: Ein seltenes Exemplar
Was auf Balkonen gemeinhin als Geranie wächst, heißt eigentlich Pelargonie. Gartenhistoriker Wimmer sammelt sie mit Leidenschaft. Zur Pflanzzeit ein Gespräch über eine wahre Wissenschaft
INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF
Auf seinem Haus in Potsdam steht in großen Lettern: „Der Weise ist immer im Garten“. Tatsächlich ist Dr. Clemens Alexander Wimmer, Gartenhistoriker an der Technischen Universität Berlin, erst einmal im Haus zu finden, mit ein bisschen Erde unter den Fingernägeln. „Seien Sie nicht enttäuscht“, sagt er, „ich habe sehr viele an den Botanischen Garten ausgeliehen.“ Die Pelargonien sind ein bisschen vereinzelt in ihrer Stellage, dafür wendet er sie um so vorsichtiger, um sie dem Fotografen vorzustellen.
taz: Gibt es eine geheime Hackordnung unter den Pflanzensammlern? Erst kommen die Rosen-, dann die Tulpen- und zum Schluss hin die Pelargoniensammler?
Clemens Alexander Wimmer: Die Rosensammler sind sicherlich besonders präsent in der Öffentlichkeit. Im Biedermeier gab es viele Pelargoniensammler, als man vor allem Arten gesammelt hat und die ersten Züchtungen gerade erst kamen. Die Züchtungen rückten in der Gründerzeit durch die einfarbigen Beete in den Mittelpunkt, und dann sind die Pelargoniensammler fast ausgestorben.
Ist das nicht ungerecht?
Aus meiner Sicht schon. Die Pelargonien brauchen weniger Platz als die Rosen, deshalb sind sie eigentlich praktischer.
Ist die Pelargonie die demokratischere Pflanze?
Ja, Topfpflanzen können auch in Mietwohnungen kultiviert werden. Vom Liebhaber aus betrachtet war das Bürgerliche ja gleichzeitig ihr Niedergang, ab dann ging es in Richtung Prachtgeranie. Eigentlich ist vor allem die Wegwerfmethode der Niedergang des Sammelns. Man zieht die Pflanzen für eine Saison, dann wirft man sie weg und kauft neue. Darauf ist der Markt eingestellt.
Was für Pelargonien will denn der Markt?
Die Blüten müssen sehr viel Farbflächen aufweisen, kompakt und niedrig sein. Von Natur aus wachsen sie eigentlich eher spillerig und haben lange Blütenstengel. Und sie sollen selbstreinigend sein, wie es so schön heißt, sodass verwelkte Blüten automatisch abfallen. Was der Liebhaber will, ist aufwändig – also nicht marktgerecht.
Und was will der Liebhaber?
Der Liebhaber will Vielfalt in Blattgestaltung, Wuchsform, Blütenform. Es gibt Pelargonien, die aus einer kleinen Knolle entspringen, es gibt welche, die wie ein Strauch einen holzigen Stamm entwickeln, es gibt auch welche, die am Boden kriechen. Manche haben glänzende, glatte Blätter, andere weich behaarte, filzige Blätter, das ist auch haptisch ein großes Vergnügen.
Was unterscheidet einen bloßen Freund vom Liebhaber?
Da müsste ich ein Zitat heraussuchen. (Er holt ein Buch aus dem Nebenzimmer. Das Zitat stammt von einem Juristen, Jakob Ernst von Reider, aus den „Annalen der Blumisterei“ 1830.) „Der ächte Blumist sieht nicht auf die Gartenanlage, nicht auf die Gartenzierden, und in allen, selbst den romantischsten Gartenparthien findet er nur Langeweile. Der Blumist befindet sich unter den Blumen auf den Beeten und vor der Stellage erst bewegt, und schwelgt im ersehnten Genusse der Vergleichung unendlicher, nie gesehener Spielarten.“
Sie sind für die Pelargonien bis nach Südafrika gereist.
Ich hatte es besonders darauf abgesehen, die erste nach Europa gebrachte Pelargonie, Pelargonium triste, am Naturstandort zu sehen. Ursprünglich gab es ja am Kap auch Waldvegetation, die ist durch die Europäer zerstört worden. Es ist auch interessant, sich die Sammlungen in Schweden oder Frankreich anzuschauen. Und der König von Belgien hat heute noch in seinen Gewächshäusern hunderte Meter lange gläserne Gänge, die mit 1,50 Meter hohen Geranienspalieren verkleidet sind.
In Deutschland gibt es so etwas nicht?
Dort wird nur das gemacht, was Geld einbringt. Verrückt ist, dass in Bayern das Bilderbuchbild vom Bauernhaus von einer Fülle moderner Beetpelargonien bestimmt wird, wie es sie erst seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gibt.
Und die im Ursprung eine afrikanische Pflanze ist.
Ja, das ist absurd.
Kränkt es Sie, dass die bayerische Form der Pelargonie zum Inbegriff des Spießigen geworden ist?
Es geht mich nichts an, weil ich ja viele verschiedene habe.
Haben Sie pädagogische Ambitionen?
Der Pflanzengeschichte mehr Gewicht zu verleihen, das sehe ich durchaus als meine Aufgabe an. Es wird generell die Zierpflanze als ein Gegebenes angesehen und man sieht nicht, dass jede Pflanze zu einer bestimmten historischen Epoche und zu einer bestimmten Gesellschaftsform gehört.
Jetzt muss ich Sie, ziemlich spät, schon noch fragen, warum Sie Pelargonien sammeln.
Wahrscheinlich ist es der Wunsch, frühere Zustände zu rekonstruieren und sich in der Rolle eines Gartenbesitzers aus dem neunzehnten Jahrhundert zu fühlen. Das heißt, das zu sammeln, was er auch gehabt hat. Meine persönliche Vorliebe ist die Zeit des Klassizismus, und in diese Zeit fallen natürlich auch schlichtere Pflanzen und schlichtere Gärten.
Das leidenschaftliche Sammeln hat natürlich auch etwas mit Wohlstand zu tun.
Das passt jetzt schlecht in die taz. Ich neige zur vorindustriellen Gesellschaft mit ihren gutsherrlichen Verhältnissen.
Inwiefern?
Es ist mir einfach sympathischer. Da war die Welt noch geordneter, ohne die globalen Probleme, mit denen man sich heute herumschlagen muss.
Aber die Pflanzen kommen von weither.
Was ja auch problematisch ist. Die Natur in Südafrika wurde zerstört und wird heute noch zerstört von den Leuten, die da Pflanzen wegschleppen.
Noch einmal zu den pädagogischen Ambitionen. Zumindest eines kann jeder Ihrer Hauswand entnehmen: „Der Weise geht in den Garten“.
Dieser Satz ist Teil eines Gedichts des indischen Dichters Tagore. Es ist die Konsequenz aus einer Reihe von Aussagen, wie man sein Leben verbringen kann, und der Philosoph sagt dann eben, dass der Weisheit letzter Schluss der Garten ist. Das gilt für mich auch.
Wird der Mensch weise, weil er in den Garten geht, oder zieht der Weise den Garten jedem anderen Ort vor?
Das Letztere, denke ich. Die Idee, die bei mir dahinter steckt, ist schon die des Rückzugs.
Rückzug woraus?
Wenn man es auf die Pelargonien bezieht, ist es natürlich ein Widerspruch. Dadurch, dass der Mensch in die Ferne schweift und versucht, andere Erdteile auszubeuten, richtet er die Welt zugrunde. An meiner Bürotür hängt ein Spruch des Mathematikers Blaise Pascal, wonach das größte Unheil dadurch entstanden ist, dass der Mensch nicht in Ruhe zu Hause bleiben kann. Insofern wäre es auch besser, die Pelargonien wären geblieben, wo sie sind.
Dann würden Sie heute Margeriten betrachten.
Das ist die Tragik des Menschen, dass er mehr will, als er hat.
Darum hat er aus der Urpelargonie die heutige Balkongeranie gezüchtet.
Der bayerische Ferienhausvermieter macht es mit seinen Geranien so, wie es alle machen, damit möglichst viele seine Zimmer mieten. Dagegen ist eine Pflanzensammlung etwas Introvertiertes, wo man erst einmal hineingehen muss, dann werden einem die Schätze vorgeführt.
Sie haben vorhin ja sehr anerkennend von Frankreich und Belgien gesprochen.
In Belgien war es das gleiche Zeug wie in deutschen Supermärkten, das war höchst enttäuschend. Obwohl dieser König alle Mittel hat – es wirkt absolut anachronistisch, was er in diese Häuser steckt. Waren das Null-acht-fünfzehn-Pelargonien, furchtbar! Aber in Frankreich und England ist das Pelargoniensortiment reichhaltiger. Es sind Länder, die sich mehr mit ihrer Nation identifizieren.
Und das bedeutet?
Es ist natürlich eine reine Theorie. Die Deutschen haben sich ja als Nation aus bekannten Gründen aufgegeben, und daher haben sie auch keine Beziehung zu ihrer früher vorhandenen Kultur und zu den früher vorhandenen Gärten und Pflanzen.
Sie glauben, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Liebhaberei zu Pflanzen und der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte?
Nicht zu Pflanzen an sich. Aber diese spezielle Fixierung und dieses leidenschaftliche Aufgehen in einem Ausschnitt des Pflanzenreichs, wobei man automatisch in die Geschichte dieser Gattung kommt, das ist in Deutschland kaum ausgeprägt. Die Pflanzenliebhaber-Gesellschaften sind ja nirgendwo so zahlreich wie in England.
Aber Deutschland war noch nie für seine Exzentriker bekannt. Also für ein solches leidenschaftliches Vertiefen in eine Liebhaberei.
Das würde ich bestreiten. Das hat sich erst im Verlauf der jüngeren Geschichte so entwickelt. Wenn man die Gartenleidenschaft des neunzehnten Jahrhunderts untersucht, erkennt man da völlig andere Menschen. Sie waren total vernarrt und detailversessen.
Kommt diese Leidenschaft noch einmal wieder?
Ich glaube nicht, dass es in diesem Land erfreuliche Perspektiven gibt. Die Kultur ist auf das Banale angelegt.
Auf die Pelargonie bezogen, heißt das: fleischig, rot, dick?
Genau. Es gibt eine lange Geschichte der Kultur, wie man Farben im Garten kombiniert. Heute kombiniert man ja gerne Pink und Zinnober, was ganz entsetzlich aussieht, aber das merken die meisten nicht.
Also geht die Pflanzenzüchtung den gleichen Weg wie das Fernsehprogramm. Die heutige Geranie wäre so etwas wie Caroline Beil. Vermutlich sehen Sie diese Sendungen nicht.
Ich sehe überhaupt nicht fern.