: Die Sprossen der Moderne
Zu DDR-Zeiten war es ein Heim für schwer erziehbare Kinder, heute bietet es Zimmer mit Aussicht für die zeitgenössische Kunst: Das Wasserschloss von Groß Leuthen beherbergt die X. Rohkunstbau. Die teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen sind aufgefordert, den Ort in ihre Arbeit einzubeziehen
von BRIGITTE WERNEBURG
Sylvie Fleury immerhin hat das herrschaftliche Ankleidezimmer für ihre künstlerische Installation in Beschlag genommen. Nicht zuletzt ihre Teilnahme an der X. Rohkunstbau belegt die Ambitionen des Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekts des Landes Brandenburg. Seit 1994 wird unter diesem etwas rätselhaften Label zeitgenössische Kunst auf dem platten Land gezeigt. Zunächst in einer halb fertigen Festhalle des beschaulichen Spreewalddorfs Groß Leuthen, das nach dem Willen der DDR-Oberen die alljährlichen Arbeiterfestspiele beherbergen sollte. Doch die DDR verschwand schneller, als die Feiern beginnen konnten, und so gab das verwaiste Gelände dem nachfolgenden, ganz anderen Festival seinen Namen. Vor drei Jahren siedelte es in das so genannte Wasserschloss um, das bei genauerer Betrachtung einfach ein Schloss am Wasser ist. Allerdings beherrscht es, wie der Blick von der Seeterrasse auf die umliegenden Ufer zeigt, als einziger Anlieger den idyllischen See.
Martha Deskur, Videokünstlerin aus Krakau, hat diesen Seeblick zum Thema ihrer Installation gemacht. Sie besetzt eines der Schlafzimmer, die an das Ankleidezimmer anschließen, in dem die Schweizerin Fleury eines ihrer inzwischen berühmten Waren-Displays aufgebaut hat. Jetzt handelt es sich um sechs Paar silberne Prada-Schuhe. Mode ist für Fleury, wie sie selbst sagt, eben „ein gutes künstlerisches Werkzeug, um politische, ökonomische, gesellschaftliche oder fetischistische Zusammenhänge aufzuzeigen“. Fleurys Installation wie auch Norbert Biskys inzwischen allenthalben bekannte Buben-Bilder, die die Wände des nächsten Schlafzimmers schmücken, erfüllen die Vorgabe der Rohkunstbau. Denn anders als oft üblich dient hier der jeweilige Ausstellungsraum nicht als Kulisse, sondern als Ausgangspunkt der einzelnen Projekte.
Alle Künstler haben ein mit 3.000 Euro dotiertes, von der Bundeskulturstiftung mitfinanziertes Stipendium des Festivals angetreten, das sie verpflichtet, eine neue Arbeit für den Raum zu entwickeln, der ihnen von Arvid Boellert, dem Kurator der Rohkunstbau, zugewiesen wird. Der Ort der Kunstpräsentation wird so zum werkimmanenten Kunstort, wie es die Arbeit von Martha Deskur besonders raffiniert zeigt. Die Sprossen der Fenster, durch die man auf den See schaut, werden bei ihr zum Raster der Moderne, das ihre Videoprojektion in einen Splitscreen verwandelt, auf dem es gleichzeitig regnen und sonnig sein kann, auf dem Enten gründeln, während das Wasser einfach vor sich hinschaukelt. Und weil Deskur die Fenster, die der Projektion gegenüberliegen, nicht ganz abgedichtet hat, verblassen die Videobilder im Licht, das durch die freien Scheiben fällt – freilich ganz nach Wetterlage und Sonnenstand.
Herrschaftlich ist das Schloss, dessen Anfangsgründe wohl im 14. Jahrhundert zu suchen sind, schon lange nicht mehr. Der vor allem im 19. Jahrhundert in allen denkbaren Stilen eklektizistisch erweiterte Gebäudekomplex, der seine Renovierungsbedürftigkeit nicht verbergen kann, war zu DDR-Zeiten ein Heim für schwer erziehbare Kinder. An diese Vergangenheit knüpft Norbert Bisky an, der seine lichten, pastellfarbenen Gemälde von braun gebrannten, blonden Freizeit- und Sportbuben installativ um ein Stockbett erweiterte, dessen ungemachtes Bettzeug auch auf dem Boden liegt. Über die ästhetische Herkunft seiner properen Kinder läuft schon immer die Kontroverse: eher HJ oder FDJ oder doch nur Werbung? Wahrscheinlich ist alles drin, vor allem mehr Gegenwart und mehr Westen, als man wahrhaben möchte. Und insofern vertritt Bisky das aktuelle „Europäische Porträt“, das die zwölf Stipendiaten der X. Rohkunstbau, darunter Boris Mikhailov, Micha Brendel, MK Kähne und die Nachwuchsstipendiatin Juliane Jüttner, in diesem Jahr übergreifend repräsentieren sollen.
Die Faszination des Niederländers Bill Spinhoven gilt dem Publikum und der Begegnung mit ihm. Also empfängt er es mit einer Kamera, die die Besucher filmt und ihr Bild – dank dem Computer übel verzerrt und zeitlich versetzt – über den Kamin der Eingangshalle projiziert. Der stumme Schwarzweißfilm ist im altmodischen Schlossambiente mit den knarzenden Dielen und dem bröckelnden Putz ein durchaus aufregender Empfang für ein Publikum, das sich zu einem guten Teil aus der regionalen Bevölkerung rekrutiert, wie auch aus Gästen, die aus Berlin anreisen. Für sie gibt es in diesem Jahr an den Wochenenden, an denen Lesungen, Theateraufführungen, Performances sowie Musik- und Filmevents stattfinden, erstmals einen Shuttlebus ins eine Stunde entfernte Groß Leuthen, wo sich die „Mini-Documenta in Brandenburg“, die am Samstag eröffnet, als echte Kunstofferte erweist.
Bis 31. August. Katalog: 15 €ĽInfos: www.rohkunstbau.de