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Archiv-Artikel

sehnenriss Verletzungen sind für Sportler der kalte Entzug

Der Fluch des Achilles

Verletzungen gehören im Sport dazu wie Medaillen zur Siegerehrung und der Gipsverband zur Fraktur. Die Anfälligkeit für Risse, Dehnungen und Brüche führt dem Zuschauer vor Augen, dass es sich nicht um endlos belastbare Sportmaschinen handelt, Hybriden des Sportentertainments, sondern um verwundbare Athleten, wie seinerzeit Achilles. Der wurde von seiner Mutter Thetis in den Fluss Styx getaucht, um ihn gegen Hieb und Stich zu feien. Doch die Achillesferse, an der ihn Thetis gepackt hatte, blieb unberührt vom Wunderwasser.

Die Geschichte aus der griechischen Mythologie kennt Elena Reiche, 23, nur zu gut. Die Moderne Fünfkämpferin hat sich vor zehn Wochen die Achillessehne mit der geborstenen Glasscheibe eines Bilderrahmens durchschlagen. Sie ließ sich ins Berliner Bundeswehrkrankenhaus bringen, wo Ärzte die entzweite Sehne zusammen nähten. „Ich habe nur einen Tag lang resigniert“, sagt sie, „dann habe ich schon wieder Pläne geschmiedet.“

Elena Reiche hat in ihrer noch jungen Laufbahn schon einen Fußbruch und einen Innenbandriss im Knie überstanden. Sie weiß, dass der Körper sehr sensibel auf Raubbau reagiert. „Ich gönne es keinem Leistungssportler – aber eine schwere Verletzung gehört offenbar zu einer Karriere dazu. Den guten Sportler zeichnet es aus, wenn er gestärkt daraus hervorgeht“, sagt sie. Manche sind es allerdings leid, ihren Körper endlos zu schinden. Zehnkämpfer Frank Busemann trat kürzlich zurück, weil der Körper den Belastungen nicht mehr standhalten konnte.

Auch die Speerwerferin Tanja Damaske gab entnervt auf – nachdem sie zwei Achillessehnenrisse erlitten hatte. Das Verb verletzen geht in der Wortbedeutung auf „letzen“ zurück, was auch „bedrücken, quälen“ heißen kann. Tanja Damaske hat einmal enthüllt, wie sehr eine schwere Verletzung entmutigen kann: „Monatelang trainiert man auf einen Höhepunkt hin, quält sich, diszipliniert sich mit der Aussicht auf die Goldmedaille. Dann ist alles in Sekundenbruchteilen hin. Da kann man noch so positiv denken, das wird man nicht so mir nichts, dir nichts los.“

Elena Reiche versucht dennoch, den Rückschlag positiv zu sehen. „Ich glaube, dass mich die Verletzung stärker macht, sie stärkt meinen Willen und meine Persönlichkeit, außerdem freue ich mich jetzt noch mehr auf den Sport.“ Sie folge dabei ihrem „enormen Bewegungsdrang“, sagt sie, einem Antrieb, der sie schon drei Wochen nach dem Riss wieder in den Kraftraum und in die Schwimmhalle führte. „Ich musste sofort wieder etwas tun, weil ich sonst eingehen würde und mich das schlechte Gewissen piesackt.“ Die meisten Sportler seien allerdings übermotiviert beim Versuch zurückzukommen, sagt Reiche. Sie kennt das Symptom des Zu-viel-Wollens aus eigener Erfahrung. „Man ist nur schwer zu bremsen, wird durch die Überlastung unkonzentriert und verletzt sich erneut.“

Der Leistungssport ist dabei vielen eine Sucht und die Verletzung ein kalter Entzug von dieser Droge. Elena Reiche ist im Krankenbett schnell unruhig geworden und wollte raus aus der quälenden Untätigkeit. Sie braucht die Übungen in den fünf Disziplinen des Modernen Fünfkampfs (Fechten, Laufen, Schwimmen, Reiten, Schießen), um sich wohl zu fühlen. Mit einem Spezialschuh und besonderer sportmedizinischer Betreuung kann sie schon wieder Gewichte stemmen und über Landstraßen radeln, was ihr ein befreiendes Gefühl vermittelt. „Ich bin so froh, wieder auf dem Fahrrad zu sitzen, im Sattel geht es mir gut. Wenn ich zu Hause bin und Schmerzen habe, sieht das schon anders aus.“

Die mehrfache deutsche Jugendmeisterin und Bronzemedaillengewinnerin der Junioren-EM lässt erst gar keine Zweifel aufkommen, ob es mit dem Comeback klappen wird. Die Olympischen Spiele in Athen sind das Ziel. „Ich glaube ganz fest dran“, sagt Elena Reiche. Derzeit verfolgt sie allerdings Pläne, die viel bescheidener sind. „Die Wade wieder aufbauen“, heißt die Aufgabe der nächsten Wochen. „Ich gehe es an, ich habe den Willen und den Mut.“ Sie wird beides brauchen.

MARKUS VÖLKER