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Archiv-Artikel

Steuern rauf, Herr Minister!

VON BETTINA GAUSUND ULRIKE HERRMANN

1. Der Staat darf uns etwas kosten

Geiz ist geil: Im Land der Schnäppchen fällt es schwer einzusehen, dass öffentliche Angebote wie Nahverkehr und Bildung teuer sind. Und überhaupt: Tun Staatsbedienstete eigentlich etwas? Hartnäckig hält sich der Eindruck, dass die Beamten Faulpelze der Luxusklasse sind, die gut verdienen und sich hinter ihrem Schreibtisch ausruhen. Die Bürger fühlen sich als Opfer einer Institution namens „Der Staat“, mit dem sie nichts zu tun haben. Man besucht nur Schulen, will Kindergärten und Bibliotheken, benutzt Straßen, fordert Sicherheit und Sauberkeit. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Nein, aber das kostet Personal und hat eben seinen Steuerpreis. Der Staat ist kein Discounter.

2. Soziale Sicherheit ist Sicherheit

Der Abbau von Sozialleistungen und die Schließung öffentlicher Einrichtungen werden immer wieder zu einem probaten Mittel für die Haushaltssanierung erklärt. Nun kommt eine Gesellschaft durchaus ohne öffentlich geförderte Jugendzentren und Sportstätten aus. Sie kann sogar Massenarbeitslosigkeit verkraften, eine schlecht bezahlte und deshalb korrupte Polizei und viele Analphabeten, deren Eltern sich den Schulbesuch nicht haben leisten können. In der so genannten Dritten Welt gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Der Schutz von Eigentum und sogar der Schutz des eigenen Lebens kommt unter solchen Umständen allerdings jene teuer zu stehen, die in der Lage sind, überhaupt dafür bezahlen zu können. Je geringer der staatlich garantierte Mindeststandard der sozialen Sicherheit ist, desto mehr kostet der – oft fast vollständig privatisierte – Schutz vor Kriminalität. Sicherheitsdienste, Alarmanlagen, stacheldrahtbewehrte Mauern: In manchen Ländern erinnern Einfamilienhäuser an Fort Knox. Wer es sich nicht leisten kann, das eigene Heim in eine Festung umzubauen, greift oft zum Mittel der Selbstjustiz und bewaffnet sich entsprechend. Manche – scheinbar – harmlosen Kürzungen im Sozialbereich fordern langfristig einen hohen Preis.

3. Steuern schaffen Arbeit und vermeiden Bürokratie

In Deutschland ist ein merkwürdiges Ungleichgewicht zu beobachten: Die Steuerquote – der Anteil der Steuern am Volkseinkommen – liegt sensationell niedrig. Schon vor der letzten Steuerreform erreichte die Quote ganze 21,7 Prozent. Nur die Japaner bezahlen noch weniger Steuern. Stattdessen rasen die Sozialabgaben in Deutschland davon, sie belaufen sich auf weit mehr als 40 Prozent des Bruttolohns. Diese Zusatzkosten schrecken Arbeitgeber ab, neues Personal einzustellen. Die Lösung scheint so naheliegend: Umschichtung. Die Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung werden gesenkt und dafür die Steuern erhöht, die dann zum Teil in die Sozialsysteme fließen. Eine exotische Idee? Der rot-grüne Vorschlag einer Bürgerversicherung ist nicht weit davon entfernt. Wenn man auf alle Einkommensarten – also auch Mieten, Pachten oder Zinsen – künftig einen Beitrag für die Krankenversicherung leisten soll, dann wirkt dies genau wie eine Steuer. Nur komplizierter. Es wäre eine echte Hilfe zum Bürokratieabbau, stattdessen gleich die Einkommensteuern zu erhöhen.

4. Wachstum gibt es – mit Steuern

Deutschland kennt ein neues Wort: das „Angstsparen“. Die Bürger konsumieren kaum noch, sie horten. Die Binnennachfrage stagniert, während die Ausfuhren weiter steigen. Doch der Titel „Exportweltmeister“ nutzt nichts: Auch im Zeitalter der Globalisierung ist der Inlandsmarkt entscheidend, um die Konjunktur zu beleben. Der deutsche Nachfrager aber ist störrisch – selbst Steuergeschenke animieren ihn nicht. Diese Enthaltsamkeit ist keineswegs neu, sondern war schon nach der ersten Stufe der Steuerreform zu beobachten. Es verwundert daher höchstens die Erfinder, dass auch die weiteren Entlastungsschritte verpuffen. Gleichzeitig, wirklich tragisch, wird beim einzigen Nachfrager gespart, der nur zu gern investieren möchte: beim Staat. Schulen sind marode, Straßen und Bahnstrecken ebenso; Kommunen müssen selbst nötige Beratungsstellen schließen; Forschungsprogramme werden gestrichen, die Klassen sind zu groß und die Universitäten überlastet. Der Bedarf an Lehrern, Professoren, Bauarbeitern oder Sozialpädagogen ist enorm. Mögliches Wachstum wird künstlich beschnitten, weil angeblich nur die Privatwirtschaft florieren darf. Ein Drittwagen ist immer willkommen, aber eine einmalige Schuldenberatung gilt inzwischen als Luxus.

5. Umverteilung ist unvermeidlich

Neokonservative behaupten seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Welt, die soziale Marktwirtschaft in ihrer derzeitigen Form habe zu einer gigantischen Umverteilung von oben nach unten geführt. „Neidgesellschaft“ und „Besitzstandswahrung“ sind Ausdrücke, die in diesem Zusammenhang häufig fallen. Sie werden durch Wiederholung allerdings nicht richtiger. Seit Jahren findet die Umverteilung von unten nach oben statt. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft. Die Entwicklung beschleunigt sich, je geringer die Steuereinnahmen eines Staats sind. Ein Beispiel von vielen: Je schlechter staatliche Schulen ausgestattet sind, desto mehr Vermögende schicken ihre Kinder auf Privatschulen – und desto geringer wird der politische Druck, den Standard öffentlicher Bildungseinrichtungen aufrecht zu erhalten. Ein Teufelskreis, der auch für die Reichen teuer werden kann. Höhere Steuern kämen selbst für sie eventuell billiger, wenn man sie gegen Schulgebühren aufrechnete.

6. Steuern bedeuten Minderheitenschutz

Steuermittel schützen die Rechte und Bedürfnisse von Minderheiten – also die von uns allen. Denn jedes Mitglied der Gesellschaft gehört zu einer oder gar mehreren Minderheiten: junge Eltern, die sich Erziehungsurlaub leisten wollen oder einen Kindergartenplatz brauchen. Alte Menschen, die schlecht zu Fuß sind und deshalb für ihre Bewegungsfreiheit auf Fußgängerampeln und Aufzügen in U-Bahn-Stationen angewiesen sind. Die Bewohner abgelegener Gebiete, in denen öffentliche Verkehrsmittel nicht kostendeckend fahren können. Der Begriff der Subvention hat zu Unrecht einen anrüchigen Klang bekommen. Es geht in diesem Zusammenhang eben nicht nur um Kohle, sondern auch um Kitas – also um die Möglichkeit, Politik für Teilgruppen der Gesellschaft zu gestalten.

7. Steuern könnengerecht sein

Eine Steuererhöhung kommt, fragt sich nur, welche. Die Regierung dementiert noch, aber irgendwann dürfte die Mehrwertsteuer steigen – um jene Defizite teilweise auszugleichen, die durch die Steuerreformen entstanden sind. Damit wäre die Umverteilung von unten nach oben perfekt. Dann würden alle Konsumenten dafür zahlen, dass der Spitzensteuersatz für einige gesunken ist – eine erstaunliche Bilanz für eine sozialdemokratische Regierung. Es ist nicht besonders sexy, wäre aber vernünftig: Die Steuerreform zurückzunehmen, ohne die Geringverdiener allzu sehr zu belasten. Denn an den verkorksten Finanzreformen war immerhin richtig, die Grundfreibeträge zu erhöhen und die Eingangssteuersätze zu senken. Davon profitieren übrigens nicht nur die ärmeren Schichten, wie viele meinen – sondern alle Steuerzahler. Denn es ist keineswegs so, dass Großverdiener ihr gesamtes Einkommen zum Spitzensatz versteuern. Auch bei ihnen sind die ersten 7.664 Euro pro Jahr steuerfrei und danach gilt auch für sie zunächst ein Steuersatz von momentan 16 Prozent.

8. Steuern garantieren die Freiheit

Der Begriff der Solidargemeinschaft hat einen seltsamen Bedeutungswandel erfahren. Vor allem gut Verdienende und Vermögende scheinen inzwischen zu glauben, er habe etwas mit staatlich verordneter Mildtätigkeit zu tun. Dabei kann er weit umfassender verstanden werden: nämlich als die Bereitschaft der Gesamtgesellschaft, ihren einzelnen Mitgliedern über die Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums hinaus das größtmögliche Maß an Verwirklichung ihrer eigenen Interessen und Neigungen zu ermöglichen – und dafür selbst dann zu bezahlen, wenn jeweils nur wenige aus staatlichen Zuschüssen einen Nutzen ziehen. So verstanden, basiert jede subventionierte Opernkarte auf dem Prinzip der Solidargemeinschaft. Eine so weit reichende Definition des Begriffs lässt sich allerdings nicht mit Inhalt füllen, wenn der Staat infolge eines allzu hohen Schuldendienstes jede Handlungsfreiheit einbüßt. Oder wenn die Steuern zu niedrig sind. So wie jetzt.