: Die Schönheit verstellt den Blick
Ästhetik des Modelkörpers: Die Kunsthalle Bielefeld zeigt in einer groß angelegten Retrospektive die Video- und Fotodokumente der Performances von Vanessa Beecroft. Zweimal wird ihre übliche Anordnung gesprengt – durch besonders gehorsame Männer und durch besonders ungehorsame Frauen
VON JULIA GROSSE
Viele von ihnen sind einfach zu schön. So wird es fast unerträglich, sie anzuschauen. Zerbrechlich stehen sie in diesen Momenten da, leicht bekleidet, manchmal nackt und nur in brutal hohen Stilettos. Der Moment, auf den sie warten müssen, ist der Punkt, an dem die Erschöpfung sie in die Knie zwingt.
Die jungen Frauen, mit denen die Künstlerin Vanessa Beecroft in ihren Performances arbeitet, sind meistens Models aus Agenturen. Beecroft, 1969 geboren in Genua, ist fasziniert von deren Schönheit und hat für ihre Arbeit genaue Vorstellungen. Sehr schlank und sehr groß müssen die Mädchen sein, feine Züge haben. Vergleichbar streng sind die „Regeln“ ihrer handlungsarmen Choreografien: nicht reden, nicht lächeln, kein Blickkontakt, nicht schnell bewegen. Die Abende, an denen dann bis zu fünfzig Models stundenlang auf High Heels und fast nackt in Museen und Galerien herumstehen, sind bestens besucht. Jetzt zeigt die Retrospektive in der Kunsthalle Bielefeld neben frühen, unbekannteren figürlichen Zeichnungen die Videos und Fotografien, die seit 1994 von den Performances entstanden.
Die Künstlerin uniformierte bereits für das New Yorker Guggenheim Museum ihre Model-Armee in Accessoires von Gucci oder stellte maskierte Frauen in die Peggy Guggenheim Collection in Venedig. Die Kritik bezeichnet ihre Arbeit als sexistisch, auf reine Ästhetik bedacht. Beecrofts Verteidigungen wirken provozierend unbekümmert: „Die Nacktheit vor Publikum erzeugt ein beklemmendes Gefühl. Das interessiert mich.“ Gleichzeitig vermeidet sie eine persönliche Beziehung zu den Frauen, und selbst die Titel der Performances sind mit ihren Initialen und der chronologischen Nummerierung der Aktionen eher ein nüchternes Katalogisieren.
Die konsequente Uniformität der Modelle erfolgt durch gleiches Make-up, gleiche Strumpfhosen, Perücken, Nacktheit. Will Beecroft ihre Modelle mit dieser Anonymisierung schützen? Oder provozieren einheitlich nackte Körper in hochhackigen Schuhen nicht gerade erst den Blick auf die Frauen als Fetisch? „Es kann sein, dass Männer Dinge in meinen Arbeiten sehen. Doch ich beute die Mädchen nicht aus. Sie sind mein Ebenbild.“ Beecroft, selbst sehr attraktiv, kommt ihrem Selbstbildnis näher, indem sie Frauen nimmt, deren Schönheit sie bewundert und die sie berührt.
VB 39 von 1999 ist eine der wenigen Performances mit Männern. Das Video in Bielefeld zeigt U. S. Navy SEALs in weißen Uniformen. Beecroft interessierte nicht der Aspekt von Männlichkeit, sondern der von psychischer und körperlicher Selbstkontrolle. VB 39 oszilliert zwischen Demonstration und Ästhetisierung patriarchalischer Macht. Es ist das Gegenteil zu den Arbeiten mit Models, die im Laufe jeder Performance Opfer ihres, so die Künstlerin, „labilen Gleichgewichts“ werden. Das tableau vivant beginnt aus dem Rahmen zu fallen, wenn eine nach der anderen anfängt ihre Position zu verlassen. Die Struktur der Männer der U. S. Navy dagegen blieb bis zuletzt bestehen, niemand rührte sich, und das über Stunden. Mit VB 39 wollte Beecroft ihr ambivalentes Verhältnis zum, wie sie sagt, „anachronistischen Verhaltensmuster“ des Militärs verdeutlichen. Etwas, das sie anzieht und gleichzeitig abstößt.
Doch verschwindet intendierte Gesellschaftskritik im Werk von Vanessa Beecroft tatsächlich oft hinter formaler Ästhetik. Denn die ästhetische Kraft ihrer Performances erschwert es dem Betrachter, Anspielungen oder Problematisierungen zu erkennen. Performance und Models bleiben anonym. So war VB 43 (2000) mit Nackten in einer Londoner Galerie ein Verweis auf Elisabeth I., mächtig und rothaarig. Beecrofts suchte also nur rothaarige Models aus und reduzierte die Anspielung damit auf rein äußerliche Merkmale. Und so ist es schwer, den Verweis auf Elisabeth I. im Moment der Performance zu erkennen. Denn für den Betrachter sind die Frauen neben rothaarig vor allem schön. Es ist die Schönheit, die jede tiefere Auseinandersetzung mit dem Werk verhindert.
Nur bei VB 51 im Schloss Vinsebeck in Steinheim, 2002, war alles anders. Unter den Frauen, wie immer sehr attraktiv, aber diesmal unterschiedlichen Alters, waren neben Unbekannten auch die Fassbinder-Ikonen Irm Herrmann und Hanna Schygulla oder Beecrofts Mutter. Alle trugen helle Kleider, nur Schygulla wollte ein schwarzes. Sie war es auch, der es als Erster in einer Beecroft-Performance erlaubt wurde zu singen. Nach mehreren Stunden im Innenraum liefen alle unerlaubt auf die Wiese. Beecroft war außer sich. „Sobald sich die Frauen in meinen Arbeiten befreit fühlen, habe ich nichts mehr damit zu tun.“ Dennoch wurde VB 51 auf Film dokumentiert.
Wie auch die anderen Fotografien und Videos kann der Film zu VB 51, der in Bielefeld uraufgeführt wird, die Intensität der Performance nur schwer bewahren. Und doch ist es dank guter Kamerafahrten gelungen, ganz nah dran zu sein, wenn Irm Herrmann majestätisch durch den Raum schreitet oder die Mutter der Künstlerin ins Leere starrt – wie eine alternde Diva. Im Gegensatz zu den viel zu oft in ihrer Unsicherheit befangenen Models haben die Frauen in VB 51 keine Angst vor Regelverstößen. Freilich ist es Teil der Arbeit, dass die Modelle wegen ihrer Nacktheit und den Regeln, die sie befolgen, befangen sind. Aber diese Befangenheit ist rührend. Berühren tut sie nicht. Dagegen lässt die unerwartete Autonomie der Bewegungen in VB 51 Individualität durchschimmern. Und die ist schön. Doch da Beecroft mit dieser Arbeit nicht sonderlich zufrieden war, wird die wirkliche Interaktion in VB 51 wohl eher eine Ausnahme bleiben.
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