: Provinzladen und Megapuff
Trier und die Eifel. Von Lieblingslandschaften und kreuzguten Städten
Am kommenden Wochenende fällt die Formel eins wie jedes Jahr zum Rennen um den „Großen Preis von Europa“ auf dem Nürburgring ein. Und mit ihr sind hundertausende Freunde der lautesten aller Sportarten in der Eifel unterwegs. Höchste Zeit, eine leuchtende Landschaft und ihre periphere Kernstadt zu würdigen.
Trier mag ja, obschon Marx oder doch eher Goethe das Städtlein ein „altes Pfaffennest“ schalt, durchaus zum Gediegensten und Schönsten dessen zählen, was zentraleuropaweit an kleineren bis mittelgroßen und vom alten Imperium Romanum mit dem Gedanken der Civitas in Kontakt gebrachten Ansiedlungen so aufgeboten wird. Und wenn auch die späteren Schutzstaffeln der älteren Stadtlenker den jungen Marx wegen „nächtlichen ruhestörenden Lärmens und Trunkenheit“ in den Karzer beförderten und dort seelsorgerisch zur Ausnüchterung ermahnten, so hat in der Folgezeit Trier der allgemeinen Aufschwungsrichtung der Weltgeschichte gegenüber allemal als aufgeschlossen sich erwiesen und sich zielstrebig zur innerregionalen Hochburg von Viezfeten, traditioneller Randale und fundamentaler Kopflosigkeit gemausert.
So nimmt nicht wunder, dass Trier auch angesichts seiner gewissermaßen herausragenden rheinland-pfälzisch-nordrhein-westfälischen Scharnierstellung und angesichts seiner eben darob hervorstechendsten Eigenschaft als Knotenpunkt und Synergie-City gleichwie als moderne Weltgemeinde mit Bahnhof, Kino und Internetanschluss zumal heute von hoher Anziehungskraft und Attraktion zeugt und im Grunde vor ebensolcher komplett zusammenfantasierter Imagepower kaum mehr laufen kann; weshalb, allen „Unkenrufen“ zum Trotz, Trier sei im Kern aber doch vergammelt und in toto ein Koben der allerrückständigsten Reaktionärsgesinnungen und Kirchendummheit, gleichwohl das schmucke Regiozentrum zu Recht des Rufes sich erfreut, eine granatenmäßige Nagelhochburg zu sein.
Mag dies allerdings alles sein, wie es sei, und mögen Stadthäupter, Bürgermeister befreundeter Partnerstädte und ortsfremde Ethnologen sowie die großartigen Professoren der ansässigen roten Universität dies alles näher klären und entkräften, fest steht darüber hinaus: dass Trier einerseits zum Hunsrück zu rechnen ist, sich andererseits jedoch auch durch irgendwelche Stadtteilhangbebauungen irgendwann topografisch einen Teil der Eifel unter den Nagel riss und von mir daher sehr umsichtig und unumschränkt zu meiner Lieblingslandschaft gezählt wird. Wenngleich es Stadt bleibt. Trier bleibt Trier, Stadt bleibt Stadt, Landschaft bleibt Landschaft.
Insofern indes, als Porta Eifel, lädt der ziemlich einzigartige Provinzladen und Megapuff Trier die sensorisch nicht gänzlich Verkümmerten allzeit ein, in die nähere nördliche Ferne zu schweifen – nicht, um am Soldaten- und Biergeschmacksfriedhof Bitburg gleich allzu ungeduldig zu stoppen und hoffnungslos zu stranden, sondern um dem ferneren Seffern oder Waxweiler oder Pronsfeld sich anzunähern.
Irgendwo dort, in dieser Gegend, es war vielleicht auch hinter Schönecken, sah ich das leuchtendste Stück Landschaft, das denkbar, das für mich vorstellbar ist. Es war hinter einer Straßenbiegung, wenige hundert Meter nach Dorfausgang am Ende eines steilen Anstiegs. Unvermutet, wie diese Anblicke uns treffen, öffnete sich oben, auf der Kuppe, rechter Hand eine Lichtung, eine sanft glänzende, vom Sonnenlicht geflutete Lichtung, zwischen Haselnusshecken, und sie fiel, reines Grün, ganz mählich ab und rollte auf einen Nadelwald zu, einen Nadelwald, wie ihn die Eifel schimmernd und ruhig um Daun herum oder bei Gerolstein so einfach überall hinstellt.
Ich unterhalte ein weithin rational freundliches, ja wärmend klares Verhältnis zur Eifel. Als Kind verbrachte ich ein paar Ausflugstage dort und ein paar Abende auf dem Hochsitz, weil mich ein Bekannter meines Vaters, ein Jäger, mitgenommen hatte. Ich saß auf dem Holzgestell und schaute mir den Himmel an; ich schaute die gelben Wiesen an, die lang gezogenen Hecken, die weiten Schwünge der Wipfelreihen. Das hatte nichts zu bedeuten und war schön, schön fast wie die Liebe, die aber schöner ist.
Seither zieht es mich immer wieder in die Eifel, in diese anmutig einfache, vielleicht auch einfach abgeschiedene Welt, in der es irgendwo bei Waxweiler oder Schönecken eine stille Bierwirtschaft gibt, deren Namen ich nicht einmal weiß. Wüsste ich ihn, ich würde ihn nicht einmal einem Trierer verraten, bei Gott nicht. JÜRGEN ROTH