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Archiv-Artikel

Fertig zum Neustart

Der Verkauf von Post- und Telekomanteilen soll das Steuerreformprojekt und damit auch die Regierungskoalition zum ersehnten Erfolg führen

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Es ist, als gelänge es noch einmal, Oskar Lafontaine aus dem Amt zu scheuchen. Die Regierung steht in der zweiten Legislatur, nach dem zweiten Fehlstart vor dem zweiten Wendepunkt. Vorbereitet durch die Agenda 2010 soll nun wieder in der Finanzpolitik ein Neustart gelingen. Offizieller Termin ist Sonntag gegen halb zwei. Dann wird sich der Kanzler vor der historischen Kulisse des brandenburgischen Schlosses Neuhardenberg an ein Mikrofon stellen und drei Dinge verkünden: Das Kabinett steht voll hinter der Agenda 2010, Bundesfinanzminister Hans Eichel hat einen soliden und verfassungskonformen Haushalt vorgelegt. Und drittens: Die dritte Stufe der Steuerreform wird auf 2004 vorgezogen. So jedenfalls der Plan.

Wenige Tage zuvor sieht es so aus, als gelänge er. Wieder einmal lastet die zentrale Verantwortung für den Neustart auf dem Finanzminister. Er muss nicht nur ein konjunkturbedingtes Loch von 12 Milliarden Euro im Haushalt 2004 stopfen, er muss zusätzlich rund 8 Milliarden Euro organisieren, um die Steuerreform vorziehen zu können – beides beträchtliche Brocken.

Seit Tagen reist Eichel unbeirrt von Minister zu Minister, um die Kürzungen unter vier Augen auszuhandeln. Eine schwierige Mission. Wie um das zu illustrieren, schlug am Montagabend ein Blitz in Eichels Bundeswehrmaschine ein, hinderte ihn etwas später das Unwetter daran, rechtzeitig zum Termin mit der Sozialministerin zu jetten.

Um die Einnahmeausfälle zu schultern, will Hans Eichel erklärtermaßen erneut an die Subventionen ran, an deren Abbau er im Frühjahr schon einmal im Bundesrat gescheitert war. Doch nach anfänglicher Zustimmung aus der Öffentlichkeit mehrt sich inzwischen die Kritik vor allem von Ökonomen, dass ein Vorziehen der Steuerreform wirkungslos verpuffen würde, wenn man gleichzeitig massiv Subventionen abbaut. Die Botschaft an den Konsumenten wäre schließlich: „Was ich dir in die linke Tasche stopfe, hole ich aus der rechten wieder heraus.“ So würde nicht der Konsum, sondern höchstens die Sparquote steigen.

Als Alternative lässt die SPD-Führung – allen voran SPD-Fraktionschef Franz Müntefering – seit Tagen durchblicken, es könnten doch noch ein wenig mehr Schulden gemacht werden. Doch insbesondere den Grünen dämmert, dass das vielleicht zu sehr an Lafontaine erinnert. Ihr Parteichef Reinhard Bütikofer brachte am Montag eine neue Geldquelle ins Gespräch: Privatisierung von Bundeseigentum. Der Parteirat, so berichtete Bütikofer, halte „solche einmalige Einnahmen“ für sinnvoll. Damit nahm die Debatte eine überraschende Wende. Selbst Wirtschaftsforscher waren auf Anfrage der taz überrascht, dass da noch nennenswerte Beträge zu holen sein sollen. Doch tatsächlich schlummert hier noch ein zweistelliger Milliardenbetrag (s. unten). Auch im Finanzministerium wird diese Möglichkeit geprüft.

In Koalitionskreisen wird nicht einmal ausgeschlossen, dass bereits zur Finanzierung des konjunkturbedingten Haushaltsloches 2004 weitere Privatisierungen eingestellt werden könnten. Finanzexperten der Koalition rechnen nach taz-Recherchen damit, dass allein aus Privatisierungen von Telekom, Post und deren Tochterunternehmen realistisch rund acht Milliarden Euro erzielt werden könnten. Eichel hätte auf einen Schlag viele Probleme gelöst. Denn dem Schuldenmachen sind klare Grenzen gesetzt: Gestern ließ die EU-Kommission erneut durchblicken, dass selbst in der jetzigen Stagnation keine beliebige Neuverschuldung geduldet würde. Freilich darf Eichel selbst die Privatisierung nicht ins Gespräch bringen – damit würde er nur renitente Kabinettsmitglieder wie Sozialministerin Schmidt (SPD) munitionieren.

Um den Schein soliden Haushaltens aufrechtzuerhalten, will Eichel denn auch erst einmal einen Haushalt 2004 vorlegen, in dem die Steuerreform noch nicht eingerechnet ist. Darin muss die Neuverschuldung unter den gut 26 Milliarden Euro Investitionen bleiben, um verfassungskonform zu sein. Die Steuerreform soll erst anschließend als Wachstumsimpuls eingerechnet werden, für den zur Not auch eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ festgestellt werden kann; die Verfassung erlaubt dann auch höhere Neuverschuldung. Durch dieses Vorgehen würde einerseits die Union zu Zugeständnissen im Bundesrat gezwungen, zum anderen signalisiert man der EU so den Willen zur Strukturreform.

Doch um die psychologische Wirkung beim Verbraucher – und Wähler – herzustellen, sollten Schulden wie Subventionsabbau moderat bleiben. Nur dann stellt sich das Gefühl ein, nicht von neuen Gräueltaten überrascht zu werden. Und damit auch wieder die Konsumlust. Dazu hilft nur Privatisieren.