Wie ein Mann leben
Hollywood und der Broadway trauern um die große Katharine Hepburn. Wie keine andere Schauspielerin ihrer Generation verkörperte sie die moderne, unkonventionelle und vor allem selbstbestimmte Frau. Dass sie dabei immer ein wenig burschikoser wirkte als ihre Kolleginnen, war Teil ihres Erfolgs
von REINHARD KRAUSE
Den Spitznamen „die Zarin“ trug sie in Amerika seit den Tagen eines offenbar triumphalen Debüts in einem gleichnamigen Theaterstück auf einer Bühne in Baltimore. Was für ein unpassender Name! Denn an Katharine Hepburn war zeit ihrer mehr als sechzigjährigen Filmkarriere überhaupt nichts entrückt Hoheitsvolles.
Ein anderer Kosename lautete „die Kratzbürste“, und das traf es schon viel besser. Katharine Hepburn, in der klassischen Phase der Leinwandgöttinnen zum Hollywoodstar aufgestiegen, war viel zu irdisch und vor allem viel zu wenig lethargisch, um die gängigen Vamp- und Femme-fatale-Tendenzen der Traumfabrik jener Zeit zu bedienen.
Stattdessen verkörperte sie in Reinform ein Frauenbild, das die Claudette Colberts und Norma Shearers im Vergleich nur streiften: das der frischen, unabhängigen, immer ein wenig unkonventionellen und ein wenig „männlichen“ Frau. Während die Dietrich selbst im Frack noch feminine Verführungskunst zelebrierte, stakste die Hepburn mit dynamisch langen Schritten und den Händen in den Taschen ihrer praktisch-eleganten Kleider durch die Screwball-Komödien der Dreißigerjahre. Gut gelaunt, schnell und sehr sportlich. Zumindest innerlich hatte Hepburn in ihren Filmen stets die Hosen an.
Zum frühen Profil der selbstbewussten, eigenwilligen, dabei aber auch erfrischend unkomplizierten Frau trug gewiss bei, dass Hepburn, geboren am 12. Mai 1907 in Hartford, Connecticut, die Tochter einer engagierten Frauenrechtlerin war. Und eines Chirurgen, nebenbei bemerkt. Eine Frau aus kleinbürgerlichen Verhältnissen hätte man Miss Hepburn ebenso wenig abgenommen wie eine verwöhnte Drohne.
Über die Grenzen der Emanzipation indes machte sich die Vorzeige-Selbstständige des US-Films wenig Illusionen. Überliefert ist ihre Selbstauskunft: „Nur wenn eine Frau sich entscheidet, keine Kinder zu haben, kann sie wie ein Mann leben. Genau das hab ich getan.“
Der Übergang von den flotten Großstadtfrauen („Leoparden küsst man nicht“, 1938) zu den schrägen Schachteln („Es geschah im letzten Sommer“, 1960) verlief bei Hepburn fließend. Ausgerechnet für ihre heute berühmteste Rolle als ältliche Missionarin in „African Queen“, in dem sie an der Seite von Humphrey Bogart herrlich zwischen verblühter Schönheit und jüngferlicher Hölzernheit changiert, erhielt sie 1951 keinen Oscar. Drei ihrer vier Academy Awards erhielt sie erst jenseits der sechzig.
Es folgten eine Reihe von Filmen mit ihrem Dauerlebensgefährten Spencer Tracey – nun allerdings meist in der Rolle später Mädchen oder von Müttern, die ihre Lektionen in Sachen Liberalisierung der Gesellschaft noch lernen müssen. So etwa 1967 in „Rat mal, wer zum Essen kommt“, in dem sie Sidney Poitier als schwarzen Schwiegersohn erst mühsam akzeptieren lernt.
Schade, dass die hepburnsche Rasanz der frühen Jahre in den Filmen der Fünfziger- und Sechzigerjahre deutlich abgemildert und in bisweilen betuliche Plots gezwungen wurde. Wohl auch ein Grund, weshalb es die Schauspielerin immer wieder nach New York und auf die Bühne zog.
Zuletzt vor der Kamera stand sie 1994 für die Fernsehproduktion „One Christmas“, da war sie 87. Eine amerikanische Inge Meysel ist sie jedoch nie geworden – davor bewahrten sie ihr Qualitätsgefühl und das beruhigende Wissen, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen.
Ihren vierten und letzten Oscar hatte sie 1981 für „Am Goldenen See“ erhalten, in dem sie neben dem greisen Henry Fonda gewohnt burschikos gegen die Melancholie des nahenden Todes anspielte. Ein Film, bei dem man sich fragen mochte, ob das fortgesetzte leise Kopfwackeln der Hepburn rollengerechtes Herunterspielen der Rührung sein sollte oder Anzeichen einer Parkinsonerkrankung.
Erst vor wenigen Woche erklärte ihre Nichte in einem CNN-Interview kategorisch: „Sie hat niemals Parkinson gehabt.“ Das Zittern liege schlicht in der Familie und sei überhaupt alterstypisch. Wie sie selbst in Erinnerung bleiben wollte, hatte Hepburn schon 1993 gezeigt, als sie eine Dokumentation mit dem sprechenden Titel „All about Me“ produzierte.
Am Sonntag nun ist Katharine Hepburn in ihrem Haus in Old Saybrook, Connecticut, 96-jährig gestorben. US-Präsident Bush würdigte sie als „eine der größten Künstlerinnen des Landes“, und hier möchte man ihm einmal überhaupt nicht widersprechen. Heute, um 20 Uhr Ortszeit, sollen ihr zu Ehren am Broadway die Lichter für ein paar Minuten ausgehen. Schöne Geste für eine wunderbare Kratzbürste.