: Der verhinderte Energiewirt
Seit zwei Jahren versucht ein Landwirt in Behlendorf bei Ratzeburg, die Genehmigung für ein neuartiges Biomasse-Kraftwerk zu bekommen, wird aber von der Gemeindevertretung ausgebremst. Die Dörfler haben Angst vor Gestank
von GERNOT KNÖDLER
Hubert Hümme steht das Wasser bis zum Hals. Seit dem Jahr 2000 streitet der Landwirt aus der kleinen Gemeinde Behlendorf bei Ratzeburg vor Gericht mit einem Tierarzt, der seine Schweine falsch behandelt haben soll. Es geht um mehre 100.000 Euro, ein Ende des Verfahrens ist nicht absehbar. Mittlerweile kämpft Bauer Hümme an einer zweiten Front. Der Versuch, die Lage seines Betriebes durch das Erzeugen von Energie aus Biomasse zu verbessern, hat ihn zu einer weiteren Klage veranlasst: gegen die Gemeinde, die seiner Planung zunächst zustimmte, sie dann stoppte und inzwischen zwar grundsätzlich befürwortet, nur nicht vor dort, wo Hümme bauen will.
Energie aus Pflanzen
Hümme betreibt seit 1998 eine Flüssig-Biogasanlage auf seinem Hof, bei der aus Gülle Gas gewonnen und verstromt wird. 2001 wurde er auf ein neues Verfahren aufmerksam, mit dem aus festen Pflanzenresten Energie gewonnen werden kann. Das macht die Energieproduktion effizienter, weil der Energiegehalt des festen Materials höher ist als der von Gülle. Überdies fällt der Umweg der Gülleerzeugung durch Tiere weg. „Ich hab die Möglichkeit, mir direkt das Potenzial des Bodens zunutze zu machen“, sagt Hümme.
Nachdem das Material die Anlage durchlaufen hat, kann der Rest als Dünger auf die Feldern ausgebracht werden – in den Augen Hümmes das ideale Verfahren, den Produktionskreislauf von ökologisch wirtschaftenden Betrieben zu schließen. Weil die Anlage Pilotcharakter hat, ist ihr von der Energiestiftung Schleswig-Holstein eine Investitionsförderung in Aussicht gestellt worden. Ob daraus nach der langen Planungszeit allerdings noch etwas wird, ist fraglich.
Strom fürs ganze Dorf
Der Grund für die Verzögerung: Die Dörfler teilen Hümmes Enthusiasmus nicht. 8.000 bis 10.000 Quadratmeter groß soll seine Anlage aus vier Silos, Kraftwerk und Verkehrsflächen werden. Bei einer installierten Leistung von 500 bis 700 Kilowatt soll sie vier bis fünf Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr erzeugen. Damit könnte das 350 Einwohner zählende Behlendorf locker zehnmal versorgt werden. Der Rohstoff für die Anlage soll von den Äckern der Umgebung kommen, nach den Vorstellungen Hümmes aus einer Entfernung von fünf bis sechs Kilometern. „Diese Dinge können nur auf kurzem Wege verwertet werden“, sagt Hümme. Der geringe Energiegehalt lohnt einen weiten Transport nicht.
Pro Jahr müssten 1.500 Laster mit Pflanzenmaterial zu der Anlage hin- und wieder wegfahren. An saisonal bedingten Spitzentagen wären das 160 Fahrten täglich, an anderen Tagen keine. Nur ein Drittel der Transporte würde durch das Gemeindegebiet führen, sagt der Energiewirt in spe. Heute durchfahren 1.400 Wagen den Ort. Viele Menschen in den Dörfern und auch die von der CDU gestellte Gemeinderatsmehrheit sind dennoch skeptisch.
Die Angst vor dem Gestank
Wegen des Pilotcharakters der Anlage sorgen sie sich, dass es zu Pannen kommen könnte und dass unangenehme Gerüche in die Luft gelangen. „Die Anlage soll nicht stinken“, sagt Behlendorfs Bürgermeister Adolf Martens (Wählergemeinschaft). „Aber wer garantiert uns das?“ Überdies würde sich die Anlage nur lohnen, wenn auch die bei der Stromerzeugung entstehende Wärme genutzt wird. Das könnte bedeuten, dass dem Dorf auch noch eine Gärtnerei oder eine Trocknungsanlage für Holzhackschnitzel beschert wird.
Andreas Henschel, Wortführer der Kraftwerksgegner, wirft Hümme vor, er habe kein Konzept für die Abwärme-Nutzung vorgelegt, sondern nur Ideen präsentiert. „Die Fragen, die Hümme gestellt wurden, hat er nicht beantwortet“, sagt Henschel. Hümme behauptet das Gegenteil. Überhaupt habe der Bauer sein Kraftwerk zu nahe am Ortsteil Hollenbek und direkt neben einem Flurstück vom Charakter eines Naturschutzgebietes geplant, sagt Henschel. Hümmes Angebot, 50 Meter weiter zu bauen, schlug er aus.
Bürokratische Hürden
Politisch hat Hümme eine Achterbahnfahrt hinter sich: Im Frühjahr 2002 stimmte der Gemeinderat dem Projekt nach einer Bauvoranfrage sieben zu eins zu. Im Laufe des Planverfahrens tauchten Zweifel auf, die im Januar 2003 dazu führten, dass die Gemeindvertretung das Verfahren abbrach – „weil die alte Gemeindevertretung die Bürde dieser Entscheidung nicht tragen wollte“, sagt Martens. Nach der Kommunalwahl Anfang März hatte die CDU mit fünf zu vier Stimmen die Mehrheit und kippte damit das Vorhaben. Auch Henschel wurde auf einem Ticket der CDU gewählt.
Im Wahlkampf hatten sich die Christdemokraten zwar für ein Biomassekraftwerk ausgesprochen – nur nicht an dem von Hümme gewünschten Standort am eigenen Hof. Ein Bürgerentscheid, nach dem „die Gemeindevertretung den Investor bei der Standortsuche und der Realisierung eines Biomassekraftwerks in der Gemeinde unterstützen“ sollte, verhinderte der Gemeinderat durch Übernahme. Der Inhalt decke sich mit der Position der CDU, behauptet Henschel. Wenn die Initiatoren inhaltlich etwas anderes wollten, sagt er, „dann müssen sie es auch zum Ausdruck bringen“.
Hoffnung kann Hümme aus der Novellierung des Baugesetzbuches schöpfen, die voraussichtlich am 1. Juli in Kraft treten wird und Bioenergieanlagen im Außenbereich privilegiert. Das Genehmigungsverfahren soll dadurch einfacher und schneller werden.
Das finanzielle Risiko
Ob Hümme aus ökonomischer Sicht glücklich werden wird mit seinem Projekt, daran gibt es Zweifel. „So eine Anlage gibt es noch nicht“, sagt der schleswig-holsteinische CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Bioenergie (BBE) Helmut Lamp. „Wir wissen nicht, ob das überhaupt funktioniert in der Größe.“ Ohne eine zusätzliche begleitende Förderung sei das Projekt für einen Landwirt wie Hümme zu riskant, glaubt er. Ziel des Verbandes ist es, eine breite Zustimmung zur Bioenergie in der Öffentlichkeit zu erreichen. „Bisher ist Streit eher die Ausnahme“, versichert Geschäftsführer Bernd Geisen.