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Archiv-Artikel

Hongkong will Pekings Gesetz nicht

In Chinas Sonderverwaltungsregion demonstrieren hunderttausende gegen ein geplantes Anti-Subversions-Gesetz und drücken damit ihre Unzufriedenheit über die von Peking eingesetzte Führung der Stadt und über ausbleibende Reformen aus

aus Hongkong JUTTA LIETSCH

„Noch nie im Leben habe ich demonstriert“, berichtet der Mann mit dem schwarzen T-Shirt. Aber nun sei er auf der Straße, weil „die Regierung ja sonst nicht auf uns hört“. Auch seine Kollegen, die „sonst nie über Politik reden“, sagt der Altenpfleger, seien heute dabei. „Wir haben es einfach satt.“ Es ist der sechste Jahrestag der Rückkehr Hongkongs unter Chinas Hoheit und die von Peking eingesetzte Führung hat der Bevölkerung einen Feiertag geschenkt. Doch die spielt nicht mit: Sie veranstaltet den größten Protest seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989. Auf bis zu 400.000 Demonstranten schätzen die Organisatoren die Menge, die sich in der Nachmittagshitze durch Hongkongs Straßenschluchten zieht.

Viele junge Leute und Familien ziehen mit Kind auf dem Rücken, Handy und Wasserflasche in der Hand vom Victoria-Park bis zum Regierungsgebäude im Zentrum. Sie rufen Slogans wie: „Tung Chee-hwa tritt ab“ und „Wahlrecht für das Volk!“ Geplant als Protest gegen ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong, das scharfe Strafen für Landesverrat, Subversion, Abspaltung und Aufwiegelung vorsieht, erweist sich der Marsch als Referendum der Straße gegen die von Peking am 1. Juli 1997 eingesetzte Führung der Sonderzone.

Die Stimmung ist schlecht in der Sieben-Millionen-Metropole: Mit über 8 Prozent war die Arbeitslosigkeit noch nie so hoch wie jetzt. Viele Betriebe gehen Bankrott, weil die Exporte in die USA, Europa und das übrige Asien scharf gefallen sind. Seit Ausbruch der Krankheit Sars bleiben auch noch die Touristen weg: „Keiner von uns hat bislang einen Job gefunden“, klagt der 24-jährige Sancho Ching, der gerade sein Studium abgeschlossen hat. Gemeinsam mit Freunden ist er auf der Straße. „Wir lieben Hongkong“, sagt er, „aber wir sind mit der Regierung nicht zufrieden, weil sie so unfähig ist.“

Schuld sei laut Sancho vor allem der seit dem Ende der Kolonialzeit regierende Verwaltungschef Tung Chee-hwa, der „nur auf Peking hört und sich nicht für unsere Interessen einsetzt“. Aus dem blühenden Territorium, das Hongkong noch bis 1997 war, sei eine „traurige Stadt“ geworden. Unzufrieden sind die Hongkonger auch über die Arroganz ihrer Führung, die sie weder wählen noch abwählen können. Während Tung mit dem Sicherheitsgesetz Peking gefallen will, zeigt er bislang keine Neigung, über demokratische Wahlreformen zu diskutieren – obwohl Hongkongs Verfassung ab 2007 mehr Bürgerbeteiligung erlaubt.

40 Initiativen, Parteien, Kirchen- und Menschenrechtsgruppen haben zum Protest aufgerufen. „Wer jetzt nicht auf die Straße geht, muss später von der Straße flüchten“, warnt ein Plakat. „Der IT-Sektor schließt sich dem 1.-Juli-Protest an“ steht auf einem Transparent. Freiheit für den in China inhaftierten Dissidenten Wang Bingzhang fordert ein anderes. Christliche Marschierer verteilen Liedtexte: „We shall overcome“. Die gelben T-Shirts der Falun-Gong-Bewegung künden von Barmherzigkeit. Journalisten warnen vor dem Verlust der Pressefreiheit, wenn das neue Gesetz wie befürchtet am 9. Juli verabschiedet wird.

Erschöpft sitzt ein Geschäftsmann vor dem Regierungsgebäude auf einer Mauer und beobachtet die Massen, die durch die Hennessy Road strömen. „Eigentlich“, sagt er, „dürfte ich hier gar nicht sein. Mir geht's bislang gut, und ich mache in China gute Geschäfte.“ Aber, so fährt er fort, „ich kann es nicht ertragen, dass diese Regierung alles zunichte macht, was wir haben, und die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel setzt“. Seine größte Sorge: Wenn Peking die 1997 versprochene politische Freiheit für Hongkong durch immer schärfere Gesetze gegen Subversion und Einschränkung der Pressefreiheit gefährde, „dann haben wir alles verloren, was uns von Schanghai und anderen chinesischen Städten unterscheidet“.

Kritiker wie der katholische Bischof Joseph Zen fürchten, dass Hongkong im Auftrage Pekings das neue Gesetz durchpeitschen will, um die Aktivitäten oppositioneller und religiöser Gruppen einzuschränken. Künftig müssen alle Organisationen, die auf dem Festland verboten sind, auch in Hongkong um ihr Überleben fürchten. Dazu gehören nicht nur Falun Gong, sondern auch vatikantreue Katholiken, unabhängige Gewerkschafter und amnesty international.