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Archiv-Artikel

„Ich habe die Wut meines Vaters geerbt“

Nina Hoss, 29, wählt am kommenden Sonntag als Mitglied der Bundesversammlung die Bundespräsidentin. Ein Gespräch über mutlose Politiker, die alte Küchenfrage, ignorante Handwerker – und warum ihr Vater Willi Hoss ihr Vorbild ist

„Die Argumentation der Gewerkschaften ist mir zu undifferenziert. Zu sagen: Man darf gar nichts verändern“

INTERVIEW SUSANNE LANG

taz: Frau Hoss, wäre es Ihnen lieber, das Gespräch mit einem Mann zu führen?

Nina Hoss: Ach, nein. Wieso, sollte es?

Weil ein Mann Ihnen vielleicht einfach ein Kompliment machen würde, wohingegen Frauen gern fragen, wie Sie mit Ihrer Schönheit umgehen.

Ich denke grundsätzlich gar nicht so sehr über Schönheit nach, weil ich mich nicht als schön sehe oder darüber definiere. Es gibt Tage, an denen ich in den Spiegel gucke und denke: Hat auch schon mal besser ausgesehen. Vielleicht bin ich da aber auch untypisch. Männer haben mich übrigens auch schon danach gefragt.

Sie arbeiten überwiegend mit Regisseuren zusammen. Klappt das besser als mit Regisseurinnen?

Es macht tatsächlich einen Unterschied. Als ich mit Amelie Niemeyer Minna von Barnhelm gespielt habe, wurde viel mehr über die Konzeption der Frauenrolle nachgedacht: Wie legt man sie an, welches Frauenbild steckt dahinter. Für Regisseure sind Frauen vermutlich geheimnisvoller, der Spannungsbogen ist größer, und das verbessert die Arbeit unter Umständen. Sie können sich weniger einfühlen, sehen dadurch aber etwas in Rolle, worauf man als Frau eventuell nicht kommen würde.

Geht Ihre Generation lockerer mit Männern in führenden Positionen um als beispielsweise die Ihrer Mutter, die sich als Intendantin in einem absoluten Männerberuf durchkämpfen musste?

Auf einem Kongress habe ich einmal eine Frau erlebt, die stellte konsequent immer nur die „Küchenfrage“, Heimchen am Herd und so weiter. Ich dachte: Mein Gott, die Frage ist heute viel komplexer und stellt sich so nicht mehr. Als gäbe es keine anderen Probleme zu lösen. Aber ich will nicht unfair sein: Die Generation von Alice Schwarzer hat vorgekämpft, und wir wandeln jetzt auf dem Teppich, den sie uns bereitet hat. Meine Mutter hatte als Intendantin tatsächlich ordentlich zu kämpfen. In vielen Bereichen ist das bis heute so.

Haben Sie es auch schwer als Frau?

Oh ja! Jüngstes und bestes Beispiel: Handwerker. Die halten dich irgendwie für beschränkt. Dass man selbst ein wenig Ahnung haben könnte, das vermuten sie nicht einmal und sind baff-erstaunt, wenn man sie kritisiert.

Gerade bei Handwerkern fährt man auf dem Frauenticket doch ganz gut.

Meine letzte persönliche Erfahrung war einfach, dass sie versuchten mich reinzulegen. Ich glaube, bei einem Mann wären sie da vorsichtiger. Wir Frauen haben da noch ordentlich zu tun. Vor allem müssen wir aufpassen, dass vieles an Gleichberechtigung und Emanzipation nicht wieder verloren geht.

Haben Sie denn das Gefühl, dass das passiert?

Hier in Deutschland sind wir zumindest nicht akut gefährdet. Aber man darf auch nicht übersehen, dass leider nur eine Minderheit wirklich emanzipiert ist. Für meine Rolle als Kätchen in Gerhard Hauptmanns „Einsame Menschen“ …

der aktuellen Inszenierung von Michael Thalheimer am Deutschen Theater in Berlin …

… habe ich mich intensiv mit diesem anderen Frauenbild beschäftigt: die Frau, die dem Mann untertan ist, die auch keine Chance zur Emanzipation bekommt. Ich habe mich gefragt, ob das überhaupt noch heutig ist. Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr denke ich: absolut. Man muss nur mal in die Randbezirke Berlins gehen, dort ist dieses Frauenbild noch sehr präsent. Die Frage, ob man einen Mann verlässt, weil er einen schlägt, stellt sich nicht. Die Abhängigkeiten sind viel zu groß.

Fällt es Ihnen schwer, Privatleben und Beruf zu vereinbaren?

Bis jetzt nein, aber ich habe auch noch kein Kind. Ich glaube aber, dass mein beruflicher Ehrgeiz nicht so groß wäre, dass ich nicht für eine gewisse Zeit auf Produktionen verzichten könnte. Es hängt ja auch viel am Partner, das müssen ja beide zusammen managen. Mal sehen.

Ihr Privatleben bedeutet Ihnen demnach sehr viel?

Ja. Freunde, der Partner, Familie – das sind die eigentlich wichtigen Dinge in meinem Leben. Sie sind wesentlicher. Eine schlechte Kritik beschäftigt mich zwar sehr, aber sie greift nicht in mein Leben ein. Davon kann ich mich stärker abgrenzen. Als es meinem Vater zum Beispiel schlecht ging, war es für mich gar keine Frage, Produktionen abzusagen.

Ihr Vater Willi Hoss war Bundestagsabgeordneter und Gründungsmitglied der Grünen. Sie sagen, er ist ein Vorbild für Sie. Weil er sehr engagiert war?

Zum Beispiel. Er konnte Dinge immer sehr klar analysieren, war aber nie jemand, der nur geredet hätte, er hat einfach gemacht. Das ist sehr selten heute. Vor allem war er sehr überzeugend, konnte Menschen für seine Ideen gewinnen und zu mehr Mut bewegen. Von ihm, eigentlich von beiden Eltern, habe ich gelernt, mich zu wehren. Sobald ich das Gefühl habe, meine Würde ist in Gefahr oder etwas wird ungerecht, auch für andere, wehre ich mich.

Wann haben Sie sich selbst zuletzt ungerecht behandelt gefühlt?

Manchmal habe ich das Gefühl, wie eine Leibeigene behandelt zu werden. Als hätte man nichts zu sagen. Dagegen wehre ich mich.

Von Regisseuren?

Nein, von der Institution, dem Theaterbetrieb.

Würden Sie sich selbst als engagiert bezeichnen?

Das wäre übertrieben, privat in meinem Leben mit Sicherheit. Engagiert vielleicht in dem Sinne, dass ich meine Meinung sage und versuche, mich gut zu informieren.

Ist es schwieriger geworden, sich zu engagieren?

Ich glaube ja. Der springende Punkt ist, dass meine Generation nicht kämpfen musste und alles serviert bekam. Deshalb es ist es so schwierig zu wissen, für was man sich überhaupt einsetzen soll. Man sieht viele Ungerechtigkeiten, hat aber eher die Einstellung: Ich kann etwas dagegen machen, kann es aber auch lassen. Mein Vater hingegen ist im Krieg als Landarbeiterkind aufgewachsen und hat sich Zeit seines Lebens der unteren Schicht zugehörig gefühlt. Daher kommt der Drang, etwas verändern zu müssen. Dieses Wütendsein habe ich geerbt.

Was macht sie wütend?

Intransparenz zum Beispiel. Dass ich als Bürger nicht informiert werde. Wenn ich so manchem Politiker zugucke, dann denke ich immer: Danke, danke, dass er mir überhaupt etwas erklärt. Dabei ist es seine Aufgabe, dem Bürger und den Bürgerinnen, die ihn gewählt haben, seine Entscheidungen zu begründen. Wenn man etwas hinterfragt, bekommt man selten eine klare Antwort. Es ist eine unerträgliche Selbstherrlichkeit entstanden.

Fühlen Sie sich denn dann wohl, wenn Sie am Sonntag einen Politiker – wenn auch repräsentativen – wählen?

Natürlich, das hindert mich aber nicht daran Kritik zu äußern, wenn mir an ihnen etwas missfällt. Ehrlich gesagt, als ich diesen Anruf bekam, habe ich sofort gedacht: Klar, ich mache das, schon aus Bürgerpflicht. Aber ich gestehe, ich bin sehr froh, dass eine Gegenkandidatin gefunden wurde, sonst wäre ich in Schwierigkeiten gekommen und hätte vielleicht gar nicht gewählt.

Sie sind ja von den Grünen berufen. Sehen Sie sich links?

Ich würde mich selbstverständlich eher zur Linken zählen, andererseits müsste man die wieder neu definieren. Was heißt es heute, links zu sein? Wofür steht die Linke? Ich weiß es nicht mehr genau.

Warum zählen Sie sich zur Linken?

Es gibt ökologische Gesichtspunkte und zivilgesellschaftliche Fragen, die mir am Herzen liegen und mit denen sich die Linke anders auseinander setzt als die Konservative.

Würde man Sie auf einer Demo sehen?

Kommt darauf an, auf welcher.

Eine Großdemo mit Attac und Gewerkschaften gegen Sozialabbau?

Eher nicht. Ich bin absolut gegen Sozialabbau, aber es ist auch klar, dass wir reformieren müssen. Die Argumentation der Gewerkschaften ist mir zu undifferenziert. Zu sagen: Man darf gar nichts verändern. Da halte ich es eher mit Attac, die vor allem aufmerksam machen auf Probleme, auf soziale Ungerechtigkeit. Ich würde dafür demonstrieren, dass man besser erklärt, was auf uns zukommt. Und für mehr Mut. Momentan ist die Politik sehr mutlos. Wenn schon Reform, dann richtig.

Vermissen Sie auch am Theater immer noch den Mut zum Politischen, wie Sie es vor einigen Jahren taten?

Das Theater hat sich sehr verändert. Als ich das gesagt habe, habe ich mich am Theater unglaublich gelangweilt. Ich kam von der Schauspielschule, brannte und loderte und wurde eigentlich nur gebremst. Jetzt habe ich aber Regisseure gefunden, die mich sehr inspirieren, bei denen es um was geht. Einar Schleef oder Michael Thalheimer zum Beispiel. Seine Stücke sind politisch, weil er Aussagen macht über das bürgerliche Privatleben, das bereits immer auch politisch ist. So wie er das Käthchen erzählen lässt, wie er die Frauenrolle anlegt, trifft er eine politische Aussage.

Auf welche Frauenrolle freuen Sie sich schon, die Sie erst im Alter spielen können? SchauspielerInnen sind ja in der glücklichen Situation, mit 50 nicht als schwer vermittelbar zu gelten.

Erst neulich sprach mich jemand darauf an, dass ich ja langsam auch ins Mutterfach käme. Ähmm! Dagegen möchte ich mich doch noch wehren. Über die Altersfrage, glaube ich, muss ich mir noch keine Gedanken machen. Zwischen 40 und 50 ist eine problematische Zeit. 50 aber ist schon wieder in Ordnung, Iris Berben oder Hannelore Elsner zum Beispiel, sie stehen für ein neues gereiftes Frauenbild: hat schon alles hinter sich, ist wieder spannend und immer noch schön.