auch wenn die Schwellen bei Debütfilmen niedriger ausfallen, drängt sich der Eindruck auf, dass die Förderung vorrangig die Marktfähigkeit eines Films statt seiner künstlerischen Qualitäten in den Blick nimmt.

Das ist umso trauriger, als das Interessante im deutschen Film dort passiert, wo es mit der Marktfähigkeit nicht eben weit her ist. Nach der Ödnis der Beziehungskomödien und importierten Genrerezepturen – dem Kino der Achtziger- und Neunzigerjahre – gibt es seit einigen Jahren wieder einen jungen Film. Und wer mit Neid auf das Nachbarland Österreich schaut, wo junge Regisseure und vor allem Regisseurinnen (Barbara Albert zum Beispiel oder Jessica Hausner, die mit „Hotel“ in Cannes in einer Nebenreihe vertreten ist) sich an ein entschlacktes Kino wagen, nun, der hat nicht genau genug hingeschaut. Denn auch hier gibt es ein Kino, das vor den herrschenden, deprimierenden Zuständen die Augen nicht verschließt und dabei das Bewusstsein für die Form nie vergisst.

Angefangen hat es mit den Filmen Thomas Arslans und Angela Schanelecs. Schanelec schaute in „Plätze in Städten“ (1998) oder „Mein langsames Leben“ (2001) den Figuren dabei zu, wie sie sich wie Fremdkörper durch ihr eigenes Leben bewegten. Sie interessierte sich nicht für die großen, die dramatischen Momente, sondern für den Stillstand, den Leerlauf, die Ziellosigkeit. Als sie „Mein langsames Leben“ auf der Berlinale zeigte, konnte das Publikum mit ihrem reduzierten Stil nicht viel anfangen. In der taz sagte Schanelec dazu: „Natürlich sind solche Reaktionen hart, aber das ist auch eher typisch für das Publikum in Berlin. Auf anderen Festivals waren die Leute viel aufgeschlossener und höflicher“ – eine Erfahrung, die so auch andere junge Regisseure gemacht haben.

In Cannes zeigt die Regisseurin ihren jüngsten Film in der Reihe „Un certain régard“. „Marseille“ folgt einer jungen Frau, die nicht recht weiß, wohin mit sich. In die südfranzösische Stadt? Nach Berlin? Dabei gibt sie sich einer von Tschechow abgeschauten Langeweile hin. Wie dabei Lichtpunkte gesetzt werden, wie der Vordergrund des Bildes mit dem Hintergrund korreliert und wie das Filmbild und der Schnitt den Stadtraum konstruieren, weisen Schanelec als Regisseurin aus, der es ernst ist um das Filmische: Nicht der Plot beherrscht „Marseille“, sondern das Bild und dessen Bewegungen.

Ähnliches gilt für Arslans Filme: In „Kardeșler – Geschwister“ (1997), „Dealer“ (1999) und „Der schöne Tag“ (2001) geschieht jeweils wenig. Die Protagonisten sind junge Deutschtürken, doch der Regisseur spart sich die üblichen Dramen von Kulturkonflikt und Wertekollision. Es kommt ihm nicht darauf an, was die Figuren tun, sondern darauf, wie sie im Bild platziert sind. Die statische Kamera und die langen Einstellungen schärfen den Blick auf die Achsen des Bildes, auf die leeren und die gefüllten Bildflächen und damit auf die dem Film eigene Grammatik. Diese Betonung der Form blendet die Gegenwart gerade nicht aus, sondern fängt sie en passant ein, ohne dafür den Dialog oder die Story zu bemühen.

Das Schöne an diesen neuen Filmen – und zugleich das, wodurch sie sich von Produktionen wie „Das Wunder von Bern“, „Was nützt die Liebe in Gedanken“ oder „Herr Lehmannn“ unterscheiden – ist, dass sie plötzlich wieder etwas über die Verhältnisse, in denen wir leben, vermitteln. Über die Art zu sprechen und sich zu bewegen, die Art, sich zu kleiden, die Art, sich anderen gegenüber zu verhalten. Dabei beschränken sich die Regisseure nicht auf Selbstbespiegelung und Nabelschau, sondern erschließen neue Terrains. Gab es bis vor einiger Zeit kaum je ein anderes Setting als die Wohn- und Erfolgswelten von Mittdreißigern, führen die neuen Filme ins deutsch-polnische Grenzgebiet (Hans Christian Schmids „Lichter“, Henner Wincklers „Klassenfahrt“, Christoph Hochhäuslers „Milchwald“), nach Mittelhessen (Ulrich Köhlers „Bungalow“), nach Sachsen-Anhalt (Michael Schorrs „Schultze gets the Blues“) oder in ein Berlin-Mitte, das den Hackeschen Markt nicht zu kennen scheint (Valeska Griesebachs „Mein Stern“). Sie schildern unbekannte Milieus, ohne dabei der Sozialromantik zu verfallen. Sie erkunden die Bedingungen der Existenz, die Arbeit, die Nichtarbeit und die Schizophrenien neoliberalen Wirtschaftens (zum Beispiel Franz Müllers „Science Fiction“ oder Sören Voigts „Identity Kills“). Sie wissen genau, wer ihre Figuren sind und wie deren Alltag aussieht, kurz: Sie sind in der Gegenwart angekommen.