: „Ich habe eine wichtige Lektion gelernt“
Im ersten Prozess wegen Folter und Misshandlungen im Bagdader Abu-Ghraib-Gefängnis wird der Angeklagte Jeremy C. Sivits zu einem Jahr Haft verurteilt. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bleibt vom Prozess ausgeschlossen
AUS BAGDAD INGA ROGG
Nach dreieinhalb Stunden war der Prozess vorbei. Der Stabsgefreite Jeremy C. Civits wurde am Mittwoch von einem amerikanischen Militärgericht in Bagdad schuldig gesprochen. Der Richter, Oberst James Pohl, verurteilte Sivits zu einem Jahr Haft für seine Beteiligung an der Misshandlung von Gefangenen in Abu Ghraib.
Sivits war der erste von sechs Soldaten, die sich wegen der Misshandlung und Folterung in Abu Ghraib vor Gericht verantworten müssen. Gleich zu Beginn des Verfahrens legte er ein Geständnis ab und bekannte sich schuldig. In seiner Einvernahme beschrieb er Einzelheiten dessen, was sich in der Nacht des 8. November in dem berüchtigten Gefängnis im Westen von Bagdad abgespielt hat.
Der gelernte Kfz-Mechaniker war selber nicht Teil der Wachmannschaft der 372. Brigade der Militärpolizei, sondern für Wartungsarbeiten abgestellt. An jenem Abend habe er einen Generator gewartet, als ihm einer der ebenfalls angeklagten Militärpolizisten anbot, mit ihm zum „harten Teil“, dem Verhör- und Isolationstrakt zu kommen.
Was er dann schilderte, klang wie der Bericht über eine Gruppe völlig außer Kontrolle geratener Menschenschinder. Sivits beschuldigte Charles Graner, gegen den ebenfalls Anklage erhoben wird, einem Häftling so hart und lange auf die Brust geschlagen zu haben, dass dieser das Bewusstsein verlor. Zwei andere Häftlinge wurden zu sexuellen Handlungen gezwungen. Dem Sadismus der fünf Männer und zwei Frauen schien keine Grenze gesetzt. Lynndie England sei Gefangenen mit ihren Stiefeln auf die Hände getreten. England ist auf einem Foto zu sehen, auf dem sie einen nackten Gefangenen wie einen Hund an einer Leine hält.
„Es war ein Albtraum“, sagte Sivits. Warum er nichts unternahm, obwohl er wusste, dass dies Unrecht ist, könne er sich nicht erklären. In jener Nacht machte er nur mit, schaute zu und schoss eines der Fotos, die seither im Umlauf sind. „Ich habe eine wichtige Lektion gelernt“, sagte er am Ende des Prozesses. „Man muss sich für das, was richtig ist, einsetzen.“
Der Prozess fand im Bagdader Kongresszentrum statt, wo noch stärkere Sicherheitsvorkehrungen galten als sonst. Ein Versammlungssaal im Erdgeschoss wurde zum Gerichtssaal umgewandelt, wo auch eine Gruppe von 32 Medienvertretern zugelassen wurden. Der Rest musste mit einer Videoübertragung vorlieb nehmen, auf der der Angeklagte bis auf seine Einvernahme nur in der Rückenansicht zu sehen war. Außen vor blieb indes die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Wegen Sicherheitsbedenken und dem beschränkten Platz sei ihr die Teilnahme verweigert worden, erklärte die Organisation.
Vor dem Kongresszentrum demonstrierten etwa 150 Angehörige und Exgefangene gegen den Prozess. In der irakischen Presse fand das Urteil gestern kaum Widerhall. „Ein großes Verbrechen wurde mit einer lächerlichen Strafe geahndet“, sagte Muthanna Tabkjeli von as-Saman. Der Minister für Menschenrechte, Bakthyar Amin, forderte, das Urteil im historischen Kontext zu sehen. „Unter Saddam sind viel schlimmere Dinge passiert“, sagte Amin. „Angeklagt wurde niemand.“ Am Ende des Prozesses entschuldigte sich Sivits beim irakischen Volk und den Gefangenen. „Das war nicht ich“, sagte Sivits unter Tränen. „Es tut mir so Leid, was ich getan habe.“ Richter Pohl hat das nicht Milde gestimmt. Er degradierte Sivits, der zudem aus der Armee entlassen wird.
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