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Archiv-Artikel

Mit der Wucht einer Welle

Mark Philippoussis, der sich mit Surfen die Lockerheit zum Tennisspielen holt, und der zurückhaltende Alexander Popp haben viel gemeinsam – nicht nur, dass sie im Viertelfinale von Wimbledon stehen

aus Wimbledon DORIS HENKEL

Kann man sich wirklich vorstellen, dass Alexander Popp in seiner Jugend beim Tennisspielen ein rechtes Teufelchen war? Dieser junge Mann, der mit der Akkuratesse eines Scheine zählenden Bankbeamten schnelle Bälle schlägt? Dem selbst in Augenblicken der größten Gefahr kein Haar der perfekten Frisur verrutscht? Aber es muss wohl stimmen. Popp sagt, er habe sich mit seinen emotionalen Ausbrüchen früher viel kaputtgemacht, aber zum Glück verändere man sich ja mit den Jahren, und nun falle es ihm leichter, sich zu kontrollieren.

Für den Geschmack mancher Beobachter ist es ein bisschen viel der Kontrolle, aber das ist natürlich keine faire Feststellung. Wenn einer nach drei Jahren mit Krankheit und Verletzungen endlich wieder so spielen kann, wie es seiner Begabung entspricht, dann sollte man die Dinge so nehmen, wie sie sind. Und sich darüber freuen, dass da einer belohnt wird, der nie aufgegeben hat. Denn dass Alexander Popp, 26, aus Mannheim nach seinem Sieg im Achtelfinale gegen den kleinen Olivier Rochus heute im Viertelfinale der All England Championships spielen wird, ist dieser Tage eine der besten Geschichten des Tennis.

Zurückhaltend und vorsichtig war er vor drei Jahren schon bei seinem spektakulären Auftritt als Debütant. Aber dieser Zug hat sich verstärkt in der grauen Zeit seither. Er traut dem Braten nicht. Damals sind die Schulterklopfer ziemlich schnell verschwunden, und allzu viel Zuspruch hat er in der harten Zeit der Krankheit mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber nicht erfahren. Der Satz, mit dem er all das mal zusammenfasste, klingt bitter. „Ich habe begriffen“, sagte er, „dass Alexander Popp der einzige Mensch ist, der sich für Alexander Popp wirklich interessiert.“

Es gibt vieles, was Popp mit Mark Philippoussis verbindet – über die Tatsache hinaus, dass sie beide zum Sternzeichen des Skorpion gehören und im November 1976 mit nur drei Tagen Abstand geboren sind. Die Krankengeschichte des Australiers mit drei Knieoperationen in 14 Monaten ist eine Sache. Auch Philippoussis ist lange auf der Suche gewesen nach einem eigenen Weg, und mit der Kritik an seinen Entscheidungen war er oft überfordert.

Aber seit er beschlossen hat, sich guten Gewissens selbst der Nächste zu sein, geht es ihm besser. Seine Entscheidung, sich von Coach Peter McNamara zu trennen, mit dem er drei Jahre lang gearbeitet hatte, und sich wieder von seinem Vater Nick betreuen zu lassen, kam in Australien nicht besonders gut an. Auch nach seinem eindrucksvollen Sieg am Montag gegen Andre Agassi wurde darüber noch mal geredet, aber Philippoussis sagt, die Meinung der anderen zu diesem Thema sei ihm inzwischen egal. „Mein Vater hat mir das Tennisspielen beigebracht, als ich sechs war, und er kennt mich am besten. Außerdem ist es doch so: Alle lieben dich, wenn du gewinnst, aber wenn du verlierst, hängt sich keiner mehr dran.“

Aber er weiß auch, dass es genügend Tage gibt, an denen ganz andere Regeln gelten. Die des Meeres und des Windes. In Cardiff-by-the-Sea in Südkalifornien wohnt er seit einem Jahr direkt am Strand. Wenn er zu Hause ist, schnappt er sich jeden Morgen das Surfbrett, und spätestens um halb acht reitet er auf der ersten Welle. Erst danach kommt das Tennistraining dran; zwei Stunden auf dem Platz, zwei Stunden im Kraftraum. Es ist eine Kombination für Körper und Seele, die ihn glücklich macht. Surf und Volley sozusagen. Keine Frage, davon versteht er was. Bei einem verwandten Thema gibt es offensichtlich noch Klärungsbedarf. Als er gefragt wurde, was er von seinem Gegner Alexander Popp wisse, antwortete Mark Philippoussis, ohne zu zögern: „Toller Serve-and-Volley-Spieler.“ Naja, nicht ganz. Wäre in etwa so, als würde Popp behaupten, bei Philippoussis hapere es ein bisschen mit dem Aufschlag. Im letzten Spiel hat der Australier 46 Asse serviert. Mit der Regelmäßigkeit und der Wucht einer riesigen Welle.