Der Frust streikt mit

Vor dem Daimler-Werk in Ludwigsfelde sind Ostkollegen im IG-Metall-Streik unter sich. Die Arbeiter kämpfen für die 35-Stunden-Woche, gegen die öffentliche Meinung und ihre sinkende Motivation

von FELIX LEE

Mies ist die Stimmung. Und das liegt sicherlich nicht an der frühen Uhrzeit, hier, am Eingangstor des DaimlerChrysler-Werks im brandenburgischen Ludwigsfelde. Denn die rund 120 Arbeiter, die vor dem Werkstor stehen, sind es gewohnt, früh auf der Matte zu stehen. Jeden Morgen, um 6.30 Uhr, wenn die Frühschicht beginnt.

„Dieser Streik zehrt an unseren Nerven“, sagt Bianca Greming, die – wenn sie nicht gerade streikt – im Daimler-Werk Büroarbeiten erledigt. Die wenigsten hätten erwartet, dass sich der Streik so in die Länge ziehen würde. Mit maximal einer Woche haben viele der Anwesenden gerechnet. Stattdessen geht der Ausstand bereits in die zweite Woche, bei ihren Kollegen in Sachsen gar in die Vierte. Und nie wehte den streikenden Metall-Arbeitern ein so eisiger Wind entgegen. Trotz der angenehmen sommerlichen Temperaturen an diesem frühen Morgen.

„Wir streiken“, steht auf der Weste aus Plastikfolie, die Bianca und ihre Kollegen von der IG Metall bekamen und seit acht Werkstagen jeden Morgen über ihre Freizeitklamotten ziehen. Die gelbe Schrift auf dem billigen Plastik bröckelt bereits. Wie anscheinend die Streikfront insgesamt. Von den über 1.000 der rund 1.800 Mitarbeiter, die laut Gewerkschaft in den Streik getreten sind, hält sich der Großteil längst nicht mehr vor den Werkstoren auf. Eher zu Hause, wo sie auf das Ende des Streiks warten.

„Dabei haben wir mit unserer Forderung nach der 35-Stunden-Woche wahrlich nicht viel verlangt“, sagt Joachim Schneider, der auch im Daimler-Werk arbeitet. Und fügt leise hinzu: „Oder?“ Er ist nicht der Einzige hier, der verunsichert ist. Die Medien, die Politiker – nie in der jüngeren Gewerkschaftsgeschichte wurde ein Streik so sehr torpediert wie dieser hier. Und es seien ja nicht mal die angeblich so wenig ideologisch gefestigten Arbeiter, die inzwischen am Streik zweifelten, fügt sein Kollege hinzu: „Selbst einige Betriebsräte ziehen ihren Schwanz ein.“

Die ideologisch Gefestigten, die hier stehen, spüren die allgemeine Ablehnung. „Unsere Motivation tendiert gen Null“, gibt einer der Streikenden zu. „Wir verlangen ja keine Hofberichterstattung“, sagt Rolf-Dieter Blum, Leiter der Vertrauensleute im Daimler-Werk, der etwa alle zehn Minuten mit Parolen per Megafon versucht, die Streikenden bei Laune zu halten. „Aber unsere Argumente kommen in den Medien nicht mal vor. Wir arbeiten genauso gut wie unsere Westkollegen. Warum sollen wir 38 Stunden arbeiten und die 35?“ Zehn Jahre deutsche Einheit – da werde es Zeit für die tarifliche Einheit. Und: „Wir vernichten keine Arbeitsplätze, wir schaffen neue.“

Gepfeife. Buhrufe. Lautes Rattern der roten Rasseln, die die IG Metall verteilt hat. Aber Blum gibt durchs Megaphon Entwarnung. „Lassen sie den Kollegen mit seinem Wagen durch“, ruft er den beiden Streikenden zu, die daraufhin die provisorisch errichtete Schranke beiseite schieben. Der Mann im Mercedes zeigt eine Karte mit der Aufschrift: IG Metall, Notdienst. „Wir wollen den Betrieb ja nicht kaputt machen“, erklärt Gewerkschafter Blum. Von den rund 1.800 Mitarbeitern im Daimler-Werk Ludwigsfelde seien rund 400 Notdienstkarten dieser Art verteilt worden. Damit sie die Arbeit bei Streikende sofort wieder aufnehmen können.

Auf einem Parkplatz, etwa 200 Meter weiter, sammeln sich rund 50 Arbeitswillige. Streikbrecher. Zusammen wollen sie sich von den Security-Guards – die die Geschäftsleitung angemietet hat – durch die streikende Menge schleusen lassen. Angst vor ihren eigenen Kollegen? Handgreiflich wird hier keiner. Die Kollegen kennen sich, doch auch verbale Gewalt verletzt. Vorwürfe, dieser Streik werde nur von Gewerkschaftsfunktionären aus dem Westen getragen, die Ossi-Belegschaft stehe gar nicht hinter diesem Streik, trifft nicht auf Ludwigsfelde zu. Keine Gewerkschaftsbusse mit Hamburger oder Salzgitter-Kennzeichen – die Ossis sind hier unter sich. Aber der Riss durch die Belegschaft ist unverkennbar: „Verräter, Streikbrecher, Heuchler“, brüllen ihnen die Streikenden zu. Und die vorbeigehenden Arbeitswilligen, die meisten um die 50, wissen sich zu wehren. Zumindest einer, der einem streikenden Arbeiter, um die 20, mit einem zynischem Grinsen auf die Schulter klopft: „Nur weiter so, Junge.“ Der Junge verstummt.