: Mehr Geld für Bildung
INTERVIEW HANNES KOCH
taz: An diesem Wochenende sprechen Sie beim Perspektiven-Kongress der Linken – lehnen Sie die Agenda 2010 der rot-grünen Regierung auch so rigoros ab, wie Gewerkschafter und die Globalisierungskritiker von Attac es tun?
Gustav Adolf Horn: Es gibt Maßnahmen in der Agenda, die durchaus sinnvoll sind. Strukturreformen sind fast immer nötig – man kann nie zufrieden sein mit dem, was ist. Aber mich stört, dass die Agenda 2010 nicht in eine gesamtwirtschaftliche Strategie eingebettet ist. Wer politische Maßnahmen ergreift, muss sich überlegen, ob sie die Wirtschaft und die Konjunktur schädigen. Die Bundesregierung hat versäumt, die Belastungen auszugleichen.
Für Ver.di und Attac ist die Agenda 2010 schlicht „Sozialabbau“. Finden Sie irgendetwas richtig am rot-grünen Reformprogramm?
Es ist zum Beispiel sinnvoll, dass wir eine Rentenreform machen. Schließlich nimmt die Zahl der Rentner im Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten zu. Außerdem steigt die Lebenserwartung.
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sagt, die demografische Veränderung sei gar nicht so dramatisch. Deshalb solle die Regierung sich darauf konzentrieren, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Ab 2020 steigen die Kosten der Alterssicherung stark an. Das ist quasi übermorgen, das kann man doch vorhersehen. Darauf sollten wir uns heute schon einstellen. Natürlich hat man die Wahl: Entweder kann man die Beiträge weiter anheben, um das notwendige Geld aufzutreiben – oder die Leistung reduzieren. Rot-Grün hat sich für Letzteres entschieden. Daneben besteht die Aufgabe der Wirtschaftspolitik darin, das Wachstum hoch zu halten. Nur so kann auf Dauer auch die Finanzierung der sozialen Sicherung – sei sie staatlich oder privat – geleistet werden.
Muss die rot-grüne Rentenreform denn sein? In dreißig Jahren ist die deutsche Gesellschaft doppelt so reich wie heute. Da könnten wir uns höhere Rentenbeiträge doch locker leisten – ohne heute die Rentner zu schröpfen.
Woher wissen Sie denn, dass der Wohlstandszuwachs tatsächlich so eintritt? Das klappt ja nur, wenn die Produktivität der Arbeit über die nächsten dreißig Jahre im Durchschnitt kräftig zunimmt.
In der Vergangenheit ist sie durchschnittlich um 1,8 Prozent pro Jahr gestiegen. Sollte das nicht reichen?
Wir müssen trotzdem vorsichtig sein. Denn der Zuwachs ist in den letzten Jahren kleiner geworden und auf etwa 1,5 Prozent geschrumpft. Deshalb ist es wichtig, beides zu tun – die Produktivität zu steigern und sich auf die altersmäßige Veränderung einzustellen.
Gemeinsam mit der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, der IG Metall und der IG BAU plädieren die Globalisierungskritiker für Lohnerhöhungen bei den Arbeitnehmern. Eine komische Koalition, oder?
Ein taktisches Bündnis auf Zeit, würde ich sagen.
Während die Gewerkschaften meist das Partikularinteresse der Beschäftigten vertreten, versteht sich Attac als übergeordnete moralische Instanz, als Anwalt für Gerechtigkeit. Ist die Forderung nach Lohnsteigerung denn heute ein sinnvolles Anliegen, das alle interessieren sollte?
Wir haben tatsächlich ein sehr ernstes Problem bei der Nachfrage. Das ist der wichtigste Grund, warum die deutsche Wirtschaft lahmt.
Was ist der gordische Knoten, den die Bundesregierung durchschlagen müsste?
Es hat im Augenblick keinen Sinn, in den öffentlichen Haushalten weiter zu sparen, um mit aller Gewalt das Defizitkriterium des Maastricht-Vertrags einzuhalten.
Wofür sollte Rot-Grün Geld ausgeben?
Zum Beispiel für Schulen und Universitäten. Nur wenn das Bildungswesen besser wird, können wir die notwendigen Steigerungen der Produktivität langfristig auch erreichen.
Sie sagen, der Staat solle mehr Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen schaffen. Das ist etwas anderes als die Steigerung der privaten Nachfrage, die die Gewerkschaften mittels Lohnerhöhung erreichen wollen.
Mit Lohnerhöhungen kann man nur begrenzt Konjunkturpolitik betreiben. Es ist zwar richtig, dass die Lohnzuwächse in Deutschland in den vergangenen Jahren extrem niedrig ausgefallen sind. Das heißt aber noch nicht, dass man nur die Löhne zu erhöhen bräuchte, damit die Wirtschaft in Schwung kommt.
Welche Nachteile hat denn eine Politik der privaten Nachfrage gegenüber öffentlichen Investitionen?
Wenn man die private Nachfrage über die Löhne oder auch Steuergeschenke erhöht, bringen die Leute einen Teil davon auf die Bank. Dieses Geld geben sie nicht aus. Zur Zeit sind das 11 Prozent der verfügbaren Einkommen. Und ein anderer Teil – knapp 30 Prozent – geht in den Import, dafür kaufen die Leute Waren ausländischer Hersteller. Auch davon haben deutsche Unternehmen nichts. Wenn dagegen der Staat Schulen renoviert, kommt mehr Geld direkt bei den hiesigen Firmen und ihren Beschäftigten an, und wir verbessern die Grundlagen für ein höheres Produktivitätswachstum.
Muss man sich Sorgen über die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen machen, wenn die Löhne steigen?
Natürlich müssen alle auf die Rentabilität der Unternehmen im Vergleich zum Ausland achten. Deshalb schlagen wir immer eine Lohnpolitik vor, die im Rahmen des Produktivitätszuwachses bleibt.
Wenn die Arbeitsleistung um 1,5 Prozent zunimmt …
… sollten die Löhne unter Berücksichtigung der Inflationswirkung nicht viel stärker als 3 Prozent steigen.
Das halten manche Gewerkschafter für ziemlich mager.
Exorbitante Lohnsteigerungen sind genauso schädlich wie hohe Ölpreise. Ich sehe aber gar keine unverschämten Forderungen der Gewerkschaften. 1,5 bis 2,5 Prozent sind absolut realistisch – 5 Prozent wären es nicht.
Die Regierungen der USA und Deutschlands hängen die Sparpolitik nicht mehr so hoch wie noch vor Jahren. Sehen Sie auch in der Wirtschaftsforschung eine Trendwende?
Es gibt Tendenzen für einen Umschwung. Die kommen vor allem aus Amerika. Ich kenne eine Reihe von Publikationen, die der Geldpolitik doch wieder einen gewissen positiven Einfluss zubilligen. Das heißt: Die Europäische Zentralbank könnte mehr Geld unters Volk bringen, ohne dass es zur Inflation kommt.
Während der vergangenen 25 Jahre hat die neoklassische Wirtschaftstheorie, auf der der politische Neoliberalismus basiert, das genaue Gegenteil behauptet.
Jetzt sieht man aber, dass die US-Notenbank Fed die Zinsen drastisch gesenkt hat und die Regierung jede Menge Geld ausgibt, ohne dass die Inflation galoppiert. Entgegen den Annahmen der Neoklassik ist die Wirtschaft offenbar eine sehr heterogene Veranstaltung. Obwohl mehr Geld da ist, schlägt sich das zum Beispiel nicht sofort in rasanten Preiserhöhungen nieder. Der politische Spielraum für die Geldpolitik der Zentralbank und die Fiskalpolitik des Staates nimmt damit wieder zu. Bisher hieß es immer, der Staat solle sich aus der Wirtschaft möglichst heraushalten.
Findet dieser Stimmungsumschwung auch in der deutschen Wirtschaftswissenschaft statt?
Kaum. Die neuen Theorien haben hier noch nicht richtig Fuß gefasst.
Können die Gewerkschaften und Attac da etwas bewirken?
Deshalb spreche ich beim Perspektiven-Kongress. Dieses Bündnis ist der Träger einer wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung, die auch in Deutschland Auswirkungen auf die herrschende Meinung in der Wirtschaftswissenschaft haben kann.