: Der Dieb von Bagdad
NAOMI KLEINS KOLUMNE: Die USA öffnen den Irak so rücksichtslos für den Welthandel, dass massenhaft Iraker ihre Arbeit verlieren. Das kann den Terroristen Zulauf verschaffen
In den Straßen von Bagdad häufen sich die Abfälle und die Verbrechen. Die angeschlagenen einheimischen Unternehmen stehen vor dem Ruin, weil sie gegen die billigen Importwaren nicht ankommen. Die Arbeitslosigkeit nimmt rapide zu, auf den Straßen demonstrieren tausende von staatlichen Angestellten gegen ihre Entlassung.
Mit anderen Worten: Im Irak sieht es heute aus wie in jedem anderen Land, das im Schnellfeuertempo eine von Washington aufgebrummte „strukturelle Anpassungspolitik“ durchziehen musste. Die Vorbilder reichen von der berüchtigten „Schocktherapie“, die Russland in den frühen 1990er-Jahren verordnet bekam, bis zum jüngsten Fall Argentinien. Nur dass sich diese schmerzhaften Reformen im Vergleich mit dem so genannten Wiederaufbau des Irak wie eine Erholungskur ausnehmen.
In Sachen Demokratisierung hat sich Paul Bremer, der von Washington an die Spitze der irakischen Zivilverwaltung gestellt wurde, in kürzester Zeit als Flop erwiesen: Er hat den ursprünglichen Plan, nach dem die Iraker ihre eigene Übergangsregierung wählen sollten, über den Haufen geworfen und stattdessen ein handverlesenes Beraterteam ernannt. Doch in anderer Hinsicht hat sich Bremer bereits als Glücksgriff erwiesen: Den US-amerikanischen Multis wird in Bagdad der rote Teppich ausgerollt. Kein Wunder, dass sich Präsident George W. Bush nach seinem Treffen mit Bremer in Katar rundum zufrieden geäußert hat. Seit der neue Statthalter am 12. Mai in Bagdad eingetroffen ist, betreibt er entschlossen die Demontage des öffentlichen Sektors. Am 16. Mai entließ Bremer 30.000 Funktionäre der Baath-Partei aus ihren Regierungsämtern. Eine Woche später löste er das Informationsministerium und die Armee auf, womit 400.000 Iraker ihren Job verloren, ohne jede Altersversorgung oder ein neues Beschäftigungsangebot.
Natürlich würde man die Menschenrechte auf katastrophale Weise missachten, wenn man den Henkern und Propagandisten von Saddam Hussein ihre Machtpositionen beließe. Die Entbaathifizierung – wie man man die Säuberung des Staatsapparats von den Parteifunktionären in Anlehnung an die „Entnazifizierung“ nennt – mag tatsächlich die einzige Methode sein, um die Rückkehr der Saddam-Leute zu verhindern – und damit die einzige wirkliche Errungenschaft zu bewahren, die sich aus dem völkerrechtswidrigen Krieg der Bush-Administration ergeben könnte.
Aber Bremer hat weit mehr getan, als nur die mächtigen Baath-Anhänger aus ihren Ämtern zu entfernen. Er hat einen umfassenden Angriff auf den irakischen Staat als solchen gestartet. Die Entlassungen treffen auch kleine Angestellte im öffentlichen Dienst, die keinerlei Verbindungen zur Baath-Partei haben; und Nuha Najib, Manager einer Druckerei in Bagdad, meinte gegenüber einem englischen Journalisten: „Ich hatte nichts mit den Medien von Saddam zu tun. Warum werde ich dann entlassen?“
In dem Maße, in dem die Bush-Administration immer offener den Plan betreibt, die staatlichen Industrien wie auch einige Bereiche des öffentlichen Dienstes zu privatisieren, gewinnt die von Bremer betriebene Entbaathifizierung eine ganz neue Bedeutung. Ist er lediglich darauf aus, die Parteimitglieder rauszuschmeißen, oder will er damit zugleich den öffentlichen Sektor insgesamt einschrumpfen, um Krankenhäuser, Schulen und selbst die Armee für die Übernahme durch US-amerikanische Privatunternehmen reif zu machen? So wie im Gewand des Wiederaufbaus in Wahrheit ein Privatisierungsprogramm durchgezogen wird, so handelt es sich offenbar bei der Entbaathifizierung in Wahrheit um die verkappte Beschneidung des staatlichen Sektors.
Ganz ähnliche Fragen wirft Bremers Attacke auf die irakischen Unternehmen auf, die schon zwölf Jahre lang unter den Wirtschaftssanktionen und danach sechs Wochen lang unter den Plünderungen zu leiden hatten. Bereits am 26. Mai erklärte Bremer, der Irak sei jetzt „open for business“. Er wartete also nicht einmal ab, bis Bagdad wieder mit Strom versorgt war, bis der irakische Dinar sich stabilisiert hat und bis die heruntergekommenen irakischen Fabriken sich Ersatzteile beschaffen konnten. Zollfrei importierte Fernsehgeräte und ausländische Lebensmittel strömten unbehindert ins Land, wodurch viele irakische Firmen, die mit diesen Produkten nicht konkurrieren können, in den Bankrott getrieben wurden. Der Irak hat also den Anschluss an den „freien Weltmarkt“ gefunden, aber nicht über eine breite zweispurige Handelsstraße, sondern über dunkle Schmugglerpfade.
Präsident Bush hält Bremer für einen „Machertypen“. Damit liegt er völlig richtig. Bremer hat innerhalb weniger Wochen weite Tätigkeitsbereiche des Staates für die Übernahme durch Privatunternehmen reif gemacht. Er hat den irakischen Markt für ausländische Importeure erschlossen, die sich eine goldene Nase verdienen, indem sie die lokalen Konkurrenten kaputtmachen. Und er hat dafür gesorgt, dass es keine unerfreuliche Einmischung seitens der irakischen Regierung geben kann – weil es nämlich in der kritischen Phase, in der alle wichtigen Entscheidungen fallen, überhaupt keine irakische Regierung geben wird. Damit ist Bremer so etwas wie der Ein-Mann-IWF für den Irak.
Wie viele Bush-Leute, die sich in außenpolitischer Landschaftspflege betätigen, betrachtet Bremer den Krieg als Chance zum Geschäftemachen. Am 11. Oktober 2001, nur einen Monat nach den Terrorangriffen in New York und Washington, wurde Paul Bremer an die Spitze eines Unternehmens berufen, das die idealen Voraussetzungen hatte, um die in den Vorstandsetagen brütende Atmosphäre der Angst zu einer Profitquelle zu machen. Die Firma nennt sich Crisis Consulting Practice (CCP) und gehört zu dem Versicherungsriesen Marsh & McLennan Companies. Sie ist darauf spezialisiert, für multinationale Unternehmen Konzepte einer integrierten und umfassenden Krisenlösung für alle nur erdenklichen Fälle zu entwickeln, vom terroristischen Angriff bis zum Buchhaltungsbetrug. Und dank einer strategischen Allianz mit der Firma Versar Inc., die biologische und chemische Waffensysteme evaluiert, kann die CCP ihren Kunden einen „totalen Terrorismusbekämpfungs-Service“ anbieten.
Um solche kostspieligen Schutzprogramme an US-Unternehmen zu verkaufen, musste Bremer einen Zusammenhang zwischen dem Terrorismus und den Unzulänglichkeiten einer globalisierten Wirtschaft herstellen, auf den Globalisierungsgegner nicht verweisen können, ohne als Verrückte wahrgenommen zu werden. So erklärte er etwa im November 2001, eine Freihandelsstrategie müsse zur Entlassung von Arbeitern führen und auch dem traditionellen Einzelhandel heftig zusetzen. Das führe zu „wachsenden Einkommensdifferenzen und sozialen Spannungen“, die wiederum Angriffe auf US-amerikanische Firmen auslösen können, sei es durch Terroristen, sei es durch Regierungen, die versuchen, die Privatisierungen und den Abbau von Handelshemmnissen wieder rückgängig zu machen.
Mit solchen Sätzen hat er fast schon die Gefahren beschrieben, die seiner eigenen Politik im Irak drohen könnten. Aber ein Mensch wie Bremer wusste stets, das Wasser auf beiden Schultern zu tragen. In ein paar Monaten wird er womöglich denselben Firmen, die er heute zu Investitionen in den Irak einlädt, Versicherungen gegen den Terrorismus verkaufen. Und warum auch nicht? Seinen alten Kunden bei Marsh & McLennan hat Bremer einmal erzählt, zwar könne die Globalisierung für viele zunächst sehr negative Folgen haben, aber sie sei letzten Endes auch die Chance zur „Schaffung von unerhörten Reichtümern“.
Für die neue Bagdad-Clique trifft das ohne weiteres zu. Nur wenige Tage nachdem Bremer im Irak eingetroffen war, verkündete sein ehemaliger Boss für Marsh & McLennan eine rapide steigende Nachfrage nach den „Risk Management“-Programmen seines Unternehmens: „Unsere Aussichten waren noch nie besser als heute.“
Es wurde schon des Öfteren angemerkt, dass Bremer kein Experte für den Irak oder den Nahen Osten ist. Aber das tut nichts zur Sache. Er ist ein Experte für die Kunst, den Krieg gegen den Terror profitabel zu machen und den US-Multis zu helfen, auch in entfernten Ecken der Welt, wo sie so unbeliebt wie unwillkommen sind, überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen. Kein Zweifel: Paul Bremer ist der ideale Mann für seinen Job. NAOMI KLEIN
Übersetzung: Niels Kadritzke