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Archiv-Artikel

Eine fast anonyme Macht

Lobbyisten arbeiten im politischen Halbdunkel, kaum jemand außerhalb des Parlaments kennt ihr Gesicht. Cornelia Yzer ist Deutschlands einflussreichste Pharmalobbyistin. Ein Porträt

VON ANITA BLASBERG

Die mächtigste Frau im deutschen Gesundheitswesen hat keine öffentliche Funktion, kein öffentliches Gesicht und keinen öffentlichen Namen. Vielleicht liegt das daran, dass es zu ihrem Beruf gehört, nicht zu viel Wind zu machen, daran, dass ihr Gesicht glatt und gleichmäßig ist wie das einer Porzellanpuppe, oder auch daran, dass ihr Name klingt wie ein Streifschuss. Cornelia Yzer jedenfalls verschickt lieber Pressemitteilungen als in Fernsehtalkshows zu reden, und wenn sie es doch einmal tut, dann feuert sie Sätze ab wie mit einer Maschinenpistole. So lange zum Beispiel, bis sie mindestens einmal die Wörter Innovationen, Innovationshürden und Innovationsstopp platziert hat; so lange, bis sogar Sabine Christiansen sagt, dass man ja nun Bescheid wisse und das auch irgendwie eine Diskussionsrunde sei. Cornelia Yzer schaut dann zufrieden, sie lacht, und sie trägt ein beiges Kostüm mit einer Perlenkette zu blonden Haaren und rot lackierten Fingernägeln. Im Gesundheitsministerium wird Frau Yzer gerne auch „der General“ genannt.

Cornelia Yzer, 42, kämpft an vorderster Front für die Interessen der Pharmaindustrie. Sie ist Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA), dessen 44 Mitgliedsfirmen rund zwei Drittel des deutschen Pharmamarktes beherrschen. Seit seiner Gründung 1993 hat der finanzstarke VFA andere Pharmaverbände an Einfluss weit überrundet. Er vertritt die Interessen international operierender Konzerne, er kämpft für umfassenden Patentschutz und gegen die deutsche Kostendämpfungspolitik.

Cornelia Yzer befehligt im Berliner Regierungsviertel einen Apparat von fünfzig Mitarbeitern, und wenn man heute einen Termin bei ihr bekommen hat, dann deshalb, weil die Zeiten für Lobbyisten nicht die besten sind – und besonders schlecht sind für die der Pharmaindustrie. Allerorts wird die ausufernde Macht der Interessenvertreter beklagt und spätestens, seit PR-Berater Hunzinger mit Verteidigungsminister Scharping Hemden kaufen war, ist der Ruf der Branche im Eimer. Experten sind sich einig, dass im Gesundheitssystem der Einfluss von Lobbys größer und schädlicher ist als anderswo, und kein Artikel über die Gesundheitsreform vergisst, die Schuld der „Pharmalobby“ zu erwähnen.

Natürlich wäre es schön, unser Image ein wenig zu korrigieren“, sagt Herr Raulf bei der Begrüßung. Herr Raulf ist Leiter der Kommunikationsabteilung des VFA und heute so etwas wie Frau Yzers Wachhund. Er macht einen ausgeglichenen Eindruck, und während man mit ihm im Aufzug in den vierten Stock zuckelt, sagt er, dass Frau Yzer nun wahrlich nicht so langsam sei wie dieser Lift. Angesichts ihrer rasanten Karriere hat man keine Probleme, ihm das zu glauben: Mit 28 wurde Cornelia Yzer Juristin bei Bayer, mit 29 zog sie für die CDU in den Bundestag, mit 30 wurde sie die jüngste Staatssekretärin in Kohls Regierung, und nur fünf Jahre später wechselte sie auf den hoch dotierten Chefposten beim VFA. „Zwei Herren dienen, doppelt kassieren“, kommentierte sogar die Welt, weil die hauptberufliche Lobbyistin ihr Abgeordnetenmandat behielt – Cornelia Yzer gilt seither als Prototyp einer neuen Interessenvertretung: selbstbewusst, wendig, professionell, effizient.

Das mit der Effizienz fing bei ihr direkt nach der Schule an: Kohls Mädchen aus Lüdenscheid, Westfalen, hat nicht nur Jura und Wirtschaftswissenschaften studiert, sondern nebenher die CDU im Märkischen Kreis erobert. Der Abgeordnete, bei dem sie ein Praktikum absolvierte, bot ihr an, für seinen Wahlkreis zu kandidieren. Und die Frau, von Bild einst als „schönste Frau in Kohls Kabinett“ betitelt, wusste früh, was sie sucht: Herausforderungen. Ein paar Jahre später setzte sie sich als Staatssekretärin in Rüttgers’ Forschungsministerium für Gen- und Biotech ein; schließlich wurde sie von der Politikerin zur Lobbyistin, weil „die Pharmaindustrie eine hochspannende Branche“ ist, „die innovativste, die ich kenne“. Cornelia Yzer lacht oft und gern, sie wirft dabei ihre blonden Haare zurück, und manchmal wirkt das bedrohlich. Sie ist Lobbyistin aus Leidenschaft.

„Lobbyisten haben so viel Einfluss wie nie zuvor“, titelte vergangenes Jahr die Zeit: Das Geschäft mit dem Einfluss ist verglichen mit Bonner Zeiten in Berlin geradezu explodiert; rund 4.500 Lobbyisten haben inzwischen Hausausweise für den Bundestag, 1.781 Verbände – so viele wie nie zuvor – sind beim Parlament registriert und haben das Recht, sich am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Nicht weniger als 140 Verbände waren allein zum Hearing zur Gesundheitsreform angemeldet. Die Branche wird immer unübersichtlicher und schneller – und sie hat sich durch das „Modell Seitenwechsel“ professionalisiert: Viele Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete stellen ihre Kontakte und Insiderkenntnisse in den Dienst von Firmen und Verbänden. Bahn-Chef Mehdorn beschäftigt diverse Exverkehrsminister; Hans Sendler, der frühere Chef des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), lernte sein Handwerk im nordrhein-westfälischen Sozialministerium; der ehemalige Kohl-Referent Rolf Reher steht heute auf der Gehaltsliste der Bayer AG.

Cornelia Yzer sitzt in einem großen weißen Konferenzraum, sie hat die Beine übereinander geschlagen und trägt ein weinrotes Kostüm. „Ich mache keine Politik, sondern leite eine moderne Dienstleistungsorganisation“, sagt sie, und dass sie „Entscheidungsträger lediglich berät – die der Mitgliedsunternehmen und die der Politik“. Irgendwo hinter ihren großen blauen Augen ist jetzt der Autopilot eingeschaltet, und es scheint, als könne sie die nun folgenden Rechtfertigungen im Schlaf runterbeten: „Wir Lobbyisten entscheiden nichts, wir beraten nur und speisen Fakten in den politischen Prozess. Drei Viertel meiner Arbeit haben mit aktiver Einflussnahme nichts zu tun. Wir helfen der Politik, Fehler zu vermeiden.“

Klaus Kirschner (SPD) ist Vorsitzender des Gesundheitsausschusses und würde wohl lautstark protestieren. „Die Lobbymacht der Leistungserbringer im Gesundheitssystem nimmt stetig zu“, sagt er, „gegenüber dem VFA und Ärzteverbänden sind Krankenkassenvertreter und Patientenorganisationen unterentwickelt und meilenweit unterlegen.“

Auch die Gesundheitsreform kann als Sieg der Lobbyisten betrachtet werden: Die Einsparungen in Höhe von 20 Milliarden Euro tragen in erster Linie die Patienten – Gesundheitsministerin Schmidt und ihr CSU-Vorgänger Seehofer nennen das „versichertenbezogene Finanzierung“. Die Positivliste, welche die Flut der 40.000 verschreibungspflichtigen Medikamente eindämmen sollte, gilt als endgültig verbrannt. Sie scheiterte am Einfluss der CDU – und vor allem am Veto des hessischen Ministerpräsidenten Koch, in dessen Land Pharmakonzerne wie Merck und Aventis ihre Steuern zahlen.

Während die Pharmabranche seit Jahren in zweistelligen Wachstumsraten denkt, mussten die Kassen allein 2002 23,4 Milliarden Euro für Medikamente ausgeben – das ist mehr als doppelt so viel wie noch 1990, und das ist inzwischen mehr als die Honorarkosten für alle niedergelassenen Ärzte. Die jährlichen Kostensteigerungen entstehen fast ausschließlich durch den Ersatz vorhandener Medikamente durch teurere Präparate, die von den großen Konzernen auf den Markt gepusht werden – rund 4,2 Milliarden Euro, hat der Pharmakologe Ulrich Schwabe errechnet, könnten eingespart werden durch die Verschreibung preiswerterer Präparate mit gleicher Wirkung.

Wenn man sie mit diesen Zahlen konfrontiert, rutscht Cornelia Yzer auf ihrem Stuhl augenblicklich in eine aufrechtere Position, und so etwas wie Empörung mischt sich in ihre Stimme. „Was ist dramatisch daran, dass heute mehr für Arzneimittel ausgegeben wird als früher?“ Herr Raulf räuspert sich, doch Frau Yzer kommt langsam in Fahrt: „Das ist doch eine erfreuliche Entwicklung, wenn Arzneimittel überkommene, den Patienten stärker belastende Therapieansätze ersetzen und neue Heilungschancen eröffnen. Sehen Sie sich doch mal die Innovationen in der Pharmaindustrie an: Viele Operationen sind durch Arzneimitteltherapien überflüssig geworden – das ist ein Segen für die Patienten!“ Herr Raulf schaut nun ganz zufrieden, dann wirft er ein, dass man ja mal den Vergleich mit dem Spritpreis machen könne: Wäre der genauso bedächtig gestiegen wie der Medikamentenpreis, würde der Liter Benzin heute ein paar Cent kosten.

Ganz unabhängig von der Benzinpreisentwicklung sind die Gewinnmargen der internationalen Pharmakonzerne gigantisch. Verantwortlich hierfür ist in erster Linie das Patentmonopol: Patentgeschützte Megaseller wie Bayers Glucobay gleichen einer Lizenz zum Gelddrucken: Mindestens sechs Jahre lang kann ein Hersteller seinen Preis beliebig festsetzen – bei nackten Produktionskosten von wenigen Cent. Obwohl sie ihre Hochpreispolitik mit immensen Forschungskosten begründen, investieren die Konzerne ein Drittel ihres Umsatzes ins Marketing, welches zum heimlichen Kerngeschäft avanciert ist – nur rund die Hälfte dieses Betrags geht in die medizinische Forschung. In der Folge nimmt sich der pharmazeutische Fortschritt bescheiden aus: Eine Studie der Harvard-Mediziner Arnold Relman und Marcia Angell belegt, dass nur fünfzehn Prozent der seit 1990 zugelassenen Medikamente Wirkstoffe enthalten, die nachweislich mehr nützen als ihre Vorgänger; von 3.000 neu zugelassenen Medikamenten stufte die unabhängige Arzneimittelkommission gerade einmal 755 als ratsam ein. Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach bezeichnet Deutschland gern auch als den „Pharmamülleimer Europas“. „In Deutschland“, sagt er, „werden Medikamente verschrieben und erstattet, die in anderen Ländern wegen ihrer Umstrittenheit längst nicht mehr auf dem Markt sind.“

Obwohl etwa der Patentschutz oder das Zulassungsverfahren für Medikamente nicht angetastet wurden, sieht man sich beim VFA als Verlierer der Gesundheitsreform. „Die Industrie muss schließlich drei Milliarden beisteuern“, sagt Cornelia Yzer, „wir Lobbyisten sind bei der Konsensfindung außen vor geblieben – sobald Sie eine parteiübergreifende Konsensrunde haben, ist der Lobbyeinfluss erledigt“. Beim VFA, sagt sie, habe man im Übrigen nichts gegen Positivlisten, man habe nur etwas gegen Innovationshürden. Beim VFA scheint man dieses Wort zu mögen – genau wie solche einfachen Bilder wie das mit dem Spritpreis. Wenn Frau Yzer für ein kürzeres Zulassungsverfahren für Medikamente wirbt, sagt sie, dass ein neuer Computer ja auch nicht drei Monate auf seine Unbedenklichkeit überprüft werde; wenn sie gegen das „Institut für Qualitätssicherung“ argumentiert, dann spricht sie von Staatsmedizin; und wenn einer das Wort Kostendämpfung erwähnt, malt sie das Bild vom Niedergang des Pharmastandorts Deutschland.

Beobachtet man Cornelia Yzer bei „Sabine Christiansen“, gewinnt man den Eindruck, dass sie mit Worten ficht: Mit dem Eifer einer jungen Rekrutin trägt sie ihre Standards vor, überraschende Hiebe landet sie nicht – vielleicht, weil sie eine Maske trägt und nur nach vorn blickt, nicht nach links und nicht nach rechts, vielleicht auch, weil sie mit dem Schwert kämpft und nicht mit dem Florett.

Er kenne drei Gruppen von Lobbyisten, sagt ein Beamter aus dem Gesundheitsministerium: die Konstruktiven, die Schaumschläger und die Betonköpfe. Frau Yzer, schickt er hinterher, würde er wohl in die letzte Kategorie einordnen – sie gilt, sagt er, als eine, die mit Tunnelblick Industriephrasen nachbetet, sie gilt als Verbandschefin, die hart ist wie Beton. Einen guten Ruf genießt sie bei den Ministerialen nicht.

Doch für die niederen Bürokratie-Ebenen sind ohnehin ihre Mitarbeiter zuständig: Cornelia Yzer ist beim VFA so etwas wie der Kanzler – sie verfügt über die Richtlinienkompetenz und dirigiert die einzelnen Ressorts; ihre politischen Ansprechpartner sind Staatssekretäre und Minister.

Wie muss man sich die Arbeit eines Pharmalobbyisten vorstellen? Wenn man Cornelia Yzer diese Frage stellt, beugt sie sich nach vorn. Sie wirkt jetzt sehr konzentriert, und ihre Antworten kommen wie gedruckt. „Wir erbringen Dienstleistungen in zwei Richtungen: Wir informieren unsere Mitgliedsunternehmen, inwiefern sich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Und wir klären die Politik auf, inwiefern sich veränderte Rahmenbedingungen auf die Pharmaindustrie auswirken.“ Über welche handwerklichen Fähigkeiten müssen Ihre Mitarbeiter verfügen? „Über fachliches Wissen, Präzision sowie kommunikative und soziale Kompetenz. Ein Lobbyist muss adressatengerecht handeln – er muss die Lage des Beamten oder Politikers berücksichtigen, der den Interessenausgleich herstellen muss. Und er sollte sich nur dann einmischen, wenn er wirklich etwas beizusteuern hat.“

Wie wichtig ist dabei die persönliche Ebene? „Sehen Sie, ich muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen: Das mache ich einerseits über solide fachliche Arbeit, andererseits über die Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge einleuchtend zu erklären. Erfolgreich sind wir dann, wenn wir von den Entscheidern selbst angefragt werden.“

Wann greifen Sie von sich aus ein? „Im Optimalfall setzt unsere Beratung im frühen Entscheidungsstadium an. Wenn die Beamten sich zunächst orientieren, sich Basiswissen aneignen müssen. In dieser Phase können wir konstruktiven Einfluss auf den Gesetzestext nehmen, auch juristische Hilfe bei Formulierungen anbieten. Wenn das Gesetz erst mal im Parlament ist, sind Änderungen nur noch schwer zu bewirken, wenn es dann im Vermittlungsausschuss hängt, entscheiden nicht mehr Fakten, sondern politische Opportunitäten.“

Und inwieweit nützen Ihnen Ihre politischen Erfahrungen? „Zunächst kenne ich natürlich die politischen Entscheidungskanäle. Und ich weiß, dass deutsche Abgeordnete personell miserabel ausgestattet sind: Ein Einzelner kann ohne fachliche Hilfestellung von außen kein Gesetz einbringen – er hat meistens keinen Zugriff auf Expertisen eigener Mitarbeiter, und er muss abwägen, welchem Lobbyisten er Vertrauen schenkt. Zudem weiß ich, wann Lobbyisten lästig werden.“

Auch der Beamte im Gesundheitsministerium hat Erfahrung mit lästigen Pharmalobbyisten. „Immer dann, wenn etwas in Planung ist, geraten wir ins Kreuzfeuer“, sagt er, „die greifen sich die Leute an den Schaltstellen und bombardieren sie mit Anrufen, Mails und SMS.“ Das Ziel der Lobbyisten seien die Rohentwürfe von Gesetzestexten, die sie meist eher sichten als die Abgeordneten.

Von immer perfideren Einflussstrategien berichtet der Parlamentarier Klaus Kirschner: Die Firma Schwarz-Pharma, die durchblutungsfördernde Mittel vertreibt, schickte erst neulich den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses Fotos von abgestorbenen Füßen und verstümmelten Beinen auf die Rechner, anbei die Frage: „Wollen wir einen Rückschritt ins Mittelalter?“ Der Lobbyismus, sagt Kirschner, werde immer aggressiver und professioneller. Das Problem sei, dass vielen Abgeordneten das Urteilsvermögen fehle. Und natürlich gebe es auch schwarze Schafe, die im Ruf stehen, beeinflussbar zu sein: „Bei kleinen Anfragen kann man oft genug raushören, auf welcher Lobbyistenveranstaltung der Abgeordnete gerade abgefüttert wurde.“

Die Wirkung der Lobbyisten, sagt der Ministerialbeamte, basiere vor allem auf persönlichen Beziehungen: Man geht zusammen joggen, man geht essen, man bringt sich auf den neuesten Stand. „Es ist ein Geben und Nehmen“, sagt er, „und man muss aufpassen, dass man nicht in Versuchung gerät.“ Essenseinladungen und kleinere Geschenke – CDs oder Bildbände, nichts über 25 Euro – seien üblich, bei gesponserten Wochenendtrips oder gut dotierten Vortragseinladungen aber werde es gefährlich.

Das Geschäft mit dem Einfluss blüht in einer Grauzone: „Die Transparenz ist gleich null“, sagt der Beamte, „niemand kann nachvollziehen, von wem einer seine Informationen bezieht, niemand muss offen legen, wer ihm bei seinem Referat geholfen hat“.

Das Meisterstück, erinnert er sich, vollbrachte die Pharmalobby im November 2001, als Ministerin Schmidt einen vierprozentigen Preisablass für patentgeschützte Medikamente verfügte. Nachdem sie im Ministerium auf Granit bissen und der Bundestag das Gesetz schon beschlossen hatte, zogen die Lobbyisten die Notbremse: Bei einem eilig anberaumten Treffen im Kanzleramt einigten sich hochrangige Pharmavertreter mit dem Kanzler auf eine Einmalzahlung von 200 Millionen Euro – die düpierte Ministerin musste dafür ihr Gesetz zurückziehen und zwei Jahre auf Preisregulierungen verzichten. Für die Firma Pfizer intervenierte damals gar der US-Botschafter beim Kanzler.

War dieser Deal sauberer Lobbyismus? Cornelia Yzer lacht laut und schüttelt sich. „Sie müssen es doch mal so betrachten“, sagt sie dann, „unsere Zahlung war eine freiwillige Selbstverpflichtung, so etwas ist etwa im Umweltbereich auch üblich. Die Regierung hat profitiert, die Kassen haben profitiert und wir auch – was ist daran unredlich?“ Cornelia Yzer war zwar mal Politikerin, doch ihr Weltbild ist das einer Juristin: Ihre Perspektive ist in sich logisch, geschlossen und unumstößlich. Aus Sicht eines Juristen kann es auch in Unrechtsystemen schlüssige Rechtssysteme geben – Moral ist eine irrelevante Größe.

Die Vorstellung, Lobbyismus sei ein untransparentes Geschäft, stimme mit der Realität nicht überein, sagt Cornelia Yzer, „beim runden Tisch zur Gesundheitsreform hatten alle Beteiligten unsere Gesetzesvorschläge auf dem Tisch, im Internet kann jeder unsere Positionen nachlesen“. Die Mitarbeiter des VFA müssen nicht mit Geldkoffern hantieren, und sie müssen auch keine Hemden kaufen. Das machen Leute wie Hunzinger. Frau Yzer sagt: „Unsere wichtigsten Werkzeuge sind Information und Kommunikation.“

Das kann Klaus Kirschner bestätigen. „Den größten Einfluss“, sagt er, „hat das Vorfeldlobbying, die Norm- und Wertsetzung durch die Industrie, die ‚Kolonisierung der Köpfe‘ durch geschicktes Marketing.“ Die Pharmalobby organisiert parlamentarische Abende zu medizinischen Themen, sie sponsert Kongresse und Studien – und sie steuert den Großteil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung. All dies trage dazu bei, dass eine pharmakritische Wahrnehmung kaum mehr möglich sei.

Dass einige Pharmakonzerne aber auch noch andere Werkzeuge im Repertoire haben, hat Ellis Huber, der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer, erfahren: Als er Mitte der Neunziger eine eigene Positivliste publizierte, wurde er von vierzehn Herstellern verklagt und die Liste als „Eingriff in den freien Markt“ verboten. „Vor der finanziellen Potenz der Konzerne musste ich kapitulieren“, sagt Huber, der insgesamt 110.000 Euro Prozesskosten zu tragen hatte. Auch Professor Peter Schönhofer ist bereits rund dreißigmal von der Industrie verklagt worden, weil er als Mitherausgeber des unabhängigen arznei-telegramms auf die Schädlichkeit einzelner Wirkstoffe und Präparate hingewiesen hat.

Wenn man Cornelia Yzer abschließend fragt, ob sie sich noch dem Allgemeinwohl verpflichtet fühle, muss sie nicht lange überlegen: „Die Interessen des VFA decken sich mit dem Interesse der Allgemeinheit: Wir wollen ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem.“ Zynismus kann man Cornelia Yzer, Pharmalobbyistin und Christdemokratin, nicht vorwerfen. Sie agiert mit dem Selbstbewusstsein einer Soldatin – und mit der Gewissheit einer Gläubigen.

ANITA BLASBERG, 26, lebt als Journalistin in Hamburg