DIE UNABHÄNGIGKEIT DES KOSOVO DARF NICHT LÄNGER TABUISIERT WERDEN
: Die UN-Mission ist gescheitert

Die Verlängerung des Mandats der Kosovo-Schutztruppe KFOR steht an. Die Parlamente und Regierungen der beteiligten Länder sind gezwungen, fast fünf Jahre nach dem Einmarsch der Nato und der Etablierung eines UN-Protektorats kritisch Bilanz zu ziehen. Auch beim Bundestag steht das Thema heute auf der Tagesordnung. Und mit dem Rücktritt des glücklosen UN-Verwalters Harry Holkeri am Dienstag ist das Nachdenken über die Zukunft des Kosovo noch dringlicher geworden.

Die bisherige Strategie der UN-Mission ist, so hart das klingen mag, gescheitert. Es kann und darf nicht mehr so weitergehen wie bisher. Obwohl erhebliche Steuergelder für die UN-Administration im Kosovo und für die KFOR-Truppen aufgewendet werden, ist es nicht gelungen, die verfeindeten Bevölkerungsgruppen der Albaner und Serben miteinander zu versöhnen. Die Wirtschaft liegt auch nach fünf Jahren UN-Herrschaft am Boden, der Lebensstandard hat sich sogar verschlechtert. Trotz aller Anstrengungen in Bezug auf den Aufbau der lokalen Polizei durch UN- und EU-Polizisten können sich die Kosovaren aller ethnischen Gruppen keineswegs sicher fühlen. Auch der Fahrplan für die Demokratisierung des Landes konnte nicht eingehalten werden.

Grundlage der bisherigen Politik ist die Resolution 1244 des Weltsicherheitsrates, die nach dem Nato-Einmarsch in das Kosovo und der Etablierung des UN-Protektorats 1999 den endgültigen Status des Kosovo offen ließ. Die internationale Gemeinschaft wollte damals nach dem Angriff der Nato Serbien nicht weiter demütigen und beließ Kosovo völkerrechtlich im damaligen Jugoslawien. Andererseits tröstete sie die auf Unabhängigkeit von Serbien drängende albanische Mehrheit mit dem Versprechen, dass in nächster Zukunft eine friedliche Lösung verhandelt werden sollte.

Doch diese Quadratur des Kreises wollte nicht gelingen. Die UN-Mission forderte zwar von allen Seiten, demokratische Standards zu akzeptieren, um dadurch irgendwann ein multikulturelles, demokratisches Kosovo zu schaffen. In diesem Prozess sollten die nationalistischen Gefühle abflauen und beide Volksgruppen friedlich zusammenarbeiten. Aber schon nach den Präsidentschafts-, Parlaments- und Gemeindewahlen 2002 zögerte sie, Macht und Verantwortung an die demokratisch gewählten Organe abzugeben, weil sie befürchtete, die Albaner könnten im Rahmen der Institutionen offiziell die Unabhängigkeit verlangen. Die Europäische Union, vertreten durch EU-Außenpolitiker Javier Solana, begleitete diese Politik, indem sie den Zusammenhalt des Staates Serbien-Montenegro erzwang und damit das Kosovo weiterhin an das Nachfolgegebilde Jugoslawiens band.

Von internationaler Seite hat man die Brisanz der Statusfrage unterschätzt. Schon im letzten Jahr mehrten sich die Zeichen, dass beide Seiten, Albaner wie auch Serben, endlich eine Entscheidung wollten. Die ungelöste Statusfrage gab den Nationalisten beider Seiten Möglichkeiten, die nationalen Gefühle ihrer Bevölkerungen aufzurühren. In Serbien wurden nach dem Mord an Zoran Djindjić und vor allem nach dem Wahlsieg von Vojislav Koštunica zu Jahresbeginn die serbischen Ansprüche wieder unmissverständlicher vorgetragen. Die Vertreter der serbischen Minderheit im Lande zogen sich aus dem Parlament zurück und forderten Selbstverwaltung der serbischen Enklaven im Lande. Indem die UN-Mission den Serben entgegenkam, provozierte sie eine Verhärtung der albanischen Seite. Die Mehrheit der kosovo-albanischen Bevölkerung begann eine Rückkehr der serbischen Herrschaft zu fürchten. Arbeitslose Jugendliche und Studenten, die unter dem jetzigen Status keinerlei wirtschaftliche Zukunft haben, schlugen schon im letzten Jahr radikale Töne an. Selbst moderate kosovo-albanische Politiker wie Bujar Bukoshi kritisierten scharf das Lavieren der UN mit Belgrad. Die noch durch unsägliche Korruptionsfälle aufgeheizte UN-kritische Atmosphäre half ehemaligen Mitgliedern der von der Nato aufgelösten Befreiungsarmee UÇK, ins politische Geschehen zurückzukehren. Die organisierten Übergriffe auf serbische Wohnviertel in noch gemischten Gebieten und die Zerstörung historischer Bauten Ende März sollten Fakten schaffen. Serben und diejenigen Teile der Roma-Minderheit, die mit den Serben sympathisierten, sollen keinen Platz im Kosovo haben, lautet die Botschaft.

Sich der Eskalation zu beugen wäre sicher falsch. Doch die internationale Gemeinschaft muss Auswege aus der verfahrenen Lage finden und endlich eine Entscheidung treffen, die den Status völkerrechtlich regelt. Erst dann kann den Radikalen beider Seiten der Wind aus den Segeln genommen werden – und eine positive Wirtschaftsentwicklung beginnen. Die Unabhängigkeit des Kosovo darf nicht mehr tabuisiert werden. Die Serben und Roma brauchen dann aber handfeste Garantien, die ihre Existenz in einem unabhängigen, demokratischen Kosovo mit starker internationaler Präsenz sichern. ERICH RATHFELDER