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Archiv-Artikel

Der Kanzler macht sich schön

Gerhard Schröder genießt seine eigene Politik und den taktischen Sieg über die Union. Da kann er sogar als Zeuge im Lügenausschuss lachen

Schröder ist wieder da – diese Botschaft ist der eigentliche Sinn seiner RegierungserklärungRezzo bestellt man nicht ein. Man muss ihn bitten zu kommen, und ihm dann etwas zu essen anbieten

aus Berlin JENS KÖNIG

Politiker erinnern sich nicht gern. Wenn es ihnen und ihrer Partei gut geht, und das ist ja bekanntlich nicht allzu häufig der Fall, dann genießen sie diesen Augenblick, sie wünschen sich, alles möge so bleiben, wie es ist. Wenn es ihnen schlecht geht, und davon können Politiker ein Lied singen, dann gucken sie nach vorn, weil sie nur dort, in der Zukunft, bessere Zeiten vermuten. Gerhard Schröder macht an diesem Mittwoch eine Ausnahme. Er blickt zurück.

Am Morgen, im Plenarsaal des Reichstages, geschieht das noch freiwillig. Der Kanzler erinnert während seiner Regierungserklärung gleich mehrfach an den 14. März diesen Jahres. Das war der Tag, an dem Gerhard Schröder genau von diesem grauen Pult aus, an dem er jetzt so entspannt steht, seine damals noch unbekannte Agenda 2010 vorstellte, die seine eigene Regierung, ja, das ganze Land aus der Lethargie reißen sollte. Am Nachmittag, im Sitzungssaal des Europaausschusses im Paul-Löbe-Haus, wird Gerhard Schröder zur Erinnerung von Amts wegen ausdrücklich aufgefordert. Im so genannten Lügenausschuss des Bundestages ist der Herr Bundeskanzler als Zeuge geladen und muss Auskunft darüber geben, ob er im Sommer vorigen Jahres die Öffentlichkeit über die desolate finanzielle Situation des Bundeshaushaltes getäuscht hat.

Diese Befragung ist gewiss unangenehmer als die Veranstaltung am Vormittag, aber Schröder unterzieht sich ihr dann doch mit sichtbarem Vergnügen. Er weiß, dass dieser Blick zurück auf das schwierige Wahljahr 2002, genau wie der auf das trostlose Frühjahr 2003, seine Gegenwart ganz zwangsläufig in einem hellerem Licht erscheinen lässt. Was es in den vergangenen Monaten auch immer an Krisen gab, lautet die subtile Botschaft dieses ereignisreichen Tages, Gerhard Schröder ist wieder da – mit demonstrativ guter Laune, taktischem Geschick und einem politischen Reformprogramm, das nicht nur gut inszeniert ist, sondern auch Substanz hat, zumindest so viel, dass es Angela Merkel und mit ihr die gesamte Union in zunehmende Verzweiflung stürzt.

Diese Botschaft hinaus ins Land zu posaunen, das ist ja auch der eigentliche Sinn von Schröders Regierungserklärung an diesem Tag. Sie ist kurzfristig, erst nach der Kabinettsklausur vom Wochenende, auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt worden. Sie soll das Großereignis von Neuhardenberg, das mit malerisch schönen Bildern, aber nur einem einzigen konkreten Ergebnis – dem Vorziehen der Steuerreform auf 2004 – ins kollektive Gedächtnis der Republik eingegangen ist, politisch unterfüttern. Der Union ist das so verdächtig, dass sie mutmaßt, der Kanzler habe die Regierungserklärung nur deswegen erfunden, um seiner Zeugenbefragung am gleichen Tag ein öffentlichkeitswirksames Ereignis entgegenzusetzen. Aber Schröder hat mehr vor. Er will die Selbstsuggestion der rot-grünen Regierung auf die Bevölkerung übertragen. „Deutschland bewegt sich“, ist seine Regierungserklärung überschrieben, und das meint ja in erster Linie: Hoffentlich bewegt sich Deutschland bald, damit sich unsere neue Haushaltspolitik auf Pump von selbst finanziert. Staatsmännisch bilanziert Schröder einen „großen gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit und Richtigkeit der Agenda 2010“. Machttaktisch versiert fordert er die Union auf, in der Steuerpolitik mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Und psychologisch geschickt hält er den Druck in den eigenen Reihen aufrecht, indem er davon spricht, dass noch schwierige Monate vor der Regierung lägen, „in denen eine große Kraftanstrengung notwendig sein wird“. Konkrete Vorschläge, wie das Vorziehen der Steuerreform finanziert werden soll, macht er natürlich nicht. Bewegung ist alles beim Kanzler in diesen Tagen, das Ziel ist zweitrangig.

Wie wenig neu das in der Sache alles ist, lässt sich am besten an einem kleinen Zwischenfall illustrieren. Während Schröders Rede störte ein geistig verwirrter Mann mit lauten Zwischenrufen. Der Kanzler sprach über sie einfach hinweg, um dann, nachdem der Mann aus dem Saal getragen worden war, den Abgeordneten lächelnd mitzuteilen: „Ich bin nicht ganz sicher, ob sie die letzten Passagen verstanden haben. Aber ich bin nicht bereit, sie zu wiederholen.“ Vermisst hat sie niemand.

Die Union ist von Schröders Inszenierung durchaus beeindruckt. Sie sagt das natürlich nicht offiziell. Aber in der Lobby des Reichstages kann man an diesem Vormittag den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Friedbert Pflüger, beobachten, wie er sich den professionellen Neid nicht versagen kann. „Das mit Neuhardenberg hat Schröder schon genial gemacht“, sagt er. Pflüger erinnert daran, dass der amerikanische Präsident Jimmy Carter inmitten einer Krise seiner Regierung auch mal eine Wochenendklausur verordnet habe. Carter sei mit einem klaren Regierungsprogramm nach Hause gekommen. Schröder kehre lediglich mit einer vorgezogenen Steuerreform zurück, die nicht mal gegenfinanziert sei, aber er verstehe es, den Eindruck zu erwecken, als habe die Regierung eine neue Strategie. Die Union, das gibt Pflüger zu, kann dem im Moment nichts entgegensetzen.

Diese neue Selbstgewissheit des Kanzlers, mit der beharrlichen Reformpolitik endlich sein Thema gefunden und die Opposition damit fürs Erste in Ratlosigkeit getrieben zu haben, kann man auch am Nachmittag während seiner stundenlangen Befragung im Lügenausschuss zur Genüge beobachten. Da ist ein Gerhard Schröder zu erleben, der die Vorwürfe, die Regierung habe die Öffentlichkeit getäuscht, mit ernster Miene und „in aller Entschiedenheit“ zurückweist. Aber da ist vor allem ein Kanzler zu sehen, der lacht und scherzt und sich scheinbar prächtig amüsiert. Schröder zeigt auf diese fast schon zynische Art, was er von dem Ausschuss hält: nichts. Er sagt das während seiner Vernehmung natürlich etwas freundlicher. Die Einsetzung des Ausschusses sei „mindestens zweifelhaft“.

Vor allem die eifernden Fragen des Ausschuss-Obmannes der Union, Peter Altmeier, der so tut, als gehe es hier um eine zweite Flick-Affäre, haben es dem Kanzler angetan. Er lässt ihn genüsslich auflaufen. Mal gibt Schröder sich Altmeier gegenüber generös: „Das ist erlaubte Polemik, die offensichtlich in Ihrer saarländischen Natur liegt.“ Mal greift er Altmeier an: „So funktioniert das nicht, dass ein Bundeskanzler von einem Referenten aus dem Finanzministerium informiert wird, vielleicht kriegen Sie das auch noch mit.“ Dann wieder redet er sich ihm gegenüber heraus: „Ich habe keine Detailkenntnisse in volkswirtschaftlichen Fragen.“

Manchmal kann Schröder sich auch einfach nicht erinnern. Zum Beispiel, ob er, wie der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger vorige Woche im Ausschuss berichtet hatte, eines Abends den grünen Fraktionschef Rezzo Schlauch einbestellt und ihn aufgefordert hat, die Kritik von Metzger an der eigenen Regierung zu unterbinden. „Nur eines weiß ich genau“, erzählt Schröder. „Rezzo kann man nicht einbestellen. Man muss ihn bitten zu kommen, und dann etwas zu essen anbieten.“

Sogar Peter Altmeier muss lachen. So fröhlich sieht die Oppsition an diesem Tag nie wieder aus.