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Archiv-Artikel

Little Girl Lost der Saison

Das Heißeste waren die Feuerfackeln: Wie Britney Spears den Sex im Babydoll neu erfinden wollte und dabei nicht so recht vorwärts kam. Das Ziel knapp verfehlen, das kann sie inzwischen am besten

In Amerika, so wurde vorneweg kolportiert, bliebe den Sitten-wächtern die Luft weg

VON HEIKE BLÜMNER

Was darf man sich derzeit von einem Britney-Spears-Konzert versprechen? In einer Zeit, in der Megastars in der Substanz bröckeln: Madonna esoterisch, Michael Jackson in Auflösung. Kann Britney Spears es da schaffen, die große Show, die perfekte Illusion auf die Bühne zu stellen? Immerhin gelingt es ihr in hübscher Regelmäßigkeit, den ein oder anderen Song rauszubringen, der Millionen von Menschen für einen Moment fröhlicher macht, so wie „Toxic“. Oder trauriger, so wie „Everytime“.

Ferner lächelt sie uns nicht nur von jedem nur erdenklichen Magazin-Cover in der klassischen Britney-Pose entgegen, also leicht gesenkter Kopf, von unten kommt ein unerklärlicher, kräftiger Windstoß, der die Haare nach hinten fegt, es aber nicht verhindert, dass Fräulein Spears uns mit einem Blick fixiert, als hätten wir soeben ihr Lieblings-Outfit zerschnitten. Nein, Britney wurde auch noch zur sexiesten Frau des Jahres von den Lesern des FHM-Magazins gewählt. Ob man von denen sexy gefunden werden will, ist eine andere Geschichte. Der PR-Taifun ist jedenfalls entfesselt. Und nicht nur der tobt über die Weiten der Welt, auch die Klatschpresse hat dank Britney immer was auf dem Schirm.

Sie ist das ertragreichste „Little Girl Lost“ der Saison. Zunächst wäre da Exfreund Justin Timberlake. Er verließ Britney, wurde en passant zum neuen sexiest Popstar der Herzen, ohne irgendeine dumme Umfrage, und liebt inzwischen die wesentlich ältere und respektablere Schauspielerin Cameron Diaz. Das tut weh, und die meisten Menschen machen dumme Sachen, wenn sie Liebeskummer haben, nur guckt ihnen dann nicht die halbe Welt dabei zu. Bei Britney summieren sich die Fauxpas: Rasant wechselnde Affären, natürlich immer mit den Falschen, eine im Rausch geschlossene Blitzhochzeit, die umgehend annulliert wurde, Alkohol, Zigaretten und wer weiß was noch, hebräische Tätowierungen mit Rechtschreibfehler auf dem Rücken, dem schlechten Einfluss von Madonna und ihrem Kabbala-Spleen zuzuschreiben. Dazu kommt der plötzliche Imagewechsel vom koketten jungen Mädchen zum Vamp mit einem „outrageous sexdrive“, wie es in einem ihrer Stücke heißt. Dieses ganze Gefühls-, State-of-the-Art- und Metaebenen-Kuddelmuddel galt es nun am Sonntagabend im Berliner Velodrom in Augenschein zu nehmen.

Britneys „Onyx“-Tour, so wurde im Vorfeld kolportiert, sei knapp an der Grenze zur Pornografie, in Amerika bliebe den Sittenwächtern die Luft weg, die ganz große Provokation-Story eben. Die Idee zur Show ließ einem schon im Vorfeld erahnen, dass es schwierig werden würde mit dem erotischen Befreiungsschlag. Die Bühne als Onyx-Hotel, als geheimer Ort, wo Sehnsüchte wahr und Tabus gebrochen werden, fegt einen nicht gerade aus den Dessous.

Vom ersten Moment der Show an war dann auch klar, dass Sex hier auf dem Niveau eines Ibis-Hotel-Musicals abgefeiert wird. Das Heißeste auf der Bühne waren zu jeder Zeit die Feuerfackeln, die im Hintergrund regelmäßig ihre Flammen in die Luft jagten. Ansonsten lieferte Britney ein sehr atemloses, verwirrtes Spektakel, das wohl ihre Vielschichtigkeit demonstrieren sollte, im Grunde aber das Gegenteil bewirkte. Auf einem Blechwagen, der entfernt an einen billigen Wohncontainer erinnert, wird Britney auf die Bühne geschoben. Musikalisch kann man zu diesem Zeitpunkt mit „Toxic“ nicht viel falsch machen, aber Outfits und Hintergrund lassen schon zu diesem Zeitpunkt Schlimmes erahnen.

Wir befinden uns eher am Ort unserer Albträume, eine osteuropäische Großraumdisko vielleicht, in der eine Britney rumhüpft, die vom Styling her auch locker in der Band der aktuellen Grand-Prix-Gewinnerin auftreten könnte. Das Hotel-Thema, sehr frei interpretiert, zusammengehalten lediglich durch einen dicken, schwulen Conferencier und seltsame Videoeinspieler, die Handlung suggerieren sollen, nimmt seinen Lauf: Britney im rosa Babydoll als Sängerin in einem Nachtclub singt eine angejazzte Version von „Oops, I did it again“, die einem die Haare zu Berge stehen lässt. Es folgt die Ballade am Flügel, bei der Britney zunächst sehr engagiert und emotional in die Tasten greift, um dann nach einer Minute aufzustehen und im Stehen weiterzusingen, während die Klaviermusik natürlich weiterläuft.

Es kommen Ausdruckstänze von Männern und Frauen in farblosen Ganzkörper-Strumpfhosen, was Reinheit und Natürlichkeit symbolisieren soll. Irgendwann sitzt Britney trällernd auf einer hellblauen Satin-Schaukel, in einem hellblauen Glitzerkleid, und sieht aus, als würde sie gleich auf einem pinken Mattel-Plastikpferd mit silberner Mähne in den Regenbogen hineinreiten. Stattdessen sind wir auf einmal wieder im Hotel, wo wir uns nun dem versprochenen Höhepunkt der Show rhythmisch entgegenbewegen. Der vielbeschworene Skandal – Britney in angedeuteter Masturbations- und Kopulationsaction – entpuppt sich als in etwa so schockierend und weniger eindeutig als ein Beitrag bei „Liebe Sünde“.

Zu diesem Zeitpunkt wird bereits darüber diskutiert, ob der Applaus in der ohnehin nur zu zwei Dritteln gefüllten Halle durch die Lautsprecher verstärkt wird. Nein, es macht keinen Spaß, Britney in ihrer Welt zuzugucken, doch noch ist ihre Krise ja von einer derartigen Beschaffenheit, dass Überwindung möglich scheint. Wahrscheinlich mit viel amerikanischem Selbstfindungstamtam, aber da kommt noch was. Und dann wird vielleicht alles gut.