schmickler macht ernst
: Wir haben das!

WILFRIED SCHMICKLER: Der Mann mit der Axt holzt für die taz

Donnerstag, 20. Mai 2004, 16.45 Uhr: während der Rest der Republik in überfüllten Biergärten mittels der diversen geistigen Getränke die Himmelfahrt nachspielt (“Einer geht noch, einer geht noch rein!“), herrscht in Köln gespenstische Stille. Hier, wo normalerweise keine Gelegenheit ausgelassen wird, die Fässer auf und die Lampen an zu machen, hier sind die Straßen leergefegt, die Biergärten verwaist und die öffentlichen Grünanlagen grill- und bongofrei. Der Grund: Millionen Kölner haben sich vor den heimischen Fernsehapparaten eingefunden und verfolgen bibbernd die Live-Übertragung der Entscheidung im Kampf um die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010.

Dann: 17.03 Uhr. Die vom Kultur-Bombardement der letzten zwei Tage sichtlich mitgenommene Jury schleppt sich in die Pressekonferenz und Michael Vesper, der grüne Kulturminister, tritt vor Hunderte von Journalisten aus aller Welt. Die Spannung steigt ins Unermessliche. „Die Bewerberin für den Titel Kulturhauptstadt Europa ist....“ und in dem Moment schallt es aus Millionen Kölner Kehlen „Köln! Ja! Wir haben das! Wir haben das!“. Und was sich nun abspielt, das sind wahrhaft unbeschreibliche Szenen: Die Menschen strömen aus den Häusern und formieren sich zu endlosen Triumph-Märschen. Alles, was in dieser Stadt bimmeln kann, vereinigt sich zu einem orgiastischen Gebimmel. Tausende, ach, Zehntausende Fahrzeuge mit Kölner Kennzeichen kreisen mit infernalischem Gehupe durch die Straßen und aus allen Kneipen schallt das Lied, das in Köln zu solch großen Ereignissen immer aus allen Kneipen schallt: „Do simmer dabei, dat is prima!“

Im Stadtgarten, wo sich die Kölsche Bewerbungs-Prominenz zur Siegesfeier eingefunden hat, wird dem Fass im wahrsten Sinne des Wortes der Boden ausgeschlagen. Angeführt von den 11 völlig ausgeflippten Kultur-Jungfrauen trampelt eine gewaltige Promi-Polonaise über Tische und Bänke und mittendrin die mit Lorbeer bekränzten Väter des Sieges: Viktor Böll, Franz Xaver Ohnesorg und natürlich Fritze Schramma, den die jubelnde Menge auf den Schultern zum Dom trägt, wo er vom Kölner Erzbischof in einer improvisierten Spontan-Zeremonie ein für alle Mal heilig gesprochen wird.

Eine Stadt im Taumel! Bis in den frühen Morgen dauert die Riesen-Sause und die letzten torkeln erst freudetrunken ins Bett, als die ersten schon beim Kater-Frühstück die bittere Wahrheit aus der Zeitung erfahren: die NRW-Kulturhauptstadt 2010 ist Essen. Verdammt, wir haben das doch nicht! Aber was soll‘s. Hauptsache wir haben ordentlich gefeiert. Und wie sagt der abgewatschte Oberbürgermeister: „Den Schwung, den wir genommen haben, den werden wir weiter transportieren.“ Wobei die Richtung eigentlich egal ist. Wenn es nicht nach oben geht, dann geht es eben nach unten. Denn wenn ming Tant ne Schäuzer hätt, dann wör se mingen Ühm!