: Vertreibende Hilfe
Keine Leistung ohne Gegenleistung ist das Prinzip des neuen Programms der Regierung gegen Jugendarbeitslosigkeit. Doch durch Zwang ist das Problem nicht zu lösen
Am 1. Juli startete – schwerpunktmäßig in Ostdeutschland – das neue arbeitsmarktpolitische Sonderprogramm „Jump Plus“ für 100.000 junge Bezieher von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Das Arbeitsamt stellt 350 neue Mitarbeiter ein, die Jugendliche in Ausbildung oder Arbeit vermitteln sollen. Da dies nicht ausreichend gelingen wird, werden den Jugendlichen „zumutbare Beschäftigungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen“ als Ersatz angeboten. Nachhaltige Integrationserfolge in Arbeit oder Ausbildung sind von dem Programm nicht zu erwarten.
Jump Plus ist der Vorgriff auf die Systemreform in den Transferleistungen, die durch die „Hartz-Gesetze“ ab 2004 mit der Zusammenführung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II erreicht werden soll. „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ wird zum Prinzip zukünftiger Gewährung von Transferleistungen an Erwerbslose, folgt man einer Vereinbarung zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden zur Einrichtung gemeinsamer Anlaufstellen von Arbeits- und Sozialämtern als Vorläufer der zukünftigen Job-Center. Jugendliche sollen nun testen, ob die neue Kooperation zwischen den beiden Ämtern funktioniert.
Die zentralen Vorarbeiten für die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden von der Bund-Länder-Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen in ihrem Abschlussbericht vom April 2003 dargelegt. Demnach soll ab dem nächsten Jahr die gemeinnützige Arbeit zum Schwerpunkt der Arbeitsmarktpolitik avancieren. Insbesondere Jugendliche, die ehemals Arbeitslosen- oder Sozialhilfe bezogen und nun zu Empfängern von Arbeitslosengeld II werden, sind Hauptadressaten dieser zweifelhaften „arbeitsmarktpolitischen Förderprogramme“. Für sie ist zudem eine Sonderregelung vorgesehen: Der Rechtsanspruch auf eine Transferzahlung entfällt und wird durch die Pflicht zur Teilnahme an angebotenen Programmen ersetzt. Bei Ablehnung der angebotenen „Förderung“ soll für Jugendliche das Transfereinkommen gestrichen werden.
Die derzeitige „neue“ Arbeitsmarktpolitik des „Förderns und Forderns“ basiert auf dem Gedanken der „Aktivierung der Erwerbslosen“. Die zwei Klammern des Konzeptes lauten: mehr Förderangebote als Integrationshilfe und mehr restriktive Elemente zur „Motivation“ der Empfänger von Transferleistungen, sich um Arbeit zu bemühen. Was theoretisch sinnvoll klingt, wird bei struktureller Massenarbeitslosigkeit zur Farce. Da der Vermittlungsoffensive der Resonanzboden im regulären Arbeitsmarkt fehlt, konzentriert sich das Konzept auf das Fordern.
Aus juristischer Sicht formiert sich Kritik an diesem Vorgehen: Rechtspositionen auf Leistungsansprüche werden durch überzogene Mitwirkungsansprüche des Staates gegenüber dem Erwerbslosen ersetzt, die im Gesetz noch keine Grundlage finden, argumentiert etwa die Essener Rechtsprofessorin Helga Spindler. In der Praxis erhalten die Förderangebote zunehmend den Charakter von Maßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft und weniger den einer Förderung. Der Gesetzgeber hat es nicht nur geschafft, die aktive Arbeitsmarktpolitik als zentrales Thema zu platzieren, sondern auch deren Instrumente für diese Debatte umzufunktionieren.
Die Überprüfung der Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme unter verschärften Zumutbarkeitskriterien – vermehrt durch angebotene Fördermaßnahmen – wird zur eigentlichen Voraussetzung des Leistungsbezugs. Insbesondere bei Sozialhilfeempfängern wird die Überprüfung der Arbeitsbereitschaft zunehmend über „Angebote“ zur gemeinnützigen Arbeit faktisch zur zweiten Bedarfsprüfung eines individuellen Rechtsanspruchs. Die Faustregel für die Hilfegewährung heißt: je höher die Arbeitslosenquote, desto höher der Druck auf die Erwerbslosen, beständige Jobsuche nachzuweisen oder an arbeitsmarktpolitisch äußerst fragwürdigen Förderprogrammen teilzunehmen. Wenig überraschend sind daher die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen, nach denen die zunehmende Verknüpfung von Aktivierungsstrategien mit dem Sozialhilfesystem zu Ausgrenzungsprozessen bei den Erwerbslosen führt. Jüngstes Beispiel liefert der Senat in Hamburg, der zukünftig alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger im Alter unter 35 Jahre durch Maßnahmen der gemeinnützigen Arbeit schleusen will. Die bisherige Jahresbilanz des Ein-Euro-Programms ergab: Ein Viertel der Erwachsenen und über die Hälfte der Jugendlichen verweigerten die „Hilfe“. Ihnen wurde die Sozialhilfe gekürzt.
Die beschlossene Hartz-Reform in der Arbeitsmarktpolitik und die Umsetzung der Agenda 2010 werden analoge Ausgrenzungseffekte produzieren. Die derzeitige interne Ressourcensteuerung der Bundesanstalt für Arbeit kalkuliert diese bereits ein; vorgegebene Sperrquoten sind interne Zielvorgabe für die Mitarbeiter. Schaltzentrale der neuen Politik werden die Job-Center sein. Nach dem Motto „Alles aus einer Hand“ wird jeder Erwerbslose seinen weiteren Werdegang in die Hand eines Casemanagers legen müssen. Der entscheidet sowohl über den zu gewährenden Leistungsanspruch, über Fördermöglichkeiten und Fehlleistungen des Erwerbslosen sowie über folgende Sanktionen. Der Casemanager selbst unterliegt dabei häufig inoffiziellen Zielvorgaben und einer Leistungsbewertung.
Sollen Förderprogramme zukünftig noch ihren eigentlichen Zweck erfüllen und eine nachhaltige Ablösung aus dem Hilfesystem unterstützen, so muss die derzeitige Koppelung der beiden Systeme – Gewährung der Integrationsförderung und Gewährung der Hilfeleistung – aufgehoben werden. Der Rechtsanspruch auf Leistung muss unabhängig von der Ermessensleistung entschieden werden, und die Teilnahme an Förderprogrammen muss auf freiwilliger Basis erfolgen. Die Grundlage, um vor allem die Arbeitsbereitschaft zu überprüfen, kann nur das regionale Arbeitsplatzangebot sein. Die Missbrauchsdebatte würde umgehend vom Kopf auf die Füße fallen, und die arbeitsmarktpolitische Diskussion würde sich wieder ihrer essenziellen Frage zuwenden: Wie können Millionen von Menschen beschäftigt werden, die nach existenzsichernder Arbeit suchen?
Erwerbslose, denen unterstellt wird, sie schöpften ihr Selbsthilfepotenzial nicht aus oder hätten ohne Förderprogramme keine Beschäftigungsoption, können nur „aktiviert“ werden, wenn die angebotene Förderung sie motiviert. Dieses aber setzt voraus, dass die Teilnahme freiwillig ist. Aufgezwungene Angebote führen zu Misserfolgen und werden vielfach zur vertreibenden Hilfe. Ausgerechnet Jugendliche in perspektivlose Beschäftigungsfelder und disziplinierende Trainings zu drängen, verspricht hohe Einsparquoten bei Transferleistungen, da dies die Ausgrenzung aus ihnen provoziert. Die amtliche Feststellung, dass der Flüchtende selbst schuld ist, wird die fatalen gesellschaftlichen Folgen einer solchen Politik nicht aufhalten.
GABY GOTTWALD