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Archiv-Artikel

„Es ist bedrückend“

Gewerkschafter Jens Rothe befürchtet, dass nun im Westen Arbeitszeitverlängerungen gefordert werden

taz: Herr Rothe, was haben Sie gedacht, als die Verhandlungen gescheitert sind?

Jens Rothe: Mein erster Gedanke war: Das ist eine schwere Niederlage für uns. Das wird all diejenigen auf den Plan rufen, die die Arbeitszeit auch in Westdeutschland verlängern wollen.

Was sind die Gründe für Ihre schwerste Schlappe seit 1954?

Erstens ist es uns nicht gelungen, die breite Öffentlichkeit von unseren Forderungen zu überzeugen. Zweitens sind viele Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband ausgestiegen. Das hat unsere Streikfront geschwächt. Die dritte Ursache für das Scheitern ist die unsägliche Diskussion um die Nachfolge des IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel, die in den letzten Wochen auf dem Rücken der Streikenden ausgetragen worden ist.

Warum haben Ihre Argumente in der Öffentlichkeit kein Gehör gefunden?

Die gebetsmühlenartig wiederholte Forderung nach längeren Arbeitszeiten hat leider gefruchtet. Mir persönlich ist völlig unklar, wie in der jetzigen Rezession längere Arbeitszeiten zu mehr Beschäftigung führen sollen. Es wurde nicht verstanden, dass es uns darum ging, im Osten durch Umverteilung von Arbeit perspektivisch Arbeitsplätze zu schaffen.

Eine Reallohnerhöhung hätte nach Ansicht der Arbeitgeber zu Abwanderung nach Osteuropa und damit zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt.

Dieser Prozess läuft doch ohnehin schon …

und würde dadurch verstärkt …

Das glaube ich nicht.

Was bedeutet die Niederlage für die Zukunft des Flächentarifvertrags?

Es wird verstärkt Haustarife geben. Ich halte den Flächentarif vertrag in der Metall- und Elektroindustrie in Ostdeutschland nicht mehr für haltbar.

Welche Konsequenzen hat das für die Gewerkschaften?

Die Aushandlung von Haustarifverträgen kann zu einer Stärkung der Gewerkschaften führen. Aber der Abschied vom Flächentarifvertrag bedeutet vor allem eines: Schmutzkonkurrenz bis zum Umfallen.

Wollen Sie nun die 35-Stunden-Woche über die Haustarifverträge einführen?

Jetzt beginnen bei jedem einzelnen Arbeitgeber neue Tarifrunden. Dabei bleiben wir selbstverständlich bei unserem Ziel, die 35-Stunden-Woche einzuführen.

Die Verantwortung für das Scheitern trägt der designierte Vorsitzende Jürgen Peters. Sollte er auf die Nachfolge von Klaus Zwickel verzichten?

Ich lehne eine Personalisierung ab. Den Streik hat die IG Metall verloren und nicht Jürgen Peters.

Intern gibt es bereits erste Rücktrittsforderungen.

Zur Nachfolge von Klaus Zwickel gibt es einen Vorstandsbeschluss. Daran sollten wir festhalten.

Was sagen Sie den Kollegen nach dem erfolglosen Arbeitskampf?

Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde.

Wie ist die Stimmung innerhalb der Gewerkschaft?

Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren: Es ist bedrückend.

INTERVIEW: ANDREAS SPANNBAUER