: Im kleinen Garten
Jetzt also doch: Familie H. ist klammheimlich einem Kleingartenverein beigetreten. Zwischen Erbsen und Rittersporn berichtet sie von ersten Erfahrungen, Erregungen und wundersamen Ergötzungen
taz ■ Zur Not schiebt man’s auf die Kinder. „Ich mach das bloß, damit mein Junge weiß, dass die Erbsen nicht in der Tiefkühltruhe wachsen“. Aber in Wirklichkeit ist es natürlich der ureigenste, urpeinlichste Wunsch nach einem eigenen Stück Land. Eigentumsfrage hin oder her – Familie H. gehört seit März zu den Laubenpiepern auf Parzelle. Und was zunächst noch hinter vorgehaltener Hand gehandelt wurde, wird mittlerweile laut in die Welt hinausposaunt: Wir sind Kleingärtner und wir sind es gern!
Da aber fängt die Lüge schon an. Denn es gibt mannigfache Konstellationen, innerhalb derer Familien ihren Kleingarten bewirtschaften und eine davon ist die: der Mann hält sich als Schmarotzer auf der Wirtsparzelle der Frau auf. Schließlich war sie es, die den Garten unbedingt haben wollte, während er sogleich den Abstand zwischen sich und der Laubenpieperei markiert hat. Frau H. hat’s geschluckt und lächelnd den Kompost umgegraben, den Rasen gemäht, die Büsche geschnitten. Hat hartnäckig den rot-blinkenden Schriftzug in ihrem Kopf – Männerarbeit! Männerarbeit! – ignoriert. Dann fing Frau H. an zu nörgeln: „Du könntest auch ruhig mal, liegst hier nur faul rum ...“ Das Ende vom Lied: Jetzt mäht Herr H. den Rasen und sägt die dicksten Äste.
Nun ist das Konfliktpotential zwischen Eheleuten unerschöpflich, aber es ist ein feuchter Dreck gegen das, was zwischen Kleingartenverein und Pächter so alles möglich ist. Das manual, das Frau H. beim Unterzeichnen des Pachtvertrags mitbekommen hat, ist ungefähr so dick wie der Koalitionsvertrag, also etwa hundert Seiten. Darin steht, wie hoch die Hecke sein darf, welchen Umfang eine Forsythie höchstens zu haben hat und dass der Zaun zum Nachbarn keine Hecke sein darf. Holunder und Haselnuss haben im Kleingarten gar nichts zu suchen.
Frau H. ist aber nicht kleinlich, sah großzügig über diese Regeln hinweg und rettete so einem Flieder das Leben. Im Gegenzug widmete sie sich dem Kraut, das auf dem ihr zur Pflege obliegenden Stück Kiesweg wucherte. Sie selbst störte es freilich nicht, dem Verein aber geht es gegen Regel 112. Da vergeb’ ich mir nix, dachte sie, rupfte und harkte und kam zu dem Ergebnis, dass man hier, weit weg vom eigenen Öko-Milieu, ruhig auch mal ein Fläschchen Unkraut-Vernichter einsetzen könnte. Sie gab zu, damit auch ein paar Pluspunkte im Gebiet sammeln zu wollen, nach dem Motto: Seht her, ich bin eine von Euch, auch ich greife gelegentlich zur chemischen Keule. Wohlwollend nickten ihr denn auch zwei braungebrannte Mittsiebziger zu. „Anders geht’s einfach nicht“, „Ja, ja, genau“, erwiderte ein wenig zu kumpelig Frau H. Hätte sie bloß das manual gelesen. Chemie ist nämlich strengstens verboten und ein Feind in der Nachbarschaft kann darob den Rausschmiss aus dem Verein erwirken. Gottseidank ist es soweit nicht gekommen.
Aber genug nun der Rede über die Schattenseiten und Fallgruben im Parzellengebiet. Denn oft scheint hier im echten wie im übertragenen Sinn die Sonne. Das Herz geht Frau H. auf (und auch Herrn H., wenn er ehrlich ist), wenn Sohn Hans vor dem Johannisbeerstrauch juchzt: „Die Erdbeeren sind reif“, oder morgens nach kurzer, wildromantischer Parzellennacht durch den Garten schrillt: „Schneckenschleim, da tret ich rein, Mama, das reimt sich.“ Auch dass der Apfelbaum schwer von Früchten sich neigt, dass der Rittersporn doch tatsächlich ein zweites Mal treibt, dass der Rasenmäher wieder anspringt und die Rosen nicht nur leuchten, sondern sogar duften und dass – nicht zuletzt – die Erbsen rund und prall am selbstgebauten Bambusgerüst hängen: All das treibt Frau H. (und wenn er ehrlich ist, auch Herrn H.) ein ganz privates, wohliges und rundum einverstandenes Gefühl durch den Leib.
Elke Heyduck