: Das blutende Mal
Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, nimmt Stellung zur aktuellen Diskussion um die Flick-Collection in Berlin
VON BRIGITTE WERNEBURG
Kunst, sagt Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, „kann man nicht stigmatisieren“ – und dann tut er genau dies in seiner fünfseitigen Presseerklärung vom Dienstag „zur aktuellen Diskussion um die Flick-Collection“. Ganz so, als gäbe es eine Kunst ohne Geschichte, ohne handelnde Personen und ohne Interessen, stigmatisiert und amputiert er die Kunst zu einer persönlichen Leidenschaft, zur reinen Glaubens- und Herzensangelegenheit und erhofft sich von diesem blutenden Mal Wunder und Zeichen.
Wunder und Zeichen sind nötig. Denn wirklich geht es ja um Kunst und Moral. Darum zumindest streiten sich sein Sammler Friedrich Christian Flick und Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in einem Austausch von offenen Briefen. Blut und die damit verbundenen Wunder spielen auch hier eine zentrale Rolle. Korn spricht im Hinblick auf die Präsentation der Sammlung Flick in Berlin von „einer Art moralischer Weißwäsche von Blutgeld in eine gesellschaftlich akzeptierte Form des Kunstbesitzes“. Denn jenseits von Flicks Vorhaben, seine Kunstsammlung der Öffentlichkeit leihweise für sieben Jahre zur Verfügung zu stellen, kann Korn „beim besten Willen nicht erkennen, aufgrund welcher philanthropischer Leistungen, Entschädigungszahlungen oder Verdienste um das Gemeinwohl“ Friedrich Christian Flick eine öffentliche Bühne für die Rehabilitierung seines Familiennamens geboten werden soll. Der Name Flick ist durch den Großvater Friedrich Flick, Hitlers größten Waffenlieferanten, Arisierungsgewinnler und Nutznießer von Sklavenarbeit, belastet. Forderungen nach Entschädigungszahlungen oder nach der Öffnung der Archive für die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Geschichte hat die Familie stets abgelehnt.
Klaus-Dieter Lehmann, der Friedrich Christian Flick die öffentliche Bühne zur Verfügung stellt, muss Korns Frage irritieren. Denn sie betrifft ihn und seine Institution nicht weniger als seinen Sammler. Für Lehmann muss daher Flick allein mit der Präsentation seiner Sammlung einen Beitrag für die Öffentlichkeit leisten. Was Lehmann in Worten erläutert, die einer Bankrotterklärung seiner Institution gleichkommen. Er spricht von „einem hochattraktiven Angebot“ Flicks an die Öffentlichkeit in Berlin, sich endlich „mit moderner Kunst vertraut zu machen“. Er lobt „das stringente Sammlungskonzept“, und er glaubt, „nie wurde zeitgenössische Kunst über einen so kontinuierlichen Zeitraum mit immer wieder neuen Blickachsen so dicht präsentiert“ wie hier.
Nun sind in diesen Blickachsen kaum zeitgenössische Künstlerinnen zu sehen, was den Begriff „dicht“ obsolet macht. Hier klaffen große Lücken, die mehr von einer Liebe zum Kunstmarkt sprechen, auf dem Künstlerinnen noch immer nicht reüssieren, denn von der Liebe zur Kunst. Von dieser kann auch nicht die Rede sein. Denn ginge es Friedrich Christian Flick nicht nur um seine Kunst, ginge es ihm wirklich um die Kunst, dann hätte er ein Interesse daran, die Arbeit der Staatlichen Museen nicht zu behindern. Dann dürfte die Flick-Collection seriöserweise die Stiftung rein gar nichts kosten. Doch das ist nicht der Fall. 13 Millionen Euro, doppelt so viel wie zuletzt bekannt gegeben, wird die Präsentation die Stiftung kosten, wie Lehmann in seiner Presseerklärung bestätigt. Geld, das sie nur hat, wenn sie ihre anderen Museen zum Betteln schickt, damit die für ihre Projekte Drittmittel einwerben.
Doch Sponsoren lieben, genau wie der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vor allem das „hochattraktive Angebot“ zeitgenössischer Kunst; viele seiner Museen werden sich schwer tun, die Drittmittel zu finden. Selbst wenn man glaubt, man könne „aus dem Engagement für die Flick-Collection nicht ableiten, andere Bereiche würden dadurch ‚ausgetrocknet‘“, wie Lehmann sagt, bleiben immer noch die 13 Millionen Eigenleistung, die den Staatlichen Museen zu schaffen machen. Nur 7,5 Millionen steuert der vermeintliche Mäzen bei, für den Umbau der Halle nächst dem Hamburger Bahnhof, wo seine Sammlung zu sehen sein wird.
Schlimmer noch, mit der Präsentation seiner Sammlung im Hamburger Bahnhof nutzt Friedrich Christian Flick eine von der öffentlichen Hand teuer unterhaltene Infrastruktur, zu der er selbst seit 1975 – als er in die Schweiz auswanderte, um künftig in Deutschland keine Steuern mehr zu bezahlen – keinen Beitrag mehr leistet. Umgekehrt ist jederzeit sichtbar, wie er aus dieser Infrastruktur Gewinn für sich zieht. Materiellen zunächst, denn so preiswert wird er seine private Leidenschaft kaum mehr an so prominenter Stelle veröffentlichen können, womit seine Herzensangelegenheit auch noch das in sie investierte Geld erst richtig wert wird. Und dem materiellen soll der ideelle Gewinn auf dem Fuß folgen, indem der dunklen Seite seiner Familiengeschichte eine hellere hinzugefügt wird, wie Flick zuletzt in der Welt und im Berliner Tagesspiegel seine Hoffnung hinsichtlich seiner Sammlung beschreibt. Oh Zeichen, oh Wunder. So freilich wird sich die Wunde mit dem ruhmsüchtigen Namen Flick-Collection nicht schließen.