Die Götterdämmerung genießen

Angela Merkel und Guido Westerwelle haben ihren Kandidaten zum Präsidenten gemacht. Ihre Opponenten fügten sich, denn jetzt lockt die Macht

Die Wahl Köhlers gilt einigen als „Meilenstein auf dem Weg zur Kanzlerin Merkel“

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Um fünf vor zwölf versammeln sich die Rädelsführer. Vor aller Augen. Ganz ungeniert. Gleich beginnt die Bundespräsidentenwahl, und ganz vorne in der ersten Reihe im Reichstag, zwischen den Blöcken von Union und FDP, stehen die, auf die es ankommt. Die alles durcheinander bringen, die den sicher geglaubten Sieg des CDU-Manns Horst Köhler in letzter Minute noch verhindern können, und sei es nur, um ihren Chefs zu schaden. Wenn Köhler scheitert, sind die Oppositionsführer Angela Merkel und Guido Westerwelle blamiert. Und daran haben sie ein gemeinsames Interesse, die christdemokratischen und liberalen Parteirebellen, die da tuscheln.

Aus dem kleinen Grüppchen ragt Friedrich Merz von der CDU heraus, der jede Chance nutzt, um Merkel dumm aussehen zu lassen. Was sagt er da zu Wolfgang Kubicki von der FDP aus Schleswig-Holstein, der sich im Namen seines alten Kumpels Jürgen Möllemann an Westerwelle rächen könnte? „Jetzt machen wir sie nass“?

So hätte die Geschichte dieses 23. Mai beginnen können, wenn der Versuch der Opposition gescheitert wäre, mit der Köhler-Wahl den Anfang vom Machtwechsel in Berlin zu inszenieren. Ist er aber nicht. Merkel und Westerwelle haben bekommen, was sie wollten, als sie, damals im März in Westerwelles Wohnung, den unbequemen Kandidaten Wolfgang Schäuble eiskalt abservierten.

Um 13.52 Uhr muss Wolfgang Thierse, der sozialdemokratische Bundestagspräsident, verkünden, dass Köhler, der Christdemokrat, gewonnen hat. Eindeutig. Mit nur einer Stimme über der absoluten Mehrheit, aber gleich im ersten Wahlgang. Und alle müssen sie höflich gratulieren, die rot-grünen Honoratioren. Schröder, Fischer, Müntefering, einer nach dem anderen tritt an, um dem neuen Staatsoberhaupt, wie es sich geziemt, die Hand zu schütteln.

So wie es um 12.27 Uhr schon ein Mann getan hat, der für Rot-Grün ein rotes Tuch ist, der kurz vor der Wahl noch ein paar unschöne Schlagzeilen machte, der die Union zwang, doch noch über etwas anderes zu reden als über den bevorstehenden Machtwechsel. Hans Filbinger (90), Ex-CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Ex-NS-Marinerichter, lässt es sich nicht nehmen, nach seiner Stimmabgabe Köhler persönlich per Handschlag seinen Glückwünsch auszusprechen, den dieser, freundlich lächelnd, annimmt.

Ein ZDF-Kommentator, der aus seiner Nähe zur Union keinen Hehl macht, erzählt derweil in den Reichstagsfluren, der Streit um den anrüchigen Wahlmann Filbinger, den Rot-Grün entfacht hat, habe die Reihen der Union erst richtig geschlossen. Was so abwegig nicht ist. Konservative Unionisten, die Merkel vielleicht ein wenig schaden wollten, etwa durch eine verzögerte Wahl Köhlers erst im zweiten Anlauf, könnten sich überlegt haben, dass dies auch als stiller Protest gegen Filbinger hätte verstanden werden können. Solch ein Missverständnis sollte nicht aufkommen.

Und auch für die, denen Filbingers Nominierung ein bisschen peinlich sein mag, gilt: Bei Angriffen von außen hält man zusammen. „Diese ganze Aufregung war doch eine gezielte Provokation, auf die wir angemessen reagieren werden“, sagt einer aus der Union, der nicht im Verdacht steht, Sympathien für uneinsichtige NS-Richter zu hegen.

Der Streit um Wahlmann Filbinger half mit, die Reihen der Union erst richtig zu schließen

Zusammenhalt. Einigkeit der Union. Ein eindrucksvolles Signal für den Anfang vom Machtwechsel. Das sind die Leitmotive, hinter denen sich alle versammeln. Auch die, die nichts mit Merkel anfangen können. Auch die, die ihre Schwierigkeiten mit dem Kurs der Radikalreformen haben, den Merkel eingeschlagen hat und für den ihr Kandidat Köhler stehen soll. Hermann-Josef Arentz zum Beispiel, der Chef der CDU-Sozialausschüsse, will da nicht beiseite stehen. Im Gegenteil. Die Wahl Köhlers sei „ein Meilenstein auf dem Weg zur Kanzlerin Merkel“, sagt Arentz.

Wer könnte da widersprechen, wo doch der neue Präsident himself so ein gutes Zeugnis für die CDU-Vorsitzende ausstellt? Kaum gewählt, lässt Köhler wissen: „Dass Frau Merkel Fähigkeiten hat, dieses Land zu führen, kann man erkennen.“ Ist da also ein durch und durch linientreuer Merkel-Mann ins Amt gekommen? Wer so denkt, unterschätzt Köhlers Selbstbewusstsein. Der Mann ist für Überraschungen gut und will eigene Akzente setzen. Wer wollte, konnte seinen Hinweis in der Antrittsrede, er sei ein Präsident „für alle Menschen, die hier leben“, als Wink an die Union verstehen, beim Zuwanderungsgesetz endlich wirklich ernsthaft mitzumachen.

Für die Kochs, Stoibers und Merzens in der Union war die gestrige Wahl jedenfalls ein Dilemma. Köhlers Sieg stärkt Merkel, das war klar. Doch Verräter liebt man nicht. An Köhlers Niederlage, das war genauso klar, wollte und durfte niemand schuld sein. Und so freuen sich – öffentlich – alle.

Der CDU-Oppositionsführer in Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, sieht schon „die Götterdämmerung von Rot-Grün“ heraufziehen. Und der Bremer CDU-Chef Bernd Neumann, treuester der treuen Kohl-Fans, erklärt, warum Merkels Gegner die Chance verstreichen ließen, ihrer Chefin eins auszuwischen. „Die, die noch was werden wollen“, wüssten, wer so ein historisches Ereignis vermassle, könne nichts gewinnen. Konflikte und Machtkämpfe müsse man „über Inhalte“ austragen, bei Reformkonzepten. „Gelegenheiten gibt’s genug, aber nicht heute.“ Dann rutscht ihm ein Versprecher raus: „Ich bin mir sicher“, sagt Neumann, „dass auch Merz sie wählt.“ Mit „sie“ ist nicht Gesine Schwan gemeint, sondern Merkel.