BERLUSCONIS PATZER KÖNNTE SEIN POLITISCHES ENDE VORBEREITEN
: Ein europäischer Fall

Nein, das war kein Ausrutscher, was Silvio Berlusconi sich da vor dem Europäischen Parlament leistete. Das wissen seine politischen Gegner in Italien nur zu gut. Kaum stößt er auf Widerspruch, auf Kritik, dann verrutscht ihm sein Haifischlächeln zu einer Grimasse kalten Zorns, dann ist ihm die übelste persönliche Beleidigung gerade gut genug, um seinen Kritikern den Mund zu stopfen. Erwiderungen auf Fragen nach seiner Medienmacht, nach seinem Umgang mit der Justiz? Die sind von Berlusconi nicht zu haben. Stattdessen hagelt es Verbalinjurien – und die rechtfertigt Berlusconi auch noch damit, dass ja der andere der Aggressor sei, er selbst bloß das arme Opfer.

Zu Hause mag er sich ja einreden, die Welt sei so. Dumm nur, dass er sich diesmal einem Europäischen Parlament, einer europäischen Öffentlichkeit stellen musste. Und da ging sein Auftritt nach hinten los. Als „Touristen der Demokratie“ beleidigte er alle die Abgeordneten, die Unmut äußerten. Dabei war er als „Tourist“ im Europäischen Parlament – als Tourist in der Demokratie, dem dieses Reiseziel offenkundig nicht sonderlich gefiel.

Spätestens seit Dienstag jedenfalls ist Berlusconi nicht mehr nur ein italienischer, sondern auch ein europäischer Fall. Ein Fall, in dem es nicht darum geht, ob es dem italienischen Ministerpräsidenten an Manieren mangelt. Sondern der Fall eines Mannes, der zunächst zu Hause ohne größere Bedenken rechtsstaatliche Institutionen wie die unabhängige Justiz und nun in Europa gleich das Parlament grob attackiert, um seine Interessen zu verteidigen – und angeblich auch die seines Landes. Doch was soll Italien von einer gleich zum Start unheilbar beschädigten Präsidentschaft in der EU haben? Was nützt es dem Land, wenn Berlusconi es in die Isolation treibt?

Europas Politikern graust vor dem Gedanken, dass ebendieser Berlusconi nun sechs Monate in der EU Regie führen soll. Der Europäischen Union kann das nicht nützen. Vielleicht aber jenen Italienern, die bisher ebenso beharrlich wie erfolglos vor der Gefahr Berlusconi warnten. Vielleicht wird Berlusconis „historischer“ Auftritt schon bald in die Annalen eingehen: als Anfang von seinem politischen Ende. MICHAEL BRAUN