themenläden und andere clubs : Wie aus der Not eine Tugend wird: Versuch’s doch mal mit Straight Edge light
Wir leben in einer seltsamen Zwischenzeit. Schon seit einer Weile gibt es keine neue Jugendkultur, keine neuen Moden, keine Trends. Die Jugendlichen geben sich dem bewährten Komasaufen hin, die Erwachsenen freuen sich weiter am Punk Revival. Da aber Rumschreien, Bier verspritzen und in Alkohollachen fallen auf Dauer zu anstrengend ist, sollten gerade die Älteren nach Alternativen suchen.
Und siehe: Gab es nicht einst als andere Seite des drogenaffinen Punk die so genannte Straight-Edge-Bewegung? Sie entstand Ende der Siebzigerjahre in den USA und hat angeblich ihren Ursprung in so genannten All-Ages-Veranstaltungen. Diese Partys und Konzerte durften von Jugendlichen unter 21 Jahren besucht werden, man malte ihnen aber ein X auf den Handrücken, um sie vom Alkoholausschank auszuschließen. Aus Solidarität mit den so gebrandmarkten Jugendlichen entschlossen sich dann ganz liebe Punkbands wie „Minor Threat“ ebenfalls auf Alkohol zu verzichten, und entwickelten eine eigene Philosophie: Der Mensch soll Kontrolle über sich behalten und sich der Wirklichkeit stellen. Zu der Bewegung gehört der recht anstrengende Musikstil Hardcore. Straight Edge heißt also: kein Alkohol, kein Tabak, Verzicht auf jegliche Drogen, keine Promiskuität, vegetarische Ernährung.
Die Vorteile der Straight-Edge-Bewegung liegen damit auf der Hand. Sie eignet sich nämlich nicht nur als Jugendbewegung, sondern auch als Altersbewegung. Jeder über 30 hat doch am eigenen Leib schon erfahren müssen, wie die Kondition nachlässt, wie nach jeder durchgemachten Nacht immer längere Ruhephasen nötig sind! Es gibt Leute unter 40, die sich nach einem durchschnittlichen Exzess bereits zwei ganze Tage liegend erholen müssen! Da ist doch Straight Edge viel angenehmer für den Körper! Und warum hören denn wohl alle älteren Rockstars mit Saufen und Drogen auf und fangen mit Yoga an? Nun wird hier der eine oder andere einwenden, dass ein Straight-Edge-Leben zwar gesünder, aber auch unendlich viel langweiliger sei … Das mag zunächst einmal stimmen. Aber wer sagt denn, das man die Straight-Edge-Regeln hundertprozentig anwenden muss?
Zum Einstieg ins Straight Edge light: Auf Drogen verzichten fällt nicht schwer, wenn man zum Beispiel den Dealer nicht erreichen kann oder kein Geld hat. Der Beschaffungsstress entfällt. Das gilt auch für Zigaretten. Schluss mit dem ewigen Betteln und Schnorren, dem Kleingeld für den Automaten suchen, dem schlimmen Teppichgeschmack im Mund am Tag danach!
Wer einige Zeit auf Alkohol verzichtet, kann interessante Beobachtungen an sich selbst machen. Plötzlich reicht eine milde Weißweinschorle aus, um in Stimmung zu kommen, nach zwei Schorlen ist bereits wohlig leichte Trunkenheit erreicht! Was das Geld spart! Wer sich da allerdings steigert und nach einem Ausgeh-Abend 23 Weißweinschorle intus hat, kann nicht mehr ernsthaft als Straight Edge gelten! Der Vegetarismus gehört ja in vielen Zirkeln schon zum guten Ton, aber auch hier sollten nicht allzu strenge Gesetze gelten: Der Metrovegetarier zum Beispiel meidet die Wurstplatte, ernährt sich von Obst und Gemüse, verspeist aber zu besonderen Gelegenheiten schon mal ein Wiener Schnitzel oder ein saftiges Steak.
Das „Don’t fuck (around)“-Gebot bezog sich ursprünglich auf das triebgesteuerte Collegeboy-Gehabe und wurde als Verbot der Promiskuität übersetzt. Auch dieses letzte Gebot sollte uns nicht vom Straight Edge abhalten. Denn wenn wir uns umschauen, so hält sich doch sowieso fast jeder, mancher auch unfreiwillig mangels Gelegenheit, schon recht lange an dieses Gebot. CHRISTIANE RÖSINGER