: Kosmische Verwertungslogik
Festival der Technofundamentalisten: Ganz ohne Jägermeistercappies feiern die Organisatoren zum siebten Mal das alternative Fusion-Festival auf einem Militärflugplatz an der mecklenburgischen Seenplatte
von JAKOB KIRCHHEIMER
Heute Abend wird an der mecklenburgischen Seenplatte über Nacht eine Stadt mit über 20.000 Einwohnern entstehen. Eigentlich nichts ungewöhnliches, seitdem die Festivalindustrie auch den wilden Osten links und rechts der Autobahn 24 für sich entdeckt hat.
Und doch unterscheidet sich das Fusion Festival auf dem ehemaligen sowjetischen Militärflugplatz Lärz erheblich von der Loveparade und artverwandten Megaveranstaltungen. Vergeblich sucht man zwischen den grasbewachsenen Hangars Brauereioutlets und Jägermeistercappies. Dafür finden sich Parolen an Wänden und Ausführungen zu Kunst und kapitalistischer Verwertungslogik auf der Website des Veranstalters, dem Kulturkosmos Müritz e.V.
Informationsanfragen der Presse lehnen die Organisatoren zumeist ab, um, wie sie sagen, den Charakter des Festivals nicht zu verändern. Im Bild von Techno als Soundtrack einer Jugendbewegung, die sich in den 90ern so vehement von ihren ideologisierten Vorgängern der 70er und 80er abgrenzte, tun sich Risse auf. Hat sich die Spaßgesellschaft etwa heimlich repolitisiert?
Martin Eulenhaupt, der Vorsitzende des Kulturkosmos weiß es besser: „Als Ende der 80er Jahre der Techno aufkam, war es noch eine sehr subkulturelle, rebellische Szene. Das ging zunächst an den großen Labels vorbei und schuf Freiräume. Dieses Potenzial wollen wir erhalten und ausbauen. Wir sind sozusagen die Fundis der Bewegung.“
Seit 1997 veranstalten er und die 24 weiteren Mitglieder des Kulturkosmos das Event in Mecklenburg-Vorpommern. Der Verein ging aus einer losen Gruppe Hamburger und Berliner Künstler und Kulturschaffender hervor. Diese organisierte seit Mitte der 90er als Kollektiv Undergroundparties, um einen Gegenpol zur zunehmenden Kommerzialisierung der Technokultur zu bilden. Inzwischen hat das Festival die Grenzen des Undergrounds und des Genres längst gesprengt.
Aus der relativ überschaubaren Veranstaltung mit Besucherzahlen um die 3000 ist eine der größten in Deutschland geworden: An vier Tagen, an denen verschiedene Künstlergruppen die Hangars zu Clubs umfunktionieren, werden über 200 Acts auftreten und knapp 20.000 Besucher kommen. Kino, Ausstellungen und ein staatlich subventioniertes Theaterprogramm erweitern das Angebot.
Dementsprechend groß ist auch der Aufwand, der Jahr für Jahr getrieben werden muß, um das Festival auf die Beine zu stellen. Im September werden die Organisatoren bereits mit der Planung für die Fusion 2004 beginnen. Hängt da nicht das Damoklesschwert der Professionalisierung über der kollektiven Idylle?
Martin Eulenhaupt weist das von sich: „Sicher sind wir ernsthafter geworden, aber es ist uns wichtig zu beweisen, wie viel man mit diesen alternativen Strukturen erreichen kann.“ In einer Reihe von Fällen sind die Kulturkosmonauten bereits ihrer Beweislast nachgekommen.
Im April gelang es dem Verein nach Jahren erbitterten lokalpolitischen Widerstandes endlich das Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes zu kaufen. Nebenbei haben sie auch noch die Trägerschaft für den von der Schließung bedrohten Jugendclub Lärz übernommen und wollen in Zukunft ein selbstverwaltetes Jugendzentrum etablieren.
So entwickelt sich aus dem Festivalprojekt zunehmend ein soziokulturelles Gesamtkonzept. Dennoch bleiben Zweifel, wie weit sich die Kulturkosmonauten langfristig der kapitalistischen Verwertungslogik entziehen können. Der Kauf des Geländes bedeutet nicht nur eine gesicherte Zukunftsperspektive für die Betreiber, sondern auch finanzielle Verbindlichkeiten über Jahre hinweg.
Nicht unproblematisch in einem Geschäft, in dem ein Wochenende Regenwetter leicht einen halben Jahresumsatz vernichten kann. Für die Zukunft setzt Eulenhaupt auf ein weiteres kontrolliertes Wachstum der Veranstaltung und eine anhaltende Diversifizierung des Programms über die Grenzen eines Technofestivals hinaus. „Der Zenith des Technos ist bereits seit ein paar Jahren überschritten. Auch die New Economy Krise hat in der Szene zugeschlagen. Die Parties spielen sich längst in einem kleineren Rahmen ab und viele der Protagonisten von 1990 sind einfach in ihrem Ruhm versackt. Eine solche Stagnation wollen wir auf jeden Fall vermeiden.“
Das Festival beginnt heute und endet am Sonntag in Lärz. Weitere Informationen zum Festival finden sich unter www.fusion-festival.de und www.kulturkosmos.de.