: Berlin von ganz weit unten
Die Rückkehr der Regression: Wenn dieser Tage das dritte Bad Kleinen eröffnet, macht das Leben für Punkrocker endlich wieder Sinn. Auch dort wird es wieder nur um eines gehen – zu korrekter Musik saufen, bis der Arzt kommt
Beim vierten, fünften oder zehnten Bier kommen einem die besten Ideen. Man könnte doch selbst in Berlin ein Kellerkino eröffnen, das so gut ist wie das Werkstattkino in München. Oder eine Deathmetalband gründen, die Devil Bloody Butchers From Hell heißen müsste. Natürlich wird aus beidem wieder nichts, da die produktive Energie des Biers am nächsten Tag schon wieder verbraucht ist. Erstaunlich, dass es Dirk Berger, Jörg Stoffers und Sven Tepperwien trotzdem geschafft haben, auf bierinduzierten Blödsinnsideen ein ganzes Imperium Berliner Subkultur aufzubauen.
Anfang 2000 gründeten sie die „Galerie Glücksritterliebesspiele“, die allerdings nur in ihren Köpfen existierte. Doch immerhin hatte man nun einen Projektnamen und schon bald wurde aus der Galerie im Kopf ein echter Club – das erste, natürlich illegale Bad Kleinen, das von Ende 2001 bis Mitte 2002 in der Rochstraße existierte. Und je länger und heftiger dort das Bier floss, desto mehr Projekte kamen hinzu. Im Wahljahr 2002 gründete man die Wählergemeinschaft Gerdmund Schroiber, die sinnfällige „zehn Punkte für Deutschland“ ausformulierte, sowie den eingetragenen Verein „Knabenleid EV“. Man tüftelte ein tolles Vereinslogo aus – einen Biere schleppenden Berliner Bären mit Knarre im Anschlag – stellte die Website www.tontransfer.de ins Netz, gründete das Label Wildest und zog schließlich in der Krausenstraße das zweite Bad Kleinen hoch.
Und da passierte es dann, etwas, womit niemand im Berliner Nachtleben rechnen konnte: Das Bad Kleinen schaffte es tatsächlich, verloren geglaubten Boden von Bierpunk gegenüber Ecstasytechno gut zu machen. Plötzlich gab es einen Punkschuppen, in dem es bei Sonnenaufgang erst richtig – aber so richtig, richtig – losging. Während im WMF bereits die Chillout-Runde eingeläutet wurde, enterten im Bad Kleinen die ersten Bands die Bühne und spielten, bis die Bierflaschen flogen. Hinter dem Tresen konnte man wildfremde Menschen beobachten, wie sie Freibiere an andere wildfremde Menschen ausgaben. Jeder wollte, jeder konnte mal: ob auflegen, spielen oder zapfen. Es war – Sven Tepperwiens Augen leuchten: „wie eine gute Fete halt“.
Kein Wunder, dass das Ende des Bad Kleinen II in Berlins punkrocksozialisierten Kreisen ähnliche Phantomschmerzen hinterlassen sollte wie die Schließung des Ostguts unter Fans des geraden [4]/4-Takts. Phantomschmerzen, deren Außmaß man in den letzten 10 Monaten insbesondere am Kottbusser Tor besichtigen konnte: wahrlich kein schöner Anblick, das Bad-Kleinen-Stammpublikum traurig, verlassen und fern der Heimat über ihren Bieren im Möbel Olfe sitzen zu sehen. Seitdem nun klar ist, dass das Bad Kleinen dieser Tage an geheimer Stelle wieder öffnen wird, scheint die kollektive Depression verflogen, in Punkrockkreisen wird endlich wieder nach vorne geschaut.
Beziehungsweise: endlich wieder zurück. Denn eines muss klar sein. Popkulturell repräsentiert das Bad Kleinen samt der kürzlich erschienenen Hauscompilation „Letztversorgung“ Regression pur. Mit „Berlin Insane“-Samplern, Electroclash-Gepose und all dem, wovon in Stadtmagazinen berichtet wird, sollen sich bitte andere beschäftigen. Hier wird es wieder um Berlin von ganz, ganz unten gehen. Zurück zum Bier, zurück zu AC/DC, zurück zum Prollpunk.
Dass Bands wie Mediengruppe Telekommander und Die Türen, die im Bad Kleinen ihre ersten Erfolge feierten und auch auf der „Letztversorgung“ zu hören sind, gerade jetzt durchstarten, ist nicht mehr als ein Betriebsunfall.
Man scheißt auf Trends, und wenn man damit wider Erwarten voll im Trend liegen sollte, scheißt man eben auch darauf, wider Erwarten voll im Trend zu liegen. Letztlich ist die Programmatik des Bad Kleinen sowieso der Klassiker schlechthin. „Was ich vom neuen Bad Kleinen erwarte?“, fragt Sven Tepperwien und liefert die Antwort gleich mit: „Ich will mich zünftig betrinken und dabei geile Musik hören.“ ANDREAS HARTMANN
Der Bad-Kleinen-Sampler „Letztversorgung“ ist auf Wildest erschienen