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Archiv-Artikel

rechtshilfe usa/eu Konsens über Dissens

Das Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen, das die Europäische Union gestern in Washington mit der US-Regierung unterzeichnete, markiert einen Augenblick transatlantischen Konsenses. Genauer: Es ist die Verständigung darüber, wie mit den gravierenden Unterschieden in beider Rechtsverständnis umzugehen ist.

Kommentarvon BERND PICKERT

Die Europäer – hier außergewöhnlich einig – verteidigen die Integrität des neuen Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH); die USA lassen keine Gelegenheit aus, ihn zu sabotieren. Die Europäer unterstützen im Kern das „Weltrechtsprinzip“, nach dem auch nationale Gerichte in Drittstaaten begangene kapitale Verbrechen gegen die Menschheit aburteilen können. Die USA lehnen das rundheraus ab und haben es in der vergangenen Woche geschafft, das widerspenstige Belgien zur Strecke zu bringen, das mit einem entsprechenden Gesetz eine juristische Avantgarde-Rolle spielte und damit allein gelassen wurde.

Die USA sind überzeugt vom Vorbildcharakter ihres Rechtssystems. Nicht wenige Europäer indes halten es – in den Worten einer ehemaligen Bundesjustizministerin – inzwischen für „lausig“ und können einer Justiz nichts abgewinnen, die es zulässt, dass durch unsinnige Zivilklagen Unternehmen ruiniert, gleichzeitig aber mittellose Angeklagte chancenlos einer oft tödlichen Willkür der Strafverfolgungsbehörden überlassen werden.

Der Internationale Strafgerichtshof ist der emanzipative Versuch der Europäer, über den Aufbau einer Institution Weltpolitik ohne, ja gegen die USA zu betreiben. Die obsessive, aktive Opposition der US-Regierung zum IStGH ist dagegen mehr Machtdemonstration als echte Gefahrenabwehr etwa zum Schutz der Interessen der Streitkräfte. Nach dem Streit um die Todesstrafe driften nun erstmalig in der Nachkriegsgeschichte die beiden Hauptpfeiler des westlich-demokratischen Lagers in einer Kernfrage gesellschaftlicher Verfasstheit so weit auseinander. Es wird also weiterhin beides geben: das Recht, das international vereinbart ist, und jenes, das die USA allein schreiben.

Soll sich das Recht weiter- und nicht rückwärts entwickeln, bleibt indes keine andere Wahl, als solche Ungleichheiten vorübergehend zu akzeptieren. Das ist allemal besser, als zugunsten transatlantischer Harmonisierung die Zerstörung von Prinzipien hinzunehmen, deren Entwicklung immerhin über ein halbes Jahrhundert gebraucht hat.