USA: SCHWULE FREUEN SICH, ABER BUSH SUCHT NEUE RICHTER : Willkommen im 20. Jahrhundert
Das Oberste Gericht der USA hat ein bahnbrechende Entscheidung getroffen: Auch in Texas und zwölf weiteren US-Bundesstaaten dürfen erwachsende Homosexuelle in Zukunft nicht mehr dafür bestraft werden, dass sie mit anderen erwachsenen Homosexuellen ins Bett gehen. Ha, von wegen Isolationismus, willkommen im 20. Jahrhundert!
Auch unter George W. Bush ist also gesellschaftlicher Fortschritt möglich. Doch wie lange noch? Der Präsident hat keinerlei Zweifel daran gelassen, die aus Altersgründen ausscheidenden obersten Richter durch harte Konservative ersetzen zu wollen. Das Urteil, das so selbstverständlich anmutet, war nur eine 6:3-Mehrheitsentscheidung. Die konservative Presse, genau wie die drei Richter, die in der Minderheit blieben, werfen dem Gericht vor, die Verfassung auf den Kopf gestellt und in einem tobenden Kulturkampf Partei ergriffen zu haben.
Die Verfassung sehe nämlich kein Recht auf Privatleben vor, und außerdem überlasse sie es ausdrücklich den Bundesstaaten, Gesetze zu verabschieden, die Fragen der Moral berühren. Ähnlich wie in dem berühmt gewordenen Urteil „Roe gegen Wade“, das vor rund zwei Jahrzehnten Abtreibungen straffrei stellte, wolle auch hier ein politisiertes Oberstes Gericht der demokratischen Willensbildung vorgreifen und selbst Recht schaffen, argumentieren die Kritiker. Im Grunde bestreitet das auch gar niemand – die Politisierung der US-Justiz wurde überdeutlich, seit George W. Bush aufgrund einer knappen Gerichtsentscheidung Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist. Mehr noch als in Europa sehen sich die RichterInnen angesichts parlamentarischer Dauerblockaden gefragt, die Veränderung gesellschaftlicher Maßstäbe in Urteilen auszudrücken, wenn die Legislative selbst dazu nicht in der Lage ist. Dieser Funktion ist der Oberste Gerichtshof nun nachgekommen.
Während die AktivistInnen der Lesben- und Schwulenverbände nichts als ihren unmittelbaren Erfolg sehen, diesen rund um den Christopher Street Day gebührlich feiern und jetzt Homoehe und Adoptionsrechte durchsetzen wollen, schwebt über allem bereits der Schatten der Richtereinsetzung. Immerhin hat der Oberste Gerichtshof mit dieser Entscheidung auch gezeigt, wie man bei veränderter Mehrheit frühere Urteile der gleichen Instanz mit der Begründung außer Kraft setzen kann, sie seien schon immer falsch gewesen. Bleibt zu hoffen, dass insgeheim selbst den Konservativen klar ist, dass die Kriminalisierung des gleichgeschlechtlichen Sex selbst bei einem noch so verschrobenen Weltbild der Vergangenheit anzugehören hat. Dann können sie jetzt jammern, um ihre Klientel zu bedienen – und die Schwulen und Lesben fürderhin in Ruhe lassen. BERND PICKERT