: Ärztetag ärgert sich über Schmidt
Mediziner weiter verärgert über die Gesundheitsreform. Die Barmer Ersatzkasse kann dagegen durch die Reform ihre Beiträge senken. Und die DAK entdeckt neues Sparpotenzial: Bei Bagatellerkrankungen ist jeder fünfte Arztbesuch überflüssig
AUS BREMEN SUSANNE GIEFFERS
Dass auf seiner Rechnung stehe „3,5-facher Satz wegen Polymorbidität bei älteren Patienten“, das habe ihn dann doch erschreckt, erklärte gestern Bundespräsident Johannes Rau bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetags in Bremen. Die Botschaft des Staatsoberhauptes: Die Ziele der Gesundheitspolitik müssten deutlicher werden, die Sprache einfacher. Die rund 250 Delegierten klatschten kräftig, als Rau erklärte: „Gesundheit ist keine Ware, Ärzte sind keine Anbieter und Patienten sind keine Kunden.“ Zwar mahnte Rau auch die Verantwortung der Ärzte an, geißelte aber vielmehr die Krankenkassen: „Ich kenne kein Land auf der Welt, das mehr Krankenkassen hätte als unseres.“ Er habe am Morgen schon mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt diskutiert, witzelte Rau, ob man die mehr als 400 Krankenkassen nicht halbieren könne.
Während Rau viel beklatscht und oft zitiert wurde, war der Empfang für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt höflich, aber unterkühlt. Das von Rau gepriesene Vertrauen in die Ärzteschaft könne man mit solcher Politik wohl kaum aufbauen, erklärte ihr Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe vom Rednerpult herab. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz „fördert nicht den Wettbewerb von Modernität, sondern von Profit“. Viele Menschen würden nicht mehr optimal versorgt werden können. Fallpauschalen bedeuteten die „Selektion nach Marktgesetzen“, so Hoppe. Die Konzentration medizinischer Leistungen in Versorgungszentren und die Mindestmengen-Regelung werde 200 bis 300 Krankenhäuser im ländlichen Raum zur Schließung zwingen.
Für die Ärzteschaft forderte er ein Mehr an Respekt und ein Weniger an Bürokratie. Da warte sie auf Vorschläge, hatte die Ministerin zuvor erklärt – und höhnisches Gelächter geerntet. Ulla Schmidt verteidigte in Bremen ihr Werk: Kurzfristige Folgen würden „dramatisch übertrieben“, langfristige hingegen „dramatisch unterschätzt“ und manchmal „die ethische Keule zur Besitzstandswahrung geschwungen“. Zuvor hatte Karl Lauterbach, Berater der Gesundheitsministerin, die Ärzte als Gewinner der Gesundheitsreform bezeichnet. Die Kassen würden die gleichen hohen Summen wie bisher an die Ärzte überweisen – obwohl immer weniger Menschen zum Arzt gingen.
Die Barmer Ersatzkasse verwies gleichzeitig in Berlin auf die positiven Auswirkungen der Gesundheitsreform. Vorstandschef Eckart Fiedler versprach den 5,8 Millionen Versicherten, die Beiträge ab 2005 von 14,7 auf 14,4 Prozent zu senken. Die Gesundheitsreform habe der Kasse neue Spielräume eröffnet. Die DAK wies darauf hin, dass bei Bagatellerkrankungen jeder fünfte Arztbesuch überflüssig sei. Jeder fünfte Arztbesuch bei Bagatellerkrankungen erfolge nur wegen des Attests für den Arbeitgeber, teilte die DAK in ihrem Gesundheitsreport 2004 mit. „Wenn 1,4 Millionen Arztbesuche nicht medizinisch begründet sind, werden die knappen Ressourcen des Gesundheitswesens falsch genutzt.“ Die Arbeitgeber könnten selbst dazu beitragen, die Lohnnebenkosten zu senken, wenn sie in den Betrieben ein Klima des Vertrauens schaffen würden. Über die Hälfte der im Gesundheitsreport Befragten glauben, dass eine Krankschreibung schon ab dem zweiten oder dritten Krankheitstag fällig ist – gesetzlich vorgeschrieben ist sie aber erst ab dem vierten.