: „Es gibt die Chance einer bescheideneren Architektur“, sagt Reinhard Rürup
Der ambitionierte Zumthor-Bau auf der „Topographie des Terrors“ ist endgültig passee. Das ist traurig – aber reparabel
taz: Herr Rürup, bis März waren Sie Direktor der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ in Berlin. Nach elf Jahren ist nun der große Entwurf des Architekten Peter Zumthor gescheitert. Sind Sie traurig?
Reinhard Rürup: Ja, ich bin traurig. Andererseits aber froh, dass eine Entscheidung gefallen ist. Wir warten seit elf Jahren auf die Realisierung des Zumthor-Entwurfs. Da wird man allmählich ungeduldiger.
Deshalb der Rücktritt?
Ja, weil ich diese unendliche Geschichte des Baus, der nicht vorankam, nicht mehr verantworten wollte. Obwohl es bedauerlich ist. Wir haben ja in diese Architektur viel investiert.
15 Millionen Euro, die jetzt in den Sand gesetzt wurden.
Auch das – aber auch die Investitionen an Arbeitskraft und Nerven. Hätte man das vorher gewusst, das heißt, hätte die Berliner Bauverwaltung ihre Pflicht getan, uns und die Öffentlichkeit zu informieren, dass der Zumthor-Bau extrem schwierig ist und er zu diesen Kosten und in dieser Zeit nicht zu realisieren ist, hätten wir uns spätestens 1995 umentschieden und 1998 ein anderes Dokumentations- und Besucherzentrum eröffnet.
Stand wegen der Verzögerungen das ganze Projekt „Topographie“ jemals auf der Kippe?
Nein, es ist sogar immer wichtiger geworden. Das zeigen die Besucherzahlen von über 300.000 im Jahr. Es wurde auch bei der Diskussion über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und das Jüdische Museum deutlich, dass man auf eine Auseinandersetzung mit den Tätern und mit der Gesellschaft, in der ihre Taten möglich waren, nicht verzichten kann. Das haben auch die entscheidenden Politiker so gesehen. Sie haben nur geglaubt, sie könnten mit mehr oder weniger süffisantem Lächeln abwarten, was Architekt und Bauverwaltung zustande bringen.
Museum, Mahnmal und „Topographie“ sollten eine Trias sein. Kann das noch gelingen?
Man wird wohl nicht mehr sagen können, dass es an allen drei Orten Stararchitekten gibt. Aber darin könnte auch die Chance liegen zu verdeutlichen, dass es hier in erster Linie um einen historischen Ort geht. Das ist die Hauptaufgabe. Architektur hat dabei eine dienende Funktion.
Das sagte auch Zumthor.
Das hat Zumthor zwar immer sehr beredt formuliert, aber tatsächlich war seine Architektur ganz dominant. Hier hätte es im positiven Falle eine Spannung zwischen historischem Ort und Architektur gegeben. Aber es war nur in der Theorie eine bescheidene Architektur – praktisch war es eine sehr selbstbewusste Architektur, die sich zeigen wollte. Hier könnte man mit neuen Architekten auch mit einer neuen Bescheidenheitsgeste arbeiten.
Haben wir so viele Probleme, weil es eben der Ort der Väter und Großväter, der Mörder in den eigenen Familien, war?
Man soll dies nicht zu pathetisch formulieren – denn für die meisten Familien der Besucher gilt das nicht. Allerdings kommt es auch vor, dass jemand zu unseren Mitarbeitern geht und sagt, er habe auf den Fotos oder Dokumenten jemanden von seiner Verwandtschaft entdeckt. Insgesamt aber geht es um die Frage: Wie war eine Gesellschaft beschaffen, in der normale junge Menschen, die wohl auch in anderen politischen Systemen Karriere gemacht hätten, zu Mördern wurden oder zu Funktionären, die Massenmorde organisierten?
Vielleicht war diese Frage so schmerzhaft, dass wir mit diesem Projekt gescheitert sind.
Wir sind ausschließlich mit der Architektur gescheitert. Die Ausstellung ist extrem erfolgreich. Sie gehört zu den meistbesuchten Einrichtungen Berlins. Und auch mit anderen Aktivitäten ist die Stiftung national und international erfolgreich.
War nicht auch das Problem, dass der Ort überhöht wurde? Zu sehen sind Küchentrakte.
Es ist ein herausragender historischer Ort. Was noch zu sehen ist, ist sperrig. Wir haben immer gesagt, dass es bei den Gebäuderesten nur um Anknüpfungspunkte für das historische Nachfragen und Nachdenken geht.
Zumthor hatte einen radikalen Ansatz: Er wollte einen ungemütlichen Bau, in dem es nicht wärmer als 14 Grad sein sollte. Ist dieser radikale Ansatz nun passee?
Diese Radikalität war in manchem auch scheinradikal. Zumthor hat beispielsweise gefordert, dass es der historische Boden sein soll, innen wie außen. Aber das ist natürlich nicht der historische Boden, sondern es sind die Schuttmassen, die eine Erdverwertungsfirma dorthin gefahren hat. Der Besuch einer Ausstellung hat auch wenig mit der Temperatur zu tun. Die Besucher kommen heute schon bei tiefen Wintertemperaturen in unsere Open-Air-Ausstellung. Ich finde, man sollte ihnen dies auch bei gemäßigten beziehungsweise angenehmen Temperaturen ermöglichen.
Wird dieser Abriss die gesamte hiesige Geschichtspolitik beschädigen?
Der Zumthor-Bau wäre auch nicht vor 2008 eröffnet worden. Dieses Datum ist auch bei einer Neuausschreibung erreichbar. Entscheidend ist, dass man nun klar nach vorne geht, wie es gestern gesagt wurde. Wenn man das tut, hält sich der Schaden durch den Verlust einer hochrangigen Architektur in Grenzen.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
kultur SEITE 16